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Stauffenberg-Sohn: "Mein Vater war nicht besonders kirchenfromm"

Am 20. Juli vor 76 Jahren scheiterte der Anschlag auf Adolf Hitler. Claus Schenk Graf von Stauffenberg bezahlte dafür mit dem Leben. Was motivierte ihn zu einer solchen Tat? Tagespost-Chefredakteur Oliver Maksan sprach darüber im vergangenen Jahr mit Stauffenbergs ältestem Sohn Berthold.
Claus Graf Schenk von Stauffenberg
Foto: dpa | Die katholischen Moralvorstellungen hätten für Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine große Rolle gespielt, meint sein ältester Sohn Berthold.

Graf Stauffenberg, 75 Jahre danach: Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie erfuhren, dass Ihr Vater einen Anschlag auf Hitler ausgeführt hatte?

Ja. Ich hatte am 20. Juli im Radio gehört, dass ein Anschlag auf Hitler erfolgt war. Näheres wusste ich zunächst aber nicht. Man hielt uns Kinder schnell vom Radio fern. Dann nahm unsere Mutter meinen Bruder und mich zur Seite und sagte uns, dass mein Vater die Tat ausgeführt hatte. Noch in der folgenden Nacht ist dann meine Mutter abgeholt worden. Wir Kinder kamen ins Heim. Wir sahen sie erst im Juli 45 wieder.

Hatten Sie sich als Kind gewünscht, dass das alles nie passiert wäre?

Natürlich hätte ich mir als Kind gewünscht, das alles wäre nie passiert und ich meinen Vater noch hätte. Aber nach dem Krieg ging das Leben weiter. Über meinen Vater und die Tat wurde nur beiläufig gesprochen.

"Ich habe mich meines
Vaters nie geschämt"

Zudem: In der französischen Besatzungszone, in der wir lebten, kam es zu Versorgungsproblemen, die schlimmer waren als im Krieg. Man musste schauen, wie man über die Runden kommt. Aber ich habe mich meines Vaters nie geschämt, obwohl ich zunächst nicht genau verstanden habe, was er getan hat.

Wann setzte das Verstehen ein?

So richtig erst nach dem Krieg. Da musste man nicht mehr aufpassen und wir waren vor allem auch älter. Sie müssen aber auch sehen, dass die Details und genauen Umstände ja erst Schritt für Schritt in den folgenden Jahren ans Licht kamen. Meine Mutter zum Beispiel wusste von meinem Vater, was er vorhatte. Sie wusste aber nicht, dass er die Bombe legen würde. Es dauerte Jahre, bis man genau wusste, was am 20. Juli und auf dem Weg dahin vorgefallen war. Und bis heute gibt es Leute, die wesentlich mehr über meinen Vater wissen als ich. Ich habe meinen Vater ja eigentlich nicht gut gekannt. 39 begann der Krieg. Da war ich fünf. Danach kam er nur gelegentlich zu Besuch. Auf Urlaub habe ich ihn dann nur von der besten Seite erlebt. Wir Kinder haben uns gut benommen. Die Erziehung war bei der Mutter. Als er starb war ich zehn.

Ist in der Familie vor dem 20. Juli kritisch über Hitler und die Nazis gesprochen worden?

Vor uns Kindern hat keiner kritisch gesprochen. Kleine Kinder plappern, das ist gefährlich. Unsere Mutter musste da aufpassen. Für Außenstehende waren wir bis zum 20. Juli das Beispiel einer staatstreuen Familie. Und plötzlich war das ganz anders.

Nach der Tat und noch Jahre später galt Ihr Vater vielen Deutschen als Verräter, der mitten im Krieg den Staatschef und Oberbefehlshaber ermorden wollte. Erst 1955 konnte Bundespräsident Heuss versuchen, das Gedenken an den 20. Juli zu verankern. Wurden Sie als Verräterkind verspottet?

Nein, das habe ich so nicht erfahren, weder in der Schule noch im Internat in Salem. In Süddeutschland auf dem Land war das sicher anders als im Norden, wo es einfach mehr Nazis gab. Ich weiß, dass andere Kinder von Widerständlern das erleben mussten.

Gab es im Adel Distanz nach der Tat?

Innerhalb des katholischen süddeutschen Adels gab es nur wenige Nazis. Im Großen und Ganzen gab es da keinen Bruch mit uns.

War das im protestantischen Adel anders?

Ja. Der evangelische, besonders preußische Adel hatte ja das Problem, dass mit der Monarchie 1918 das landesherrliche Kirchenregiment zu Ende gegangen war und der Kaiser als oberster Bischof fehlte.

"Die Katholiken hatten weiter ihren
Papst als ultramontane Konterinstanz.
Die fehlte im Protestantismus"

Die Katholiken hatten weiter ihren Papst als ultramontane Konterinstanz. Die fehlte im Protestantismus. Auch das Eidverständnis war ein anderes, übersteigertes.

Können Sie, der Sie selbst Bundeswehrgeneral a.D. sind, das Zaudern von Offizieren verstehen, die vor dem Tyrannenmord mit Blick auf den Fahneneid zurückschreckten? Das war ja im militärischen Widerstand ein zentrales ethisches Problem.

Lassen wir mal den Opportunismus weg von denjenigen, die sich damit während des Krieges herausgeredet haben, Verantwortung zu übernehmen. Nach dem Kriege war es dann vielfach ein Alibi und eine Selbstrechtfertigung. Aber es ist wahr: Der Eid hatte besonders im Wilhelminismus eine überhöhte religiöse Bedeutung bekommen, der uns katholischen Süddeutschen fremd war. Die Nazis haben das dann noch bewusst verstärkt. Viele haben geglaubt und noch mehr haben behauptet, es zu glauben, sie wären damit eine persönliche Bindung an Hitler eingegangen. Natürlich waren viele preußische Adlige und Offiziere gegen Hitler und manche auch aktiv im Widerstand. Andere waren es nicht. Meine These ist, dass Katholiken gegen Hitler immuner waren.

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Ihr Vater auch? Es heißt, er habe in Bamberg, wo er in einem Reiterregiment diente, die Machtergreifung der Nazis begrüßt, gar an einem Fackelzug teilgenommen.

Ich halte das für falsch. Es gibt dafür auch keine schriftlichen Zeugnisse. Ein 19-jähriger Offiziersanwärter will das bei Tisch aufgeschnappt haben. Es ist selbst unklar, ob es diesen Fackelzug überhaupt gab.

Aber sicher kann man sagen, dass Ihr Vater nicht von Anfang an im Widerstand gegen Hitler war.

Nein. Aber sein Patriotismus hat ihn dann gegen die Nazis aktiv werden lassen. Er wollte das Vaterland retten. Dass er deswegen als Vaterlandsverräter gebrandmarkt werden würde, war ihm natürlich bewusst gewesen, aber er hat es in Kauf genommen.

Die Familie Stauffenberg ist traditionell katholisch. Sogar ein paar Fürstbischöfe gibt es unter Ihren Vorfahren. Wie gläubig war Ihr Vater?

Er war nicht besonders kirchenfromm. Aber der Glaube war für ihn wichtig, ohne dass er jetzt fanatisch katholisch war. Er war weder klerikal noch anti-klerikal.

"Der Glaube war für ihn wichtig, ohne
dass er jetzt fanatisch katholisch war.
Er war weder klerikal noch anti-klerikal"

Wenn die Kirche aber angegriffen wurde, hat er sie verteidigt. Er hielt auf die katholische Familientradition und ging mit uns Kindern in die Kirche – in Uniform. Ob er ohne uns auch ging, glaube ich eher nicht.

Welche Rolle spielte der Glaube in der Kindererziehung?

Eine ganz wesentliche. Meine Mutter war evangelisch, hatte aber versprochen, dass sie die Kinder katholisch erziehen würde. Das hat sie mit Nachdruck gemacht.

Wenn Ihr Vater auch kein regelmäßiger Kirchgänger war: Glauben Sie, dass christliches Menschenbild und Sittenlehre leitend für ihn waren beim Entschluss, Hitler zu beseitigen?

Aber ganz sicher. Ich halte die Prägung durch das Christentum sogar für wesentlich. Es wird ja immer der Einfluss von Stefan George überbetont.

Thomas Karlauf in seiner neuen Biografie hält den Dichter mit seinem Ethos der Tat für die wichtigste Quelle.

Ja, ich behaupte ja nicht, dass George keine Rolle spielte. Natürlich hatte er Einfluss auf meinen Vater, besonders als jungen Menschen. Aber so zu tun, als sei er der einzige gewesen, ist falsch. Mein Vater entstammte einem traditionell katholischen Milieu.

"Vom traditionell katholischen Milieu
und seinen Werten hat er
sich nie distanziert"

Davon und seinen Werten hat er sich nie distanziert. In diesem Sinne war er ein treuer Katholik. Die katholischen Moralvorstellungen haben eine große Rolle gespielt. Meine Mutter hat das immer wieder betont. Ich selber war ja zu klein, um das zu beobachten.

Die neue Karlauf-Biografie behauptet, Ihr Vater habe nicht gesinnungsethisch etwa aus Abscheu über den Judenmord und andere Gewaltverbrechen gehandelt, sondern er habe Deutschland vor dem Untergang bewahren wollen.

Ich sehe darin keinen Widerspruch. Zur Erhaltung Deutschlands im traditionellen Sinne gehörte auch, dass es sich nicht Verbrechen schuldig machen würde, die den deutschen Namen auf ewig beschmutzen würden. Es ging ihm auch um die Ehre Deutschlands.

Nun gibt es den berühmten Brief Ihres Vaters an Ihre Mutter, den er 1939 aus Polen geschrieben hat. Darin schreibt er mit Blick auf Juden und die dortige Bevölkerung vom Pöbel, der sich nur unter der Knute wohl fühle.

In einer Gefechtspause hat er diesen Brief geschrieben, den meine Mutter dann abgetippt hat. Mein Vater war kein Antisemit, er war aber auch kein Judenfreund. In Europa, nicht nur in Deutschland, war man damals nicht judenfreundlich. Denken Sie an Frankreich. Man mochte die Juden nicht, gehasst hat man sie aber nicht. Umbringen wollte man sie deswegen nicht. Das haben erst die Nazis getan.

Ihr Vater war also Kind seiner Zeit.

Ja, natürlich. Wenn Sie meinen Vater betrachten, dann dürfen Sie auch sein Alter nie vergessen. Er war noch ein junger Mensch, als er starb, erst 36. Davor, besonders in der Weimarer Republik, waren seine Ansichten sicher noch nicht gefestigt. Viele Historiker übersehen das.

Was hat Ihren Vater letztlich zu dieser einsamen heroischen Tat motiviert?

Ich bin weder in der Lage noch dazu berechtigt, wegen meines Namens und meiner Abstammung mehr zu wissen als andere über meinen Vater. Ich habe keine autoritative Meinung. Ich frage mich eher: Wäre ich in der Lage gewesen: Hätte ich den Mut, die Kraft und die Klarsichtigkeit gehabt, zu tun, was er tat? Das macht mich natürlich demütig.

Sie bewundern Ihren Vater?

Ja.

Dennoch wird regelmäßig der Vorbildcharakter Ihres Vaters für die moderne Bundesrepublik in Frage gestellt. Er und andere Widerständler seien keine Demokraten gewesen, hätten für die Zeit nach Hitler andere Ideen gehabt als die, die das Grundgesetz prägen. Taugt Ihr Vater als Vorbild?

Aber natürlich. Man muss doch Leute aus den Umständen der Zeit beurteilen. Ich halte es für unfair, ihn mit heutigen Maßstäben messen zu wollen. Für mich ist mein Vater in seiner Haltung zu Wahrheit, Moral und Menschenrechten ein absolutes Vorbild.

Auch wenn er kein Demokrat war?

Demokratie ist doch kein Wert an sich. Nach Churchill ist sie die beste aller schlechten Regierungsformen. Letztlich geht es um eine Ordnung, in der Menschenwürde und -rechte am besten gewahrt werden. Aus guten Gründen sind wir der Meinung, dass das in der Demokratie am besten geht.

"Es ist auch möglich, dass in der
Demokratie verbrecherische Zustände
entstehen. Es ist nur weniger wahrscheinlich"

Aber es ist auch möglich, dass in der Demokratie verbrecherische Zustände entstehen. Es ist nur weniger wahrscheinlich. Hinzu kommt, dass die Erfahrungen mit der Demokratie in Weimar nicht gut waren. Das hat meinen Vater aber nie davon abgehalten, der Republik treu zu dienen.

Graf Stauffenberg, Sie tragen als Sohn Ihres Vaters einen großen Namen. War das nicht auch manchmal eine Belastung?

Natürlich. Man hat ja auch selber was geschafft im Leben. Manchmal sagen mir Leute, dass es eine Ehre sei, mich kennenzulernen. Das konnte ich nie verstehen.

Ihre Mutter sagte mal, die Stauffenbergs dürften keine Berufshinterbliebenen sein.

Genau. Wir halten uns deshalb aus den öffentlichen Ehrungen eigentlich raus. Wenn man uns einlädt, gehen wir hin. Aber wir befördern das nicht. Den Rest überlassen wir den Historikern. Nur wenn die Dinge in eine völlig falsche Richtung gehen, melden wir uns. Andererseits haben die Erregungskurven ja auch Konjunktur. Es ist ja nicht so, als ob ständig meines Vaters gedacht würde. Zwischen den Jahrestagen kann man sein Leben eigentlich ganz ungestört führen.

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