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Carl Muth - Mentor des Widerstands

Mit der Zeitschrift „Hochland“ hatte der gebildete Publizist Carl Muth (1837–1944) früh eine katholische Plattform für den Dialog mit den Geistern der Moderne geschaffen –. Von Jakob Knab
Schreibmaschine, auf der Matrizen für Flugblätter der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" geschrieben wurden
Foto: Marijan Murat/dpa | Eine Frau betrachtet die Schreibmaschine, auf der Matrizen für Flugblätter der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ geschrieben wurden.

Mit der Zeitschrift „Hochland“ hatte der gebildete Publizist Carl Muth (1837–1944) früh eine katholische Plattform für den Dialog mit den Geistern der Moderne geschaffen – dann lernte er die Geschwister Scholl kennen Von Jakob Knab

„Carl Muth geriet selbst auch in Gefahr, doch Thomas Morus schützte ihn“

Der preußische Protestantismus bestimmte die politische Kultur im Kaiserreich. Angesichts dieser kulturellen Hegemonie (Catholica non leguntur) rang die katholische Minderheit um Gleichberechtigung. Der Vorwurf der Inferiorität des katholischen Milieus führte zum katholischen Literatur-Streit, den der Publizist Carl Muth mit seiner unter dem Pseudonym „Veremundus“ veröffentlichten Streitschrift „Steht die Katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?“ (1898) ausgelöst hatte. Muth wollte eine binnenkirchlich moralisierende Engherzigkeit überwinden, dabei geriet er freilich in den Verdacht eines „literarischen Modernismus“. Im Oktober 1903 gründete Muth die Kulturzeitschrift „Hochland“, um dem katholischen Bildungsbürgertum Wege aus dem geistigen Ghetto aufzuzeigen. Die etwa 40 Jahrgänge haben zwei Generationen gebildeter Katholiken bewegt, gestärkt und gefestigt. Muth war ein Meister der klärenden Kritik. Angesichts des esoterischen Vergottungswahns in Stefan Georges Gedichten sprach Muth von einer „kunstvoll geschmiedeten und mit edlen Steinen kostbar verzierten Monstranz, in der das Heilige fehlt“.

Bismarcks Kulturkampf hatte Wunden geschlagen, die lange nachwirkten. Die Kluft zwischen Protestanten und Katholiken hatte sich vertieft. Die katholische Zentrumspartei achtete nun darauf, nicht noch einmal wie unter Bismarck als „Reichsfeinde“ ins politische Abseits zu geraten. Auch Katholiken wollten dem Vaterland treu dienen. Stets wollte Carl Muth die Zeichen der Zeit erkennen. Im August 1914 war auch Muth erfasst von jener reichsweiten Kriegsbegeisterung, als er im „Hochland“ über das „Kriegsunwetter“ jubelte: „Das war der Anfang: ein Schauspiel für Gott und Menschen und herrlich bis zum Jüngsten Tag!“ Muths Freund Friedrich Wilhelm Foerster lehrte damals an der Universität München Philosophie und Pädagogik, in seinen Vorlesungen übte er auch Kritik am preußisch-deutschen Militarismus. „Der überaus sensitive und emotionale Carl Muth“, so Foerster Jahrzehnte später, „wurde ein Opfer der Hasspropaganda gegen England, ja überhaupt jener ganzen nationalistischen Verhetzung des deutschen Volkes.“ Mitte August 1918 sprach ihn Foerster auf jene deutschnationale Verblendung an: „Mein lieber Muth! Die Freundschaft fängt erst dort an, wenn man einander unverblümt die Wahrheit sagt.“ Mit ein paar dürren Zeilen brach Muth die Freundschaft ab. Aber im September 1934, im zweiten Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, besuchte Muth den verlorenen Freund in Paris und gestand: „Sie hatten recht, und ich hatte unrecht.“ Er erkannte nun die dunklen Tiefen deutscher Verirrung.

Muths Lebensgeschichte spannt sich zeitlich vom Ende des Kulturkampfes bis zum Ende der NS-Gewaltherrschaft, sein geistiges Ringen war bestimmt von der Weite eines suchenden Geistes sowie von der Enge staatlicher wie auch kirchlicher Verhältnisse.

Carl Borromäus Johann Baptist Muth wurde am 31. Januar 1867 in Worms geboren. 1881 fand er als Zögling Aufnahme im Missionshaus Steyl in Holland. Nach drei Jahren führte ihn sein Weg nach Algier, wo er Kardinal Lavigerie, den Gründer der Weißen Väter, kennenlernte. Zeitlebens fühlte sich Muth dieser französischen Geistigkeit verbunden. Er studierte in Gießen Staatswissenschaften, später in Berlin hörte er Vorlesungen über Volkswirtschaft und Germanistik. Während eines Aufenthalts in Paris 1892/1893 und in Rom 1893 betrieb er kunstgeschichtliche Studien, dabei befasste er sich auch mit aktuellen sozialen Fragen.

Den ersten Kontakt zwischen Carl Muth und Hans Scholl hatte der heute noch namhafte Designer Otl Aicher (1922–1991) geknüpft. Warum hatte der Jungkatholik Otl Aicher den betagten Gelehrten Muth in München aufgesucht? Von seinem Kaplan in Söflingen (bei Ulm) hatte er Anregungen zur vertieften Lektüre erhalten. Diese reichten von den Bekenntnissen des Augustinus, von den Büchern Theodor Haeckers bis hin zu Carl Muths Zeitschrift „Hochland“. Aicher wollte diese Menschen großen Formats persönlich kennenlernen: im Sommer 1941 besuchte er zunächst Carl Muth in München und später lernte er auch Theodor Haecker kennen. Als Hans Scholl Ende Oktober 1941 dank Aichers Vermittlung erstmals Carl Muth traf, da war dies nicht nur eine Begegnung zweier Generationen. Es trafen sich Scholls ungestüme Vitalität und Muths gereifte Besonnenheit, es fanden die mitunter ungestillte Lebensgier des jungen Scholl und die reiche Lebenserfahrung des betagten Gelehrten Muth zueinander. Beide einte sogleich die Empörung über die Machthaber, denn erst wenige Wochen zuvor war das „Hochland“ vom NS-Regime „aus kriegswirtschaftlichen Gründen“ eingestellt worden.

Als Muth Scholls Faszination an der Literatur spürte, bat er ihn, seine umfangreiche Privatbibliothek zu ordnen. In diesem anregenden Umfeld ergaben sich die Gespräche über die Verflechtung von christlichem Glauben und politischem Handeln. Im Winter 1941 schrieb Carl Muth an Otl Aicher: „Hans [Scholl] geht bei mir als lieber und sehr geschätzter Hausfreund ein und aus. Er ist auch oft mein Tischgast und kommt mit allerhand Menschen in Berührung, die ihn interessieren.“ Scholl lernte diese Persönlichkeiten aus dem Hochland-Kreis kennen: Theodor Haecker, Werner Bergengruen, Sigismund von Radecki und Alfred von Martin. So wurde Mitte Januar 1942 im Hause Muth ein Leseabend veranstaltet, wo Haecker Predigten von John Henry Newman, die er ins Deutsche übertragen hatte, vorlas. Bestimmt fühlte sich Scholl direkt angesprochen, wenn der begnadete Prediger Newman vom Glaubensbekenntnis sprach und gleichzeitig auch „unsere Gefühle, Stimmungen, unsere Einbildungskraft und unser Gewissen“ im Blick behielt.

Als Sophie Scholl im Mai 1942 ihr Studium an der Universität München begann, wohnte sie zunächst bei Carl Muth in München-Solln. Zu ihrem 21. Geburtstag schenkte er der jungen Studentin aus Ulm das Büchlein von Martin Deutinger „Über das Verhältnis der Poesie zur Religion“. Schönheit sei nur, so Muth in seinem Vorwort, „in Beziehung zum Geiste, zur Freiheit denkbar“. Als Sophie Scholl über Fotos des Grabtuchs von Turin staunte, meinte Muth: „Noch nie hat sich ein Betrachter so vertieft, wie heute Sophie Scholl. Sie scheint ein sehr innerliches und ernstes Mädchen zu sein.“ An ihren Bruder Hans richtete Sophie damals die erstaunte Frage, „dass das Bild nicht mehr Aufsehen erregt. Denn ein Christ“, so ihre Überzeugung, „müsse doch darin Gottes Angesicht sehen, mit leiblichen Augen.“ Hier wollte die protestantisch geprägte Sophie Scholl, die unter der Ferne Gottes litt, dem nahen Gott auf die Spur kommen.

Ende November 1941 schrieb Hans Scholl besorgt an Otl Aicher: „Gegenwärtig ist er [Carl Muth] krank, Bronchitis; die eigentliche Ursache der Krankheit liegt jedoch auf geistigem Gebiet, nehme ich an. Die Aktion gegen die Juden in Deutschland und den besetzten Gebieten hat ihm die Ruhe genommen.“ Der Bekenntnisbrief, den Hans Scholl an Weihnachten 1941 an Carl Muth schrieb, ist aus der Vertrautheit zwischen Carl Muth und Hans Scholl zu verstehen; denn in der Lebensgeschichte von Hans Scholl gibt es eine Schlüsselszene, einen blitzartigen, aufschlussreichen Augenblick, der Einblick gibt in sein suchendes, unruhiges Herz.

Diesen Umschlagpunkt schilderte er dem väterlichen Freund so: „Ich bin erfüllt von der Freude, zum ersten Mal in meinem Leben Weihnachten eigentlich und in klarer Überzeugung christlich zu feiern. … Ich hörte den Namen des Herrn und vernahm ihn. In diese Zeit fällt meine erste Begegnung mit Ihnen. Dann ist es von Tag zu Tag heller geworden. Dann ist es wie Schuppen von meinen Augen gefallen. Ich bete. Ich spüre einen sicheren Hintergrund und ich sehe ein sicheres Ziel. Dieses Ziel ist auf Erden zu erreichen. Mir ist in diesem Jahr Christus neu geboren.“

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