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Heilig-Stiegenkapellen: Treppen zum Himmel

Sie sind eine Besonderheit des süddeutschen Sprachraums: Die Heilig-Stiegenkapellen, die zum Beten des Kreuzwegs einladen.
Scala Sancta, die Mutter aller Heilig-Stiegenkapellen in Lateran
Foto: Imago Imagine | Die Mutter aller Heilig-Stiegenkapellen ist die Scala Sancta im römischen Lateran. Die Treppen hat die heilige Helena aus dem Haus des Pilatus in Jerusalem mitgebracht; so lautet die Legende.

Die Sehnsucht, anlässlich der kommenden Karwoche auf Jesu letztem Wege zu wandeln, die Via Crucis am eigenen Leib nachzuempfinden, ist alt. Schon im 4. Jahrhundert suchten Jerusalempilger in der Heiligen Woche die Orte der Passion auf, um die passende Tagesperikope am Originalschauplatz zu hören. Als gegen Ende des Hochmittelalters Reisen ins Heilige Land unmöglich wurden, behalf man sich zunehmend damit, Ersatz in der Heimat zu schaffen. Im 15. Jahrhundert entstanden vermehrt Calvaires, Sacri Monti und Kalvarienberge. Erst später bildeten sich die nach der Barockzeit „kanonischen“ vierzehn Stationen des Kreuzwegs aus.

Eine regionale Besonderheit im süddeutschen Raum sind die Heilig-Stiegenkapellen. Sie wurden von der Scala Sancta im Lateran inspiriert, deren 28 Marmorstufen man seit etwa dem 15. Jahrhundert für die originale Treppe aus dem Jerusalemer Haus des Pilatus hielt, und die von der Heiligen Helena nach Rom mitgebracht worden sein soll. Der Renaissance-Architekt Domenico Fontana erweiterte sie um zwei seitliche Treppenläufe, so dass die darauf Knieenden bei ihrer Kreuzwegandacht nicht gestört wurden. Frühe Nachbildungen dieser dreiläufigen Treppe finden sich außerhalb Italiens nur in den Gebieten des Alten Österreich und Altbaierns. Die vermutlich Prächtigste aber lässt sich auf dem Kreuzberg bei Bonn am Rhein bestaunen.

Katholisch durch Besatzung

Das Rheinland wäre Teil des süddeutschen Kulturraums? Ja, denn die Kölner verdanken nicht nur den Karneval, sondern auch ihre katholische Konfession einer fremden Militärbesatzung; freilich nicht der britischen nach dem letzten Weltkrieg, sondern der bayerischen, die immerhin fast 200 Jahre währte. Der Kölner Kurfürst und Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg hatte sich in die schöne Agnes von Mansfeld verguckt, eine dunkle Schönheit mit tiefbraunen Augen, mit der er sich heimlich zum Tete-a-Tete auf Schloss Moers traf. Ein Konkubinat kam für die stolze Gräfin nicht infrage, so überredeten ihre Brüder den liebestollen Oberhirten zum Protestantismus und rieten, das katholische Erzstift in eine weltliche Herrschaft umzuwandeln.

Gesagt, getan: Im November 1582 wechselte der Erzbischof von Köln seinen Glauben und zwei Monate später heiratete er in der kurkölnischen Hauptstadt Bonn seine schöne Mansfelderin. Die Antwort kam prompt: Papst Gregor XIII. exkommunizierte den erzbischöflichen Heißsporn und Kaiser Rudolf II. entzog dem 36-jährigen Blondschopf auch noch die Kurwürde, also das Recht, den Römisch-Deutschen Kaiser zu küren. Statt seiner wählte das Kölner Domkapitel Ernst von Bayern zum Erzbischof und nach der Eroberung der Godesburg in (Bad) Godesberg 1583 wurde das Kurfürstentum Köln von den Bayern besetzt – der Kölnische Krieg soll der letzte gewesen sein, den dieser berüchtigte Alpenstamm gewonnen hat.

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„Gib dem Protestantismus keine Chance“

Bis zum Jahr 1761 wurde Kurköln durchgehend von Erzbischöfen aus dem Hause Wittelsbach regiert. Nach dem Motto „Gib dem Protestantismus keine Chance“ übernahmen die zweitgeborenen Bayernprinzen im Nordwesten des Heiligen Römischen Reiches auch gleich noch mehrere Bischofsstühle nebenher. Der letzte in dieser Reihe, Clemens August, wurde von Friedrich II. von Preußen „Monsieur des cinq églises“ genannt, Herr Fünfkirchen, denn er war – zu seinem Hauptberuf als Kölner Erzbischof – gleichzeitig auch noch Bischof von Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück sowie Hochmeister des Deutschen Ritterordens. Obwohl er privat tatsächlich ein frommer Mann war, ging er als passionierter Jäger und Bauherr vor allem als glanzvoller Barockfürst in die europäische Geschichte ein.

Clemens August hatte ein stilsicheres Auge und bestellte nur das Beste vom Besten. Er ritt die edelsten Pferde, jagte mit erstklassigen Falken, kaufte in Paris die teuersten Paramente und für die unter seiner Ägide gebauten Schlösser – unter anderen Clemenswerth, Augustusburg und Falkenlust – beauftragte er nur die angesagtesten Baumeister wie etwa François de Cuvillies oder Balthasar Neumann. Und Letzteren beauftragte er 1746 auch mit dem Bau der Heiligen Stiege auf dem Bonner Kreuzberg – sie sollte ein Gesamtkunstwerk des Rokoko werden. Bereits den Zeitgenossen war Balthasar Neumann seit seinem Geniestreich in der Würzburger Residenz für grandiose Treppenentwürfe bekannt und genau daran mangelte es Clemens August; zunächst freilich in seinem Schloss Augustusburg in Brühl, weswegen er um Hilfe und den Protegé der Schönborn-Bischöfe an den Rhein rief.

Spektakulärer Aufstieg

Der Meister kam, sah und rettete den verpfuschten Bau mit einer gegenüber Würzburg zwar verkleinerten, aber ebenso spektakulären Aufstiegslösung. Es folgten weitere Aufträge, zu denen der Nothelfer aus dem Frankenland jedes Mal anreisen musste. Bald fehlte es den mau sprudelnden Fontänen an Druck, dann wurde ein origineller Altar benötigt. Ende 1745 fuhr Clemens August mit seinem Gast auf den Kreuzberg, auf dem sich seit dem 15. Jahrhundert eine Wallfahrtsstätte befand, an der das Heilige Kreuz verehrt wurde und von dem man eine wundervolle Aussicht bis ins 25 km entfernte Köln hat. Clemens Augusts Ururgroßonkel und Vorgänger auf dem Kölner Stuhl hatte hier ein kleines Servitenkloster gestiftet und an den Chor von dessen recht schmuckloser Kirche angebaut, wünschte sich der Kurfürst eine Heilige Stiege.

Typisch Neumann

Zurück in Würzburg nahm sich Neumann die Prager Version der Heiligen Stiege zum Vorbild, von der er eine Planaufnahme in seinem Archiv hatte; allerdings in genau entgegengesetzter Richtung. Während sich in der Karlshofkirche das Haus des Pilatus mit seiner Fassade und dem Antritt der Treppe nach innen zum Kirchenschiff hin öffnet, steigt man in Bonn von außen hinauf bis zur abschließenden Kreuzigungsgruppe. Hinter dieser ist die Wand durch ein großes Fenster durchlichtet, das den Blick auf das von Johann Adam Schöpf gemalte Fresko im Gewölbe der Kreuzbergkirche öffnet – hinter dem und durch das Kreuz erschaut der auf der Stiege Betende bereits das dort gemalte Wunder der Auferstehung. In der Kirche wiederum kniet unterhalb dieses Fensters, durch welches Clemens August der Messe von seinem Oratorium aus folgen konnte, eine Figur der Heiligen Helena auf dem Hochaltar. Die Skulptur hält das eben erst aufgefundene Kreuz in ihren Händen, um es, gemäß dem Patrozinium, zu erhöhen. Altar, Kanzel und Fresken entstanden ebenfalls im Auftrag Clemens Augusts.

Die mit Heiligenreliquien versehene Heilige Stiege selbst ähnelt – typisch Neumann – eher dem Prachttreppenhaus auf Schloss Augustusburg und weniger dem wohl finsteren Treppenschacht, über den der arme Pilatus seine Jerusalemer Residenz betreten musste. Die Fassade der saalartigen Kapelle, auf die eine Walnussbaumallee zuläuft, gleicht daher auch eher einem eleganten Gartenpavillon, würde nicht der krönende Dachreiter von einem Doppelkreuz überhöht. Als Blickfang verschiedener Sichtachsen konnte der Kurfürst den noch heute von Wiesen umgebenen Stiegenbau schon von weitem sehen; etwa, wenn er von seinem Bonner Residenzschloss nach Schloss Clemensruh in Poppelsdorf fuhr oder zur Parforce-Jagd in den Kottenforst. Im Zentrum der zweigeschossigen Fassade steht auf dem von Säulen getragenen Balkon eine lebensgroße Ecce-Homo-Gruppe aus Tuffstein, die wie die Helenafigur von Willem Rottermondt und seinem Sohn geschaffen wurde.

Uhr der Todesstunde

Darüber zeigt eine täuschend echt aufgemalte Uhr die Todesstunde Christi. Die Darstellungen der Juden, welche sich ursprünglich in den Seitennischen befanden, fehlen. 1751 konnte die Heilig-Stiegenkapelle eingeweiht werden. Ob Clemens August zufrieden war? In der Fassadengestaltung ist dem Würzburger Genius jedenfalls ein grober Patzer unterlaufen, der zu seiner Zeit einen Connaisseur der Baukunst kaum ruhig hätte schlafen lassen. Während die Stockwerke der Front durch zwei übereinander gestellte Pilasterordnungen deutlich zweigeteilt sind, werden die Seiten von Kolossalpilastern rhythmisiert, die an der Hauptfassade keinerlei Entsprechung haben. Auch der Sockel verspringt seltsam und gegen jede Architekturtheorie, wodurch das Äußere der Ernsthaftigkeit des Innenraumkonzepts nicht gerecht wird. Die Heilige Stiege war jedenfalls Neumanns letzter Auftrag in Bonn.

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