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Malca Goldstein-Wolf: Als Jüdin einfach normal leben

Drohungen gegen Juden in Deutschland haben Malca Goldstein-Wolf zur Aktivistin gemacht: Sie kämpft gegen antisemitische Heuchelei und sammelt Geld für soziale Projekte in Israel.
Malca Goldstein-Wolf ist eine „spätberufene“ jüdische Aktivistin.
Foto: HF | Malca Goldstein-Wolf ist eine „spätberufene“ jüdische Aktivistin.

Über ihr Privatleben sagt Malca Goldstein-Wolf lieber wenig. Ihren Ehemann und ihren 32-jährigen Sohn will sie schützen. Sie muss es auch, denn eine Aktivistin gegen Antisemitismus lebt in ständiger Bedrohung. Allein im Internet wimmelt es von tausenden Anfeindungen gegen Malca Goldstein-Wolf, 52. Rechte, linke, muslimische Judenhasser toben sich an ihr aus. Vor allem von links und vom Islamismus droht deutschen Juden heute Gefahr, stellt sie fest.

Deshalb hatte sie für Mitte Oktober in der Hamburger Innenstadt zu einem Schweigemarsch aufgerufen. Aktueller Anlass war einen Monat zuvor die Attacke eines 16-jährigen Muslims auf Michael T., der unweit des Hauptbahnhofs für Israel Mahnwache hielt. Der 60-jährige Mann wurde krankenhausreif geschlagen – Joch- und Nasenbeinbruch, um die Sehkraft eines Auges bangt er bis heute. Goldstein-Wolf initiierte über Facebook die Protestveranstaltung, vor allem um dem Opfer und dessen 79-jährigen Mutter das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.

Beruhigende Solidarität

Rund 300 Teilnehmer zogen unter Polizeigeleit zwei Stunden lang um die Binnenalster und fielen sich zum Abschluss unter Konservenklängen von Barbra Streisands Version der israelischen Nationalhymne HaTikva (zu deutsch: Hoffnung) in die Arme. Die Mutter von T. schrieb am nächsten Morgen an Goldstein-Wolf, sie hätte nach vier Wochen zum ersten Mal wieder schlafen können. „Solidarität beruhigt eben Herz und Seele“, meint Goldstein-Wolf dazu.

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Ihr Leben als jüdische Aktivistin war nicht geplant, eher eine Spätberufung. Vor zehn Jahren, gut 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hätte man annehmen können, dass Judenfeindlichkeit in Deutschland zu einem gesellschaftlichen Randphänomen abgeschmolzen wäre. Damals meldete sich Goldstein-Wolf bei Facebook an, „eigentlich um meinen Sohn ein bisschen zu kontrollieren. Naiverweise habe ich das mit meinem Klarnamen gemacht“. Als sie begann, „Tatort“-Sendungen zu kommentieren oder Artikel von Frauenzeitschriften, „habe ich schnell festgestellt, dass das mit dem Namen Goldstein gar nicht so einfach ist“. So schrieb jemand unter eine harmlose TV-Kritik: „Ach, die Juden wieder!“

Goldstein ist der Name ihres Vaters, eines Juden aus Rumänien, der mit 17 vor den Nazis nach Palästina flüchtete. Er diente als Soldat im jungen Staat Israel, kam später nach Frankfurt am Main und heiratete in den sechziger Jahren eine Christin. „Der Standesbeamte meinte damals, so eine Mischehe sei früher nicht möglich gewesen“, erzählt Malca Goldstein-Wolf. Die junge Ehefrau war über diese Bemerkung so erbost, dass sie umgehend zum Judentum übertrat – „als Liebesbeweis“, wie ihre Tochter sagt. Nachdem Malca 1969 zur Welt kam, konvertierte das Mädchen mit sechs Jahren ebenfalls zum Judentum. „Das war natürlich die Entscheidung meiner Eltern. Für mich hat der Glaube nie eine große Rolle gespielt, wichtiger ist mir bis heute der jüdische Zusammenhalt.“

Verheiratet mit einem Katholiken

Auch nachdem sie den Katholiken Hans-Günter Wolf heiratete, „der beste Ehemann von allen“, wie sie ihn nennt, hat sie ihren Geburtsnamen Goldstein beibehalten – „um meinen Vater zu ehren“. Sie brach ihr Jura-Studium ab, als ihr Sohn geboren wurde, begann später in einem Modeunternehmen zu arbeiten und war dort bis vor zehn Jahren Vertriebsleiterin. Dann stieg sie aus, um sich der Betreuung von Obdachlosen in Köln zu widmen. Ehemann Hans-Günter sorgt als Banker für den Lebensunterhalt und finanziert auch ihr heutiges Engagement. „Du bist unser soziales Gewissen“, pflegt er zu seiner Frau zu sagen.

Vor drei Jahren hörte sie im Autoradio, dass der WDR ein Konzert des einstigen Pink-Floyd-Bassisten Roger Waters sponserte. Waters ist ein prominenter Protagonist der Israel-Boykott-Bewegung BDS, die der Bundestag als antisemitisch verurteilt hat. „Ich wusste, dass er bei Konzerten riesige Luftballons in Schweinsform mit Judenstern abschießen lässt“, berichtet Goldstein-Wolf. Also startete sie eine Petition und schickte sie an den WDR-Intendanten Tom Buhrow. Und tatsächlich schrieb Buhrow zurück, er nähme ihre Sichtweise ernst, und beendete die Zusammenarbeit mit Waters. Auch andere Intendanten folgten Buhrows Schritt. Waters rief auf mehreren Konzerten: „Malca Goldstein-Wolf, sie will meine Karriere ruinieren!“ Aus der ganzen Welt schlugen trafen daraufhin Hassmails ein. Roger Waters war für sie eine Art Damaskus-Erlebnis: „Ich habe begriffen, dass ich als einzelne Person etwas erreichen kann.“ Seither zieht sie in Amazonen-Pose gegen antisemitische Umtriebe zu Felde. „Ich will gar nichts Besonderes sein. Ich will als Jüdin einfach normal leben.“ Ihr Cockpit ist ihr Facebook-Account, mit dem sie ihre vieltausendköpfige Community aktiviert, um ihren Protest zu verbreiten. Scheu vor großen Tieren zeigt sie dabei nicht.

Kritik an Steinmeier

Erst neulich wieder hat Goldstein-Wolf den Bundespräsidenten aufs Korn genommen. Das geht dann so: Sie postet bei Facebook eine Meldung aus der Jüdischen Allgemeinen, wonach Frank-Walter Steinmeier am 18. November in New York mit der renommierten Leo-Baeck-Medaille ausgezeichnet und vom Präsidenten des World Jewish Congress, Ronald S. Lauder, mit einer Laudation geehrt wird. Über den Artikel stellt sie ihren Kommentar: „Axel Springer war ein würdiger Preisträger, Bundespräsident Steinmeier ist es nicht. Wenn Auszeichnungen zu einer politischen Farce verkommen, können sich informierte Menschen nur schämen.“

Informierte Menschen wissen nämlich, dass Steinmeier 2019 der Regierung in Teheran zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution ein Glückwunsch-Telegramm geschickt hat, „auch im Namen meiner Landsleute“, wie es darin hieß. Dies erzürnt Goldstein-Wolf bis heute: „Bundespräsident Steinmeier ruft zwar gerne staatsmännisch zum Kampf gegen Antisemitismus auf, schickt aber gleichzeitig ein Glückwunschtelegramm an das Mörderregime, den Iran, dessen erklärtes Ziel die Auslöschung Israels ist.“ Auch Außenminister Heiko Maas, der bekanntlich wegen Auschwitz in die Politik ging, hat Goldstein-Wolf im Visier. „Das Auswärtige Amt gilt für viele als Brutstätte von Judenhass“, stellt sie fest.

Nach Angaben der Genfer Organisation UN Watch hat die UNO 2020 mehr Resolutionen gegen Israel verabschiedet als gegen jedes andere Land. Von 23 Resolutionen richteten sich 17 gegen den jüdischen Staat. Deutschland hat dabei elf Mal gegen Israel gestimmt. Und dies, obwohl die Bundesregierung die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. Aber „den Glauben an die deutsche Staatsräson haben viele Juden bereits verloren“, sagt Goldstein-Wolf. „Und das hat nichts mit unsäglichen Gestalten wie Höcke zu tun.“

Jüdische Weisheit setzt nicht auf den Glauben

Jüdische Weisheit setzt nicht auf den Glauben eines Menschen, sie ist eher ein praktischer Kompass, um Verwirrungen entknoten und Kompliziertes überschaubar zu machen. Menschliche Gesinnungen sind im Judentum nicht viel wert, umso wichtiger ist, was ein Mensch tut. Malca Goldstein-Wolf gibt nicht viel auf ihre jüdische Gläubigkeit. „Ich bin nicht religiös. Null!“, sagt sie. „Ich bin eine säkulare Jüdin, die an hohen Feiertagen auch mal in die Synagoge geht, aber nicht koscher lebt.“ Dafür trommelt sie in den Sozialen Medien immer wieder für ihre Spendenaktionen. Dass sie vor zwei Jahren mit Hilfe ihrer vieltausendköpfigen Facebook-Community „sagenhafte zehn Prozent“ der Kosten für den Bau eines Heimes für Holocaust-Überlebende in Israel sammeln konnte, macht sie heute noch stolz. Gerade hat sie binnen 24 Stunden 7 000 Euro für Chanukkah-Geschenkpakete an die 70 Heimbewohner eingeworben, drei Tage später ist es schon mehr als das Doppelte. „Auf meine Facebook-Family ist eben Verlass“, schwärmt sie. „Es ist erstaunlich, wie stark man gemeinsam sein kann.“

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