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Coronakrise: „Soziale Distanzierung“ zu Pestzeiten

Schon in Pestzeiten hielten die Menschen Abstand voneinander. Wohlhabende Bürger flohen gar aus den schlimmsten Pestherden, den Städten. Boccaccios „Decamerone“ ist ein literarisches Monument dieser Epoche.
Darstellung eines Pestdoktors
Foto: Wikicommons | Pestdoktoren durften in Venedig die Stadt während der Pest nicht verlassen – wie heute gab es für das medizinische Personal keine Abstandsgebote.

Gerade auch in schwierigen Zeiten wie diesen zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass es auch schon schlimmere Perioden in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Daher tauchen immer öfter Vergleiche auf zwischen der aktuellen Coronakrise und einer der schlimmsten Pandemien, die die Menschen seit der Antike heimgesucht hatten: der sogenannte Schwarze Tod. In der Zeit von 1347 bis 1350 wütete die Pest in Europa und löschte innerhalb von vier Jahren mindestens ein Drittel der Bevölkerung aus. Der Dichter Giovanni Boccaccio hat uns - so heißt es in einem Beitrag auf der englischsprachigen Plattform Quillette - wohl die anschaulichste Schilderung der Literatur über den Schwarzen Tod hinterlassen. Nach seiner Schätzung starben 100.000 Menschen in den vier Monaten zwischen März und Juli 1348 in Florenz. 1338 hatte die Bevölkerung der Stadt einem zeitgenössischen Chronisten zur Folge 120.000 Einwohner.

Jeden Morgen sah er die gestapelten Leichen von Männern, Frauen und Kindern

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Boccaccio hatte als Staatsbeamter einen guten Einblick in die Dinge, die sich tagtäglich vor seiner Haustür abspielten. Jeden Morgen sah er, wie die Leichen von Männern, Frauen, Kindern und Dienern auf die Straße gelegt wurden, wo man sie auf Krankentragen und später auf Karren stapelte. Man trug sie zur nächsten Kirche „zu einem kurzen Segen“ und transportierte sie dann auf die außerhalb der Stadt gelegenen Friedhöfe zur Beerdigung: „Tiefe Gräben wurden gegraben, in die die Leichen schichtweise abgeladen und mit einer dünnen Erdschicht bedeckt wurden“.

Die Krankheit befiel Junge wie Alte, Sieche wie Gesunde. Kein Wunder, dass infolge der hohen Infektiosität „eine Art extremes social distancing die Regel wurde, zu der von den Herrschenden noch nicht einmal aufgerufen wurde“. Boccaccios Erzählungen schockieren, denn jeder lief in Panik vor einem Kranken davon. Kinder ließen ihre alten Eltern im Stich und Priester ihre Gläubigen. „Sogar Väter und Mütter lehnten es ab, ihre eigenen Kinder zu pflegen und ihnen beizustehen, als ob sie nicht zu ihnen gehörten“, schrieb Boccaccio. Manche Leute schlossen sich mit ein paar Freunden in einem gemütlichen Landhaus ein, wo genügend Lebensmittel und guter Wein vorrätig waren. Sie vertrieben sich die Zeit mit Musik und wollten keinerlei Nachrichten über das Sterben draußen erhalten. Andere wiederum, „die oftmals nicht die Mittel besaßen, zu fliehen, wurden gleichgültig und begannen die Häuser der Verstorbenen zu plündern und sich dadurch mit Essen und Trinken zu versorgen, ohne die Risiken einer Infektion ernstzunehmen“, heißt es in dem Beitrag.

Drastische Maßnahmen, um die Kranken zu isolieren

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Doch ähnlich wie bei der aktuellen Coronakrise ergriffen irgendwann die Behörden schon damals drastische Maßnahmen, um die Kranken zu isolieren: „Pestdoktoren durften in Venedig die Stadt während der Pest nicht verlassen – wie heute gab es für das medizinische Personal keine Abstandsgebote. Von den Pestärzten wurde verlangt, das vormoderne Pendant des Schutzanzuges zu tragen: ein langes Leinengewand, einen Hut, der das Haar bedeckte, Augengläser sowie eine Maske mit einem langen Schnabel, der Gegenmittel und Düfte enthielt, um den Gestank des Todes zu übertünchen“.

Von vergangenen Pestzeiten profitieren manche Menschen noch heute: Im Italien der Renaissance erwies sich als effektivste Form des sozialen Distanzierens das „villeggiatura“ (Sommerfrische), das heißt, die Flucht aus der Stadt auf einen Bauernhof oder in eine Villa, wo man darauf wartete, dass die Pest abflaute. Nach Ausbrüchen der Krankheit zu Beginn des 14. Jahrhunderts investierten viele Stadtbewohner in Gutshäuser auf dem Land. Zum Teil geschah das, um für sich und seine Familie in Krisenzeiten eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Insbesondere in den heißen Sommermonaten, als die Pest am stärksten wütete, verbrachte man die Zeit in diesen Landhäusern. Die Novellensammlung von Giovanni Boccaccio „Decamerone“ ist ein bekanntes literarisches Zeugnis für diese Lebensart wohlhabender Bürger. In ihm schildert der Dichter eine Gruppe adeliger junger Männer und Frauen, die während der Pest in die Berge außerhalb von Florenz fliehen und sich gegenseitig mit witzigen Geschichten, mit Gesang und Tanz unterhalten.

DT/ks

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