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Wiener Pestsäule: Monument der Zuversicht

Die der Allerheiligsten Dreifaltigkeit geweihte Wiener Pestsäule erinnert daran, dass manchmal nur Beten hilft.
Wiener Pestsäule
Foto: Wiki | Wiener Pestsäule (Foto: Wikipedia)

In der Krise, so heißt es, zeige sich der Charakter. Wird der Mensch dem Mitmenschen ein Wolf? Wächst er über sich hinaus oder wird er gar zum Heiligen? Wenn das vertraute Gefüge des Alltagslebens brüchig wird, die bisherigen Lebensgewissheiten auf die Zerreißprobe gestellt werden, zeigt sich die Belastbarkeit der dünnen Zivilisationskruste, die eine Gesellschaft verbindet. Festigt sich ihr Zusammenhalt oder zerfällt sie ins Chaos des Faustrechts?

Gegen die Pest war kein Kraut gewachsen, da half nur Beten.

Nein, Corona ist nicht der Schwarze Tod. Und doch erleben auch wir Anfechtungen an unser Menschsein, die wir vor Wochen noch kaum für möglich gehalten hätten; die mühsam vom Verstand in Schach gehaltene, hochkriechende Angst in uns, die Gier nach letztmaliger Schwelgerei; die übertriebene Panikmache oder das gedankenlose Kleinreden der Bedrohung durch die Geschwätzigen. Der Glaube kann ein Anker sein, Erdung in tobender See, Heimstatt in brüllender, entflammter Nacht. Ein buchstäbliches Monument dieser aus dem Glauben erwachsenden Zuversicht und Hoffnung ist die der Allerheiligsten Dreifaltigkeit geweihte Säule am Wiener Graben, die Wiener Pestsäule.

1679: der Tod lauerte vor den Toren Wiens

Noch Anfang Juli des Jahres 1679 schwelgte die Kaiserstadt an der Donau in sommerlicher Üppigkeit. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Leopold I., war in seiner Burg von einem glanzvollen Hof umgeben, aus den Palästen des Hochadels drang Musik, auf den Plätzen und Gassen drängten sich wohlhabende Bürger und Zugereiste und „nichts manglete/ was zu Lust vnd Gust der Welt kunte traumen“, wie der große Barockprediger Abraham a Sancta Clara formulierte. Kaum einer nahm zur Kenntnis, dass der Tod bereits vor den Toren lauerte.

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Weit weg schien die Leopoldstadt, die nur wenige Schritte jenseits des Donaukanals gegenüber dem Roten Turm gelegene Vorstadt, in der das Sterben schon im Spätherbst des letzten Jahres begann. Bis zu ihrer Vertreibung vor knapp einem Jahrzehnt hatten dort Juden gewohnt, nun sind es „Batzenhäussler“ und „Winkelleute“, überwiegend kleine Handwerker und Tagelöhner, die sich das Bürgerrecht der Stadt Wien nicht leisten können. Mit den steigenden Temperaturen mehrten sich im Frühjahr auch die Fallzahlen. Besonders grassierte das „hitzige Fieber“ unter den Soldaten der Stadtguardia, die an den Stadttoren die Reisenden zu kontrollieren hatten und wie die Fliegen starben.

Keine universitäre Belehrung zur Diagnose erwünscht

Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Paul de Sorbait, stellte als erstes die richtige Diagnose: Es war die Pest, die – wie eine Vorahnung des bevorstehenden Türkensturms aus dem Osmanischen Reich kommend – schon in Ofen (Budapest) und Raab (Györ) gewütet hatte. Aber die städtischen Ärzte verbaten sich aus Konkurrenzgründen und Eifersüchteleien jedwede Belehrung seitens der Fakultät. Außerdem galt es, eine prächtige, aus etlichen hundert Personen bestehende, moskowitische Gesandtschaft zu empfangen sowie den päpstlichen Legaten und den neuen polnischen Botschafter glanzvoll einzuholen – farbenprächtige Spektakel staatlicher Selbstdarstellung, die nicht abgesagt werden durften und eine Menge Schaulustiger anzogen. Die Leute hätten „gnug zu gaffen gehabt/ warbey das versamblete Volck in den Gassen beederseits wie ein lebendige Ring-Mauren gestanden“.

Es starb ein Drittel der Wiener Bevölkerung

Mitte Juli, unmittelbar nach diesen Spektakeln, stieg die Zahl der Infizierten auch in den vornehmen Vierteln der Inneren Stadt sprunghaft an. Anfangs wurden die Erkrankten noch ins Lazarett am Alserbach gebracht. Bald aber mussten in aller Eile weitere Notfall-Siechenlager und Keuchen eingerichtet werden. Wie wenige Jahre später vor den herannahenden Türken, floh der Kaiser aus seiner Hauptstadt und in seinem Windschatten der Adel sowie ein großer Teil der Ärzteschaft. Gegen die Pest war kein Kraut gewachsen, da half nur Beten.

In Wien, wo man die Seuche zunächst ignoriert hatte, brach das Chaos aus. Städtische Beamte bereicherten sich an den Verstorbenen; Schulen, Gerichte und Universität wurden geschlossen. Die Siechenknechte, welche die Todesopfer einzusammeln hatten, kamen mit ihrer Arbeit nicht mehr hinterher; tagelang lagen die Leichen auf den Straßen. Schließlich wurden Gefangene dazu gezwungen, die Toten abzutransportieren, in Pestgruben zu werfen und mit ungelöschtem Kalk zu bedecken. Auch zahlreiche Geistliche, die den Kranken letzte Tröstungen spendeten, fielen der Seuche zum Opfer.

Aus Angst vor Ansteckung brach auch noch die Lebensmittelversorgung zusammen und der Hunger griff um sich. Nur der Bischof von Wiener Neustadt erbarmte sich und sandte zweimal wöchentlich mit „Victualien“ beladene Wagen ins Katastrophengebiet. Im September erreichte die Seuche ihren Höhepunkt, ehe sie bis zum April 1680 abebbte – ein Drittel der Wiener Bevölkerung war tot.

Pestsäule nach kaiserlichem Gelübde

In Wien erinnert vor allem die in Erfüllung eines kaiserlichen Gelübdes errichtete Dreifaltigkeitssäule an die Epidemie. Nach der Türkenbelagerung von 1683 wurde zunächst Matthias Rauchmiller beauftragt, eine zuvor in Holz errichtete Säule durch ein steinernes Monument zu ersetzen. Der Bildhauer hinterließ nach seinem baldigen Tod aber lediglich drei Engelsfiguren. Es folgten mehrere neue Entwürfe, unter anderem von Johann Bernhard Fischer von Erlach, der für das Skulpturenprogramm am Fuß der Säule verantwortlich zeichnete. Schließlich wurde das Projektmanagement an den Skulpteur Paul Strudel vergeben, der seine Arbeit auf das Konzept von Lodovico Burnacini stützte. Durch den Theateringenieur wandelte sich das Prestigeprojekt von einer bloßen Andachtssäule zu einer durchkomponierten, barocken Inszenierung voll allegorischer Symbolik.

Krisenzeiten sind Zeiten der Regierung

Der Entwurf sah eine dreiseitige Wolkenpyramide aus weißem Untersberger Marmor vor, die von einer vergoldeten Gruppe der Allerheiligsten Dreifaltigkeit gekrönt wird. Die Dreizahl wiederholt sich sowohl im Auf- wie auch im Grundriss. Dreigeteilt ist der reliefgeschmückte Sockel mit seinen vergoldeten Wappenschilden und Widmungsinschriften, über dem sich die Zone der Engel, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, erhebt. Von drei Seiten ballen sich dort Wolkenhaufen zu einer obeliskenförmigen Säule auf und kräuseln sich empor in Wirbeln, aus denen zahlreiche kindergesichtige Seraphsköpfe hervorlugen, während neun Engelsfiguren die Engelschöre repräsentieren; die oberste, dritte Ebene bleibt der Trinität vorbehalten.

Ins Zentrum des hochbarocken Monuments rückte Theatermacher Burnacini freilich eine Darstellung des Monarchen, denn Krisenzeiten sind Zeiten der Regierung. Allerdings zeigt er den allzeit Fluchtbereiten nicht als Sieger hoch zu Ross, was wohl auch kaum glaubhaft gewesen wäre. Der Kaiser erscheint kniend, in demütiger Pose, wie er – als Erster seiner Völker und im Glauben – sein Reich den Mächten des Himmels anempfiehlt.

Patriotisch im Gebet geeint

Mit diesem Kunstgriff wurde das 1693 geweihte Denkmal zum Triumphzeichen Leopolds, denn in ihrer barocken Theatralik und Dramaturgie verewigt die Dreifaltigkeitssäule nicht etwa Leopolds private Religiosität. Sie setzt vor allem die „Pietas Austriaca“, die Frömmigkeit seiner Dynastie und damit des Staates in Szene. Gerade durch seine Flucht siegt der „Türkenpoldl“; allein durch die Kraft seines Glaubens, durch die Macht seiner – durch die Votivsäule bezeugtermaßen – von Gott erhörten Gebete. Unter seinem Regiment und dank seiner Fürbitte – und auch bildlich gesprochen unter ihm – überwindet in einer Figurengruppe der christliche Glaube die Pestilenz. Indem die Säule den über dieser Szene knienden Kaiser zum direkten Vermittler zwischen Gott und den Menschen überhöht, wirbt sie dafür, sich in Notzeiten hinter dem Herrscherhaus zu versammeln; patriotisch geeint im Gebet. Der augenfällige Appell an den in Krisen so wichtigen Gemeinsinn und an die aus Glaubensgewissheit geschöpfte Hoffnung ließ die Wiener Pestsäule daher zum vielfach nachgeahmten Vorbild für ähnliche Denkmäler in den Ländern der Habsburgermonarchie werden.

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