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Amharen und Tigrayer: Sorge um den Frieden

Die Amharen und Tigrayer, die beiden einzigen mehrheitlich christlichen Völker Äthiopiens, sind in einen Konflikt geraten. Die Schuld daran trägt vermutlich die äthiopische Föderalisierung nach 1991.
Abune Mathias, Patriarch der äthiopisch orthodoxen Kirche
Foto: Imago Images/Itar-Tass | Selbst ein Tigrayer: Der Patriarch der äthiopisch orthodoxen Kirche, Abune Mathias (80), hat sich inzwischen auch zu Wort gemeldet.

Äthiopien war nach Armenien das zweite Land das im vierten Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion gemacht hat. Seither hat sich das Christentum dort, wie in Armenien, stark mit der Volkskultur verbunden und verwurzelt. So konnte es die wiederholten Anstürme des Islams und die Versuche der Portugiesen und Italiener, das Land zu latinisieren und zu beherrschen, überstehen. Als einziges Land Afrikas war Äthiopien deshalb nie eine Kolonie weder einer westlichen noch einer islamischen Macht. Das Christentum war über das nördliche Nachbarland Ägypten nach Äthiopien gekommen, die Christianisierung begann also im Norden Äthiopiens, in der heutigen Region Tigray. Die erste christliche Hauptstadt des Landes war Axum, heute die zweitgrößte Stadt der Region Tigray.

Axumiten beherrschten sogar weite Teile des Jemen, vor der Entstehung des Islams. Mit dem Aufkommen des Islams flüchteten Gefährten Mohammeds mit den Axumiten zurück nach Äthiopien, wo sie Gastrecht erhielten und so den Islam retteten. Im 13. Jahrhundert dehnte sich das äthiopische Christentum in der sogenannten „salomonischen Dynastie“ nach Süden über das Volk der Amharen aus, die neue Hauptstadt wurde Addis Abeba. Den salomonischen Kaisern gelang es sogar bereits muslimische Gebiete im Süden und Osten des heutigen Äthiopiens zu erobern, das äthiopisch orthodoxe Christentum wurde Staatsreligion, bis der letzte salomonische Kaiser (mit dem Titel Negus), Haile Selassie, 1974 von Kommunisten mit Moskauer Hilfe gestürzt wurde. Von 1974 bis 1991 befand sich das Land unter kommunistischer Herrschaft, die erst nach einem 17-jährigen Bürgerkrieg von einem Bündnis mehrerer ethnischer Gruppen abgeschüttelt wurde.

90 verschiedene Völker

Den vielen ethnischen Gruppen Äthiopiens wurden 1991 im Rahmen der äthiopischen Übergangsverfassung Anerkennung und Schutz ihrer eigenen Kultur und Identität zugesichert. Die stärkste Gruppe in diesem Bündnis war die Tigrinische Befreiungsbewegung (TPLF). Von 1991-2018 waren die Tigrayer, die nur sechs Prozent der Bevölkerung Äthiopiens stellen, die Führungsnation Äthiopiens, sie stellten die Mehrheit der Minister und faktisch die gesamte höhere Beamtenschaft. Das Erfolgsrezept der Tigrayer, mit solch wenigen Menschen ein Land von über 100 Millionen Einwohnern zu regieren, war das altbekannte Prinzip „Teile und herrsche“. In Äthiopien nennt man dieses Prinzip „ethnolinguistischer Föderalismus“.

Äthiopien ist nach Nigeria bevölkerungsmäßig das zweitgrößte Land Afrikas, hier leben neunzig verschiedene Völker. Die beiden größten rein christlichen Völker sind die Amharen und die Tigrayer, das größte Volk des Landes sind allerdings die Oromo, die zur Hälfte Christen und zur Hälfte Muslime sind. Seit 1995 ist Äthiopien föderal in neun ethnisch definierte Bundesstaaten aufgeteilt, jede Region Äthiopiens hat ihre eigene Nationalsprache, manche auch ihr eigenes Alphabet. Amharisch, die alte Sprache seit der Zeit der salomonischen Dynastie, ist die offizielle Arbeits- und Amtssprache auf der Ebene der Zentralregierung und Arbeitssprache in fünf der neun Bundesstaaten Äthiopiens.

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In der flächenmäßig und bevölkerungsmäßig größten Region Äthiopiens, Oromia, ist Amharisch jedoch keine Amtssprache mehr, hier hat die Sprache Oromo, die in lateinischen Buchstaben geschrieben wird, Amharisch verdrängt. Die Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba, die an der Grenze zu Oromia und Amhara liegt, ist zugleich auch Hauptstadt von Oromia und heißt als solche Finfinnee.

Bis 2018 dominierten die Tigrays

Äthiopiens größtes Problem ist die Übervölkerung des Hochlandes, wo die Bevölkerungsdichte bis zu 600 Einwohner pro Quadratkilometer erreichen kann, ganz gleich ob Oromo oder Amharen oder Tigrayer. Deshalb gab es bereits seit vielen Jahrzehnten einen Drang der Bergvölker in das umliegende weitaus weniger besiedelte Tiefland. Obwohl viele Menschen im ältesten Kulturvolk Afrikas gemischte ethnische Identitäten haben, sprengte dies die alten ethnischen Grenzen und führte zu neuen Konflikten, auch unter den beiden christlichen Völkern, Amharen und Tigrayern, die durch den ethnolinguistischen Föderalismus nicht gelöst sondern noch gefördert wurden.

Der Premierminister des Landes seit 2018 ist Abiy Ahmed, er verkörpert diese Vielfalt der ethnisch-gemischten Identitäten, wie kaum ein anderer. Als Sohn eines Oromo-Muslim-Vaters und einer Amhara-orthodoxen Christin ist er selbst nach seiner eigenen Aussage Angehöriger einer Pfingstkirche, wie sie überall in Afrika im Kommen sind. Abiy gelang es die beiden größten Völker Amharen und Oromo hinter sich zu scharen und eine Allianz gegen die Tigrayer zu schmieden. Auch die Eritreer, die bis 1993 noch zu Äthiopien gehörten und seit ihrer Abspaltung im Krieg mit Äthiopien lagen, bezog Abiy in diese Allianz ein und schloss Frieden mit dem Land, wofür er 2019 den Friedensnobelpreis erhielt. Das Friedensnobelpreiskomittee hatte damals nicht erkannt, dass der Friedensschluss eigentlich die Grundlage des jetzigen Krieges gegen Tigray war.

Als Abiy am 4. November 2020 die schlecht motivierte äthiopische Armee gegen Tigray aufmarschieren ließ, bildeten irreguläre Truppen aus Amharia und Eritrea bereits die Speerspitzen der Armee, der es zwar gelang die großen Städten und Täler Tigrays zu erobern, aber die TPLF zog sich in die Berge zurück und organisierte mit Hilfe aus Ägypten und dem Sudan den Widerstand.

Völkermord am Volk von Tigray

In dieser Situation meldete sich im Mai dieses Jahres auch erstmals der Patriarch der äthiopisch-orthodoxen Kirche, Abune Mathias (80), zu Wort. Abune Mathias ist selbst ein Tigrayer, er ist seit 2013 das Oberhaupt der etwa 40 Millionen orthodoxen Äthiopier. Er sprach in einer von US-Medien aus dem Land geschmuggelten Videobotschaft in amharischer Sprache von einem Völkermord am Volk von Tigray. Sein Patriarchat befindet sich in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Der Patriarch, der in der Zeit von Kaiser Selassie Erzpriester der Kathedrale von Addis Abeba war, ist innerhalb seiner Kirche und weltweit sehr respektiert, seine Worte haben Gewicht. Er wagte als erster Bischof der orthodoxen äthiopischen Kirche, allerdings von Jerusalem aus, 1980 Kritik an den kommunistischen Herrschern, die 1976 auch den Patriarchen hingerichtet hatten. 2019 hatte der Patriarch nach einer Reihe von Kirchenzerstörungen vor einer Entchristlichung Äthiopiens gewarnt. Damals hatte Staatspräsident Abiy damit gedroht eine „Oromisch orthodoxe Kirche“ zu gründen, etwa die Hälfte aller Oromo Christen haben seit 1975 der orthodoxen Kirche den Rücken gekehrt und sind Mitglieder von Pfingstkirchen geworden.

Ende Juni gelang der TPLF überraschend die Befreiung von fast ganz Tigray, 6 000 äthiopische Soldaten ergaben sich, Abiy verkündete einseitig einen humanitären Waffenstillstand und zog seine und die eritreischen Truppen zurück, nur einige Randgebiete werden noch von Amharenmilizen gehalten. Der Erfolg der TPLF gegen die weit überlegene äthiopische Armee war nur möglich durch massive Unterstützung der Tigrayer durch Ägypten und den Sudan. Beide Länder liegen mit Abiy im Clinch wegen eines Nilstaudamms in Äthiopiens, der bei seiner Auffüllung weiten Teilen Ägyptens und des Sudans das Wasser abgraben könnte. Die TPLF droht bereits den Krieg in andere Regionen des Landes und auch nach Eritrea, das zum wichtigsten Verbündeten Abiys geworden ist, zu tragen.

Zunehmende ethnische Konflikte

Durch den Konflikt um Tigray könnten weitere regionale ethnische Konflikte, wie etwas im Südsudan, rasant zunehmen. Wie das nie unterjochte Äthiopien seit 1959 vielen Ländern Afrikas den Weg in die Unabhängigkeit gezeigt hat, könnte das einstige Vorzeigeland Afrikas dabei dann allerdings eine negative Vorbildrolle übernehmen. Auch für das Ansehen des Christentums in Afrika wäre ein innerchristlicher Krieg der beiden ältesten christlichen Völker des Kontinents ein schlechtes Symbol.

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