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Martin von Tours: Geschichte und Legende

Ein Europäer, der mit anderen teilt: Vor 1 700 Jahren wurde im ungarischen Szombathely der heilige Martin von Tours geboren: Renovabis ehrt ihn als Europa-Heiligen. Von Thomas Schumann
Martin von Tours, spätmittelalterliche Darstellung
Foto: IN | Der heilige Martin von Tours, spätmittelalterliche Darstellung, Italien.

Über die Heiligen aus der Zeit der Spätantike wird häufig in Legenden erzählt. Von Martin von Tours gibt es beides: historische Dokumente und Geschichten über sein Wirken. Eines ist am 1 700. Geburtstag dieses menschenfreundlichen Volksheiligen, der Alt und Jung bis heute bewegt, jedoch klar: In Europa bräuchte es auch in unserem Zeitalter mehr Menschen von seinem Schlag, mit seinem Werteverständnis: Männer und Frauen, die mit Kopf, Herz und Hand an ihren Mitmenschen handeln, in ihnen Gott erkennen.

Martin überwindet Grenzen zwischen Völkern, zwischen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Ungleichheit. Martin geht an die Ränder, stiftet Frieden, ja, der „Soldat Christi“ streitet für Menschenrechte. So wie Martinus Solidarität und unterschiedslose barmherzige Nächstenliebe gelebt hat, so sollten sich die Völker Europas und die Menschen auf der ganzen Welt gegenseitig achten und sich das Zusammenleben erleichtern. Bei diesem Ziel unterstützt Renovabis die Menschen im Osten Europas: damit alle Bewohner dieses Kontinents in Ost und West zusammenwachsen.  

Leben und Wirken des Martin von Tours

Im Jahr 316 – vor 1 700 Jahren – geboren im antiken Savaria in der damaligen römischen Provinz Pannonien, ist Martinus, der Sohn eines hochrangigen Militärbeamten, dazu bestimmt, seinerseits als Offizier Kaiser und Römischem Imperium treu ergeben zu dienen. Damit steht fest: Martin wird herumkommen im Weltreich. Seine mit 15 Jahren beginnende Karriere beim Militär bescheren dem Centurio Martinus, der aus Südosteuropa kommend mit dem Vater den Standort wechselt und im lombardischen Pavia aufwächst, bereits in jungen Jahren viel Lebenserfahrung. Bereits vor der militärischen Laufbahn kommt er mit dem Christentum in Berührung, wird sogar Taufbewerber und bereitet sich als Katechumene auf ein christliches Leben vor.

Die Dienstverpflichtung bei der berittenen Leibwache von Kaiser Konstantin II. hindert ihn zunächst, sich taufen zu lassen. Später wird der junge Hauptmann nach Gallien versetzt. Vor einer Schlacht gegen die Germanen nahe dem Heerlager der Civitas Vangionum, dem heutigen Worms, verweigert Martinus den Gehorsam: Er argumentiert, er sei „von nun an nicht mehr miles Caesaris“, ein Soldat des römischen Kaisers, „sondern miles Christi“, Soldat Christi, und bittet um die Entlassung aus dem Armeedienst. Der Kaiser bezichtigt ihn der Feigheit vor dem Feind und missachtet Martins edles Motiv, dass ihm die Liebe zu Gott wichtiger sei. Seine Entlassung wurde ihm lange verweigert; erst nach Ableistung seiner 25-jährigen Dienstzeit im Alter von 40 Jahren wurde Martinus im Jahr 356 aus dem Militär pensioniert.

Entscheidung für das Christentum 

Martinus hat es als Christ von Anfang an nicht leicht: Ihm liegt daran, sich zu seinem neuen Weg öffentlich zu bekennen; doch er muss zunächst – auch noch – dem Kaiser dienen. In Gallien entscheidet sich der Elitesoldat endgültig für seinen Christengott, sehnt sich nach der Taufe, die er – inzwischen Mitte Dreißig – von seinem Lehrer Hilarius im Jahr 351 empfängt. Er zieht sich einige Jahre als Einsiedlermönch zurück. Eine Reise führt ihn zurück nach Pannonien: Er überzeugt seine dort verbliebene Mutter von seinem neuen Glauben. Zurück in Gallien lebt er seine Berufung als Missionar – auch, weil er sich immer weniger dem Ansturm vieler Ratsuchender entziehen kann.

Martinus errichtet im Jahr 361 in Ligugé in Gallien das erste Kloster des Abendlandes, sowie im Jahr 375 in der Nähe von Tours das Kloster Marmoutier. Drei Jahre zuvor – am 4. Juli 372 – war Martin zum Bischof von Tours geweiht worden; die Menschen hatten den bescheidenen Klosterbruder, der in der gesamten Region als Ratgeber und Nothelfer bekannt war, gegen den Widerstand einiger Bischöfe durchgesetzt.

Der neue Bischof Martin lebt allen die Tugend der Demut vor: Statt in der Stadt zu residieren, wohnt er zuerst lieber in einer Holzhütte vor der Stadtmauer. Eine karge Klosterzelle in dem von ihm über der Loire auf einem Felsen gestifteten Kloster Marmoutier sucht er sich später anstelle eines Palais aus. Als Bischof legt er Wert auf Besinnung, Askese und Distanz zur weltlichen Geschäftigkeit. Diese Werte seiner Gründung prägten, verbunden mit kulturellem Engagement und weltzugewandtem Missionsapostolat, über Jahrhunderte die abendländische Klostertradition.

Ein Vorbild für barmherziges Handeln

Von Tours-Marmoutier aus unternimmt Bischof Martin zahlreiche Missionsreisen durch das Land und über sein Bistum hinaus, etwa nach Chartres, Paris, Trier und Mainz. Martin verkörperte das Ideal des asketischen Mönchs als Priester, Arzt und Nothelfer. Er heilt – etwa, wie überliefert ist, einen Leprakranken –, stärkt die Getauften und die Nichtchristen wortgewaltig mit Jesu Botschaft, wie sein Biograf Sulpicius Severus schreibt. Neben Heilungen beeindruckt Martinus durch seinen über alle Verdächtigungen erhabenen Gerechtigkeitssinn. Es wird über Bischof Martin berichtet, dass er auch durch persönlichen Einsatz die Ausführung schwerer Strafen verhindert hat, die auf geringe Vergehen erlassen worden waren. In einem Fall soll er eine ganze Winternacht vor einem Burgtor protestierend ausgeharrt haben, um für einige arme Sünder Leben und Freiheit zu erlangen.

In Martins ursprünglicher Lebensbeschreibung wird auch geschildert, wie der Bischof unerbittlich gegen nichtchristliche Kultstätten, vor allem gegen keltische Baumheiligtümer, vorgeht. Aber er beließ es nicht bei der Ablehnung; Martin versucht es mit Inkulturation und widmet die heidnischen Kultstätten, Kulte, Feste und Bräuche christlich um, belebt sie neu. Im Bischofsamt trifft Martinus mit den Großen seiner Zeit zusammen, unter anderem auch mit den Kaisern Valentinian I. und Maximus. Bischof Martin festigt die Christianisierung der Landbevölkerung durch die Errichtung von Pfarrgemeinden.

Die Legende des Martin von Tours

Der heilige Martin teilt den Mantel
Foto: A. Drouve

Die Bestärkung auf seinem Weg zum Christentum hat sicher auch etwas mit der Legende zu tun, die den heiligen Martin bis heute zum populären Vorbild barmherzigen Handelns macht: Vor den Toren von Amiens teilt er mit einem Bettler seinen warmen Soldatenmantel. Dass ihm in dem bedürftigen Weggenossen Christus selbst begegnet ist und Martin seine Barmherzigkeit durch die solidarische Tat gemäß dem Jesuswort „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ beweist, macht ihn quasi „subito“ zum Heiligen.

Sein mutiges Handeln, das schließlich gleichzeitig auch den purpurnen Prunkumhang seiner staatlichen Uniform zerschneidet und den alleinigen Gehorsam zum römischen Kaiser abschneidet, führt ihn unweigerlich in eine neue Welt: Er begegnet Gott und teilt ihn fortan mit den Menschen.

Der Tod des heiligen Martin von Tours
Foto: KNA

Martin von Tours ist am 8. November 396 oder 397 gestorben. Er muss also etwa 80 Jahre alt geworden sein. In dem Ort Candes an der Loire hatte er gerade die Pfarrei visitiert. Per Floß wird Martins Leichnam gut 50 Kilometer drei Tage lang bis nach Tours überführt. In der Bischofsstadt findet die Beisetzung am 11. November statt. Bemerkenswert: Überall am Ufer der Loire erblühen bei der letzten Reise des toten Bischofs plötzlich weiße Blumen: Die Leute überlieferten den „Sommer des heiligen Martin – mitten im November!“ Obwohl es üblich ist, den Todestag eines Heiligen für seine Verehrung auszuwählen, wurde es beim heiligen Martin der Bestattungstag.

Der heilige Martin steht für Frieden und Solidarität

Es liegt auf der Hand, dass Papst Franziskus besondere Freude am Lebenszeugnis des heiligen Martin hat, gerade zum Abschluss des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit: Das Vorbild eines Christen, der im entscheidenden Moment seines Lebens „an die Ränder“ gegangen ist. Martin von Tours ist nach Worten des Papstes ein „Lehrmeister der Herzlichkeit, der Aufnahme Notleidender sowie auch der Nächstenliebe“. Das hat Papst Franziskus am 11. November 2015, dem Martinstag, bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz erklärt. Der heilige Martin ist auch Stadtpatron von Buenos Aires und Franziskus war selbst in seiner argentinischen Zeit in der Martinskirche der Hauptstadt tätig.

Der heilige Martin steht für Frieden und Solidarität, für mehr Aufmerksamkeit gegenüber Randgruppen. Er setzte sich für Schwächere ein, für Gerechtigkeit, für Menschenrechte und für Barmherzigkeit: Deshalb ist Sankt Martin der Patron der Armen, der Bettler, der Geächteten, Flüchtlinge, Gefangenen, Abstinenzler, der Kriegsdienstverweigerer und ebenso der Soldaten und der Reisenden, der Reiter und der Schneider. Martin ist der Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei. Er wird als Landespatron des Burgenlandes und als Patron der Stadt Mainz, des Eichsfelds sowie als Patron des Mainzer Doms verehrt. Martin ist auch Patron des ungarischen Bistums Szombathely (Steinamanger), des burgenländischen Bistums Eisenstadt in Österreich und des deutschen Bistums Rottenburg-Stuttgart. Ebenso ziert sein Bild das Wappen vieler Städte und Gemeinden. Mit Recht darf man ihn wohl einen Heiligen, einen Patron Europas nennen.

Ein Gemälde im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit

Heiliger Martin von Tours
Foto: Renovabis 2016

Der rumänische Künstler Sebastian Hosu hat den heiligen Martin von Tours zu dessen 1 700. Geburtstag gemalt – im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Diesen, den Osten mit dem Westen Europas verbindenden Heiligen, wollte Hosu als moderne Ikone schreiben, wie er sie aus der orthodoxen Kirche kennt. Dabei kam es ihm darauf an, mit seiner transparenten Maltechnik die Offenheit und das Durchscheinen Gottes – besonders im Gesicht des Heiligen – auszudrücken. Deshalb wählt er auch ganz bewusst unscharfe Konturen. Mit einem sehr eindringlichen Himmelsblau, der Farbe des Göttlichen, bedeckt er seine Martinsgestalt. Als liturgische Farbe heute eher unbekannt, steht solches Blau für Maria und eben für Bekenner, die keine Märtyrer waren.

Dieser Mantel ist für den Künstler zentral, vor allem weil Christus damit im Traum des heiligen Martin bekleidet war. Der geheiligte Mantel geht an den Mantelteiler zurück; der Künstler hüllt seinen Martin ganz in Gottes Umhang ein. Hingegen gibt sein Porträt keine konkrete Tat der Barmherzigkeit vor. Der Betrachter soll sich – etwa aus dem auf Gott verweisenden, durchsichtigen Gesicht – inspirieren lassen, wie er selber barmherzig handeln könnte. Auch Martins Bischofsamt deutet Hosu nur an. Das kleine Medaillon außerhalb der eigentlichen Ikone ruft die Schlüsselgeschichte von Martins Mantelteilung mit dem Bettler in Erinnerung. DT/Schumann

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