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Lalibela in Äthiopien: Elf Kirchen aus einem Stein

Im Hochland Äthiopiens befindet sich der größte christliche Wallfahrtsort in Afrika, das nach dem legendären Kaiser benannte Lalibela.
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Foto: dpa | Sagenhaftes christliches Reich: In Lalibela ruhen seit fast 800 Jahren elf Felsenkirchen im roten Tuffstein, darunter mit Bet Medhane Alem die größte monolithische Kirche der Erde.

Alles begann mit einem Traum. Eines Nachts erschien der Erzengel Gabriel einem Prinzen namens Gebra Maskal und befahl ihm, aus einem einzigen Stein zehn Kirchen zu errichten. Es war nicht das erste Mal, dass himmlische Zeichen den Adelsspross umgaben. Noch in der Wiege liegend wurde er von einem Bienenschwarm beschützt, von dem auch sein Beiname herrührt, unter dem er weltbekannt werden sollte – Lalibela, „der von den Bienen Erkorene“. Den göttlichen Beistand hatte der Sohn des Negus Negest, des Kaisers von Äthiopien, auch dringend nötig, denn aufgrund der komplizierten Erbfolge herrschten in der regierenden Zagwe-Dynastie Mord und Totschlag. Nachdem Lalibela endlich selbst den Thron bestiegen hatte, machte er sich daran, den rätselhaften Auftrag des Engels zu erfüllen.

Die Engel des Herrn übernahmen die Nachtschicht

Zehn Kirchen aus einem einzigen Stein? Lalibela fand eine ungewöhnliche Lösung. Mit eigener Hand schlug er die bestellten Gotteshäuser aus einer einzigen Felsformation. Legte der Kaiser des Abends Spitzhacke und Hammer nieder, so übernahmen die Engel des Herrn die Nachtschicht und vollbrachten das Doppelte der kaiserlichen Tagesleistung. Als Werk der Engel entstand in wenig mehr als 20 Jahren der größte christliche Wallfahrtsort in Afrika: das „Schwarze Jerusalem“, das nach dem kaiserlichen Bauarbeiter benannte Lalibela. So zumindest weiß es die Legende; erst allmählich gelingt es den Archäologen, Licht in die zahlreichen Dunkelzonen der Geschichte dieses afrikanischen Landes zu werfen, welches nie vollständig kolonialisiert wurde.

Die christlich-jüdischen Wurzeln Äthiopiens reichen weit zurück. Das nach seiner in Nordäthiopien gelegenen Hauptstadt benannte Reich von Axum war in der Spätantike eine bedeutende Handelsnation, die mit ihrem Hafen Adulis im heutigen Eritrea den Zugang zum Roten Meer kontrollierte. Bis in den Sudan und an die Küsten des Jemen reichte der Einfluss der Axumiter-Könige; im Tausch gegen Gold, Weihrauch und Elfenbein exportierten die Römer dorthin Textilien, Keramik, Glas und Metallwaren. Auf einem dieser schwer beladenen Handelsschiffe wollten auch die aus Tyros stammenden Brüder Frumentios und Aidesios mit ihrem Onkel nach Indien reisen. Vor der äthiopischen Küste aber wurde das Schiff aufgebracht und die Kinder gelangten als Sklaven in den Besitz des axumitischen Königs. Die Beiden erwarben sich das Vertrauen ihres Besitzers und Frumentios bekehrte viele Axumiter zum Christentum; darunter den Thronfolger Ezana, dessen Herrschaft durch Münzfunde gut belegt ist. Im Jahr 343 weihte Patriarch Athanasios der Große von Alexandrien den „Apostel Abessiniens“ zum ersten Bischof von Axum. Die Äthiopier nannten Frumentios „Abba Salama“ („Vater des Friedens“), ein Titel, den das Oberhaupt der äthiopischen Kirche noch heute trägt.

Mit der Expansion des Islam in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts wurde das christliche Reich der Axumiter von den Handelswegen entlang der Küste abgeschnitten; sein Untergang zog sich über 300 Jahre; erst den Zagwe-Herrschern gelangen wieder namhafte Eroberungen. Unter anderem brachten sie auch das Hochland von Äthiopien unter ihre Herrschaft, wo das Städtchen Lalibela mit seinen elf zum UN-Welterbe zählenden Felsenkirchen liegt. Mit einfachsten Mitteln wurden die durch ein Labyrinth von Treppen, Tunneln, Höfen und Galerien miteinander verbundenen Gotteshäuser aus dem anstehenden Felsen gehauen.

Über zehntausend Äthiopier kommen jährlich als Pilger

Die genauen Baudaten sind unbekannt, archäologische Untersuchungen haben aber ergeben, dass die ältesten Ruinen vermutlich auf das 8. Jahrhundert n. Chr. datieren und ursprünglich als Festung dienten. Gräberfunde lassen darauf schließen, dass Roha, wie der Ort vor seiner Namensänderung hieß, heidnisch geprägt war; erst nach der christlichen Eroberung wurden die Bestattungen einheitlich nach Osten ausgerichtet. Die Felsenkirchen, welche die Tradition in die Regierungszeit Kaiser Lalibelas (circa 1181–1221) rückt, entstanden in einer ersten Phase vom 11. bis zum frühen 12. Jahrhundert sowie in einer zweiten vom späten 12. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Einesteils wurden sie nötig, weil Wallfahrten ins Heilige Land immer gefahrvoller geworden waren; andererseits wollte sich das neue Königshaus mit diesen Bauten in die Kontinuität des Axumiter-Reiches stellen. So wurde Bet Medhane Alem („Haus des Erlösers“), die als größte aus einem einzigen Felsen geschlagene Kirche überhaupt gilt, nach dem Vorbild der Kirche St. Maria von Zion in Axum gestaltet. Dort soll nach einer äthiopischen Legende immer noch die originale Bundeslade der Israeliten aufbewahrt werden, die von Menelik I., dem Sohn von König Salomon und der Königin von Saba, aus Jerusalem mitgebracht wurde. Bis heute führen die Nachkommen des mit Haile Selassie 1974 gestürzten Salomonischen Kaiserhauses den Löwen von Juda im Wappen.

Das eigentliche Wunder von Lalibela aber ist, dass die Kirchen in einem Stück konzipiert wurden; sowohl die Innenraum-, wie auch die Außengestaltung. Anders als früher angenommen, hat man sie nicht zuerst en bloc aus dem Felsen herausgearbeitet um danach mit dem Innenausbau zu beginnen; sie wurden vielmehr kontinuierlich von oben nach unten aus der rostroten Basaltlava geschlagen. Das Gestein selbst ist weich, leicht zu bearbeiten und härtet an der Luft aus. Kommt es jedoch mit Wasser in Berührung, so löst es sich in porösen Schlamm auf. Dies führte dazu, dass die Kirchen immer tiefer in den Berg hineingegraben werden mussten, so dass die obersten Schichten die ältesten, die untersten die jüngsten sind. Über die Jahrhunderte entstanden dadurch Raumhöhen von beeindruckenden Dimensionen. Die wegen ihrer spektakulären Kreuzesform berühmte Georgskirche Bet Giyorgis ist über zwölf Meter hoch.

Jährlich pilgern über zehntausend Äthiopier aus allen Landesteilen zu den in über 2 600 Metern Meereshöhe gelegenen Heiligtümern. Zum Klang der Trommeln stimmen Sänger den Lobpreis Gottes an und schlagen das Sistrum, eine Rassel aus pharaonischer Zeit. Angetan mit weißen Gewändern berühren die Wallfahrer das hoch verehrte Lalibelakreuz, besuchen die Nachbildung des Heiligen Grabes in der Kirche Bet Golgotha oder erwerben Staub vom Grab Lalibelas; der in der äthiopischen Kirche als Heiliger verehrt wird. Auch wenn die Wissenschaft die Legende des von den Bienen beschützten Kaisers ein wenig entzaubert hat, so konnte sie doch seine besondere Beziehung zum Erzengel Gabriel bestätigen. Auf einem Altar in Bet Gabriel-Rufael („Haus der Engel Gabriel und Raphael“) hat er seine Signatur hinterlassen; in einer in der altäthiopischen Liturgiesprache Ge'ez verfassten Widmung bittet der Monarch: „Engel Gabriel steh mir bei! [...] Nimm mich auf in Dein Reich, mich, Deinen Diener, den Sünder und Frevler Lalibela. Amen.“

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