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Projekt „Nach der Diktatur“ an der Universität Würzburg

Das Projekt „Nach der Diktatur“ an der Universität Würzburg untersucht die Aufarbeitung von Verbrechen von totalitären Regimen im internationalen Vergleich.

Das einsame umzäunte Kreuz in der Wüste mahnt an ein schreckliches Geschehen. Die Gedenkstätte an der sandigen Straße zum Flughafen von Calama in Chile erinnert an die Hinrichtung von 26 Männern durch das chilenische Militär am 19. Oktober 1973. Die sterblichen Überreste haben die Frauen ins Ausland geschickt, um eine unabhängige Prüfung der Identität der Männer sicherzustellen. Aber das war in Chile nur ein Einzelfall. Das Menschenrechtsmuseum des Landes kennt die Namen von weiteren 28 000 Opfern, die beinahe alle gefoltert wurden.

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Ohne Gericht und Verteidiger im Gefängnis

Die Aufarbeitung von Verbrechen nach Diktaturen ist oft schwierig und langwierig. Wie die Vergangenheitsbewältigung im internationalen Vergleich durchgeführt wird, das ist ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg. Projektleiter sind Peter Hoeres, Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte der Universität Würzburg, sowie Hubertus Knabe, langjähriger Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Gegenüber der Tagespost hat Professor Hoeres hervorgehoben, dass beide schon lange an der Aufarbeitung von Verbrechen in totalitären Regimen interessiert gewesen sind, und dass Knabe, der mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen Leuchtturm auf diesem Gebiet etabliert habe, durch eine Intrige ausgerechnet eines Kultursenators aus den Reihen der SED-Nachfolgepartei seines Amtes enthoben worden sei. Das mehrjährige Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) unterstützt.

Die Forschungsergebnisse sind bisher im Internet dokumentiert und werden ständig erweitert, Tagungen mit internationalen Experten werden folgen sowie ein Sammelband. Auf der Internetseite www.after-dictatorship.org ist das Projekt detailliert nach Ländern, Erinnerungsorten, Analysen, Zeitzeugen, Dokumenten sowie der Literatur zum Problem aufgegliedert. Dabei wird gefragt, ob die Verantwortlichen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, ob es Stätten der Erinnerung gibt oder ob die Opfer entschädigt wurden. Denn je weiter der Abstand zur Diktatur wachse und desto stabiler das Land werde, erklärte Hoeres, desto deutlicher werde das Bedürfnis nach einer historischen, juristischen und politischen Beschäftigung mit der Diktatur. So kommt es zu einem Bildungsprozess der Bevölkerung über sich und die vergangenen Ereignisse – oft erkennt man erst später, was eigentlich geschehen ist. Dabei sei es wichtig, den Menschen in den betroffenen Ländern wieder eine Stimme zu geben, denn die Reaktionen der Betroffenen seien auch noch einige Zeit nach dem Unrecht häufig zurückhaltend.

Berichte von Zeitzeugen

Die Zeitzeugen sind eine entscheidende Quelle bei der Aufarbeitung der Verbrechen. So berichtet etwa ein Betroffener über die Gewalt des Roten Terrors in Äthiopien: „Meine schlimmste Erinnerung an diese schrecklichen Tage waren jedoch die Massenmorde, die ich miterlebt habe. Die Menschen wurden aus unserer Mitte genommen und kehrten nie zurück. Ich habe immer noch ihre Mimik aus Tapferkeit, Verwirrung und Unglauben vor Augen. Auch ich wurde gefoltert, aber angesichts der schweren Folter, die meine Freunde und andere Insassen durchgemacht haben, halte ich meine für unbedeutend.“ Er hat in der Haft Hunger, Massenzusammenlegungen und das Sterben vieler Mithäftlinge durch Typhus erlebt.

Dass es auch in Taiwan Menschenrechtsverletzungen gab, ist im westlichen Bewusstsein kaum präsent. So kam es am 16. August 1950 unter dem neuen Regime der Kuomintang (Nationalchinesen) zur Verhaftung unter anderen von Chang Ta-Pang durch die Geheimpolizei in der südwestlichen Stadt Tainan. Ihm wurde die Mitarbeit in einer aufrührerischen Organisation vorgeworfen, das Urteil von zehn Jahren Haft in einem Arbeitsgefängnis musste er vollständig absitzen. Später erklärte er sein Unverständnis darüber: „Aus welchen Gründen auch immer war ich von der Polizei verhaftet und ohne irgendeinen Beweis angeklagt worden. Ich wurde jedoch nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt und hatte auch keinen Verteidiger. Ich hatte keine Ahnung, was mein Verbrechen war. Selbst wenn ich wegen eines tatsächlichen Verbrechens angeklagt worden wäre, hätte ich einen Anwalt und einen ordentlichen Gerichtsprozess haben müssen. Ich hatte nichts dergleichen.“ Die dokumentierten Erinnerungsorte hatten ursprünglich zum Teil zynische Namen. „Villa Oasis“ wurde ein Umerziehungsgefängnis in Taiwan genannt, ein anderes hieß „Neues Leben“. Geistige Umerziehung verbunden mit harter körperlicher Arbeit sollte funktionstüchtige Menschen im Sinne der Regierung erzeugen.

Das Projekt wird laufend im Internet aktualisiert

Aber auch Deutschland ist Thema, mit der Topographie des Terrors in Berlin und den auf die DDR bezogenen Gedenkstätten Berlin-Hohenschönhausen als zentraler Untersuchungshaftanstalt der Stasi sowie Point Alpha an der ehemaligen Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Hätte es einen Dritten Weltkrieg gegeben, dann hätte er nach Auffassung der Projektleiter hier begonnen. Denn mit der „Fuldalücke“ ragte das Gebiet der ehemaligen DDR am weitesten in das Territorium der Bundesrepublik hinein.

Point Alpha
Foto: photoauszeit/wu | Die Grenzanlagen der ehemaligen „DDR“ am Point Alpha. Noch heute ein Mahnmal deutscher Geschichte.

Die alles entscheidende Frage ist jedoch, ob sich aus der Geschichte lernen lässt, woraus Aufarbeitung einen Sinn beziehen kann. Erinnerung und Versöhnung vollziehen sich oft schwierig. In der Antike habe es die bewusste Amnesie als Form der Versöhnung gegeben, erklärte Professor Hoeres. Später habe es auch Vergessensklauseln in Friedensverträgen wie nach dem Dreißigjährigen Krieg gegeben. Mit der Pflicht zu vergessen, sei es wie bei einer Beichte – das Ziel ist ein Neuanfang bei den Menschen. So sei deutlich, dass die Erinnerung in katholischen Ländern anders gelebt wurde als in säkularen oder buddhistischen Ländern. Friedensstiftung kennt verschiedene Wege, die Indianer haben das Kriegsbeil begraben, in Europa hat man Amnestien vereinbart. Der Vertrag von Versailles sei da ein Bruch gewesen, denn die Idee der Amnestie, die es bereits nach der Herrschaft der Dreißig im antiken Athen gegeben hatte (404/403 vor Christus), und die Idee der Aussöhnung zwischen Feinden wurden hier fallengelassen.

Im Hinblick auf untergangene Diktaturen habe sich heute weitgehend die Haltung durchgesetzt, die Erinnerung an die Unrechtsregime wachzuhalten, um Wiederholungen zu verhindern. „Das Licht wird am Ende die Dunkelheit des Genozids überwinden“, ist an der Gedenkstätte der Universität in Butare in Ruanda zu lesen. An den Genozid von 1994 mahnen fast 250 solcher Stätten der Erinnerung, aber von demokratischen Verhältnissen kann man in Ruanda wohl noch lange nicht sprechen. Auch Tunesien, das 2011 mit dem Arabischen Frühling Hoffnung auf mehr Freiheit aufkommen ließ, kann nicht wirklich überzeugen. Im zentralen Gefängnis während der Diktatur unter Bourguiba und Ben Ali wurde noch bis in die 1990er Jahre eine Guillotine benutzt. Doch ein öffentliches Gedenken ist im ehemaligen Gebäude der „Staatssicherheit“, der Geheimpolizei, bis heute nicht möglich.

Die Internetseite „Nach der Diktatur“ hat auch die Dokumente der Aufarbeitung in den unterschiedlichen Ländern neben den Darstellungen und Analysen verfügbar gemacht und ermöglicht so eine Vertiefung im Verständnis der Ereignisse. Das Projekt wird schrittweise weitergeführt, denn es gibt auch in den schwierigen Fällen des Übergangs zwischen Diktatur zur Demokratie Hoffnung. Oder wie es über das Projekt heißt: „Das Beispiel Deutschlands zeigt: Es gibt eine Zukunft – auch nach den grausamsten Verbrechen der Geschichte.“

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