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Neve Shalom/Wahat al Salam: Eine Oase des Friedens

Die Siedlung Neve Shalom/Wahat al Salam im ehemaligen Niemandsland zwischen Israel und Jordanien dient der Versöhnung – unter den aktuellen Unruhen leidet man dort in besonderer Weise.
Siedlung Neve Shalom/Wahat al Salam
Foto: Foto

Die derzeitigen kriegsähnlichen Spannungen zwischen Israel und der Hamas hatten vor einigen Wochen in den gemischten israelisch-palästinensischen Wohnbezirken Israels begonnen, als jüdische und arabische Bewohner gewaltsam aufeinander losgingen. Diese gemischten Wohnbezirke, zumeist in den historischen Zentren einiger Städte wie Haifa, Jaffa, Akko, Lod oder Ramle, sind als unfreiwilliges Ergebnis der Nakba, der Flucht oder Vertreibung von 750 000 isaraelischen Arabern, entstanden. Während arabische Dörfer zumeist komplett aufgegeben wurden, sind in den großen Städten damals Reste von arabisch, zumeist christlicher Bevölkerung, zurückgeblieben und wurde zur Minderheit in ihren einst mehrheitlich arabischen Städten. Da über die Gründe dieser Situation nie offen gesprochen wurde hat sich in der Bevölkerung dieser gemischten Wohngebiete über die Jahrzehnte viel Misstrauen, Hass und Gewalt aufgestaut, die sich jetzt entlädt.

Friedliches Zusammenleben

Dabei sind jedoch gemischte Siedlungen und ein friedliches Zusammenleben der einzige Weg zu einer friedlichen Lösung nicht nur in Israel. So dachte auch der französische Dominikaner, ägyptisch-jüdischer Abstammung, Bruno Hussar, als er auf dem ehemaligen Niemandsland, das Israel und das Königreich Jordanien einst trennten, 1972 ein Friedensdorf, eine Oase des Friedens für beide Völker und Religionen schuf. Das Terrain lag auf einem Berg mit unübersichtlichem Gelände, das zwischen 1948 und 1967 nur dazu diente die verfeindeten israelische und jordanische Armeen am gegenseitigen Beschuss zu hindern, es gehörte einem Trappistenkloster, Latrun, das bereits in der Kreuzfahrerzeit auf einer biblischen Stelle gegründet worden war. Heute ist die gemischte Siedlung Neve Shalom/Wahat al Salam (NSWAS), das einzige gemischt israelisch/palästinensiche Friedensdorf auf freiwilliger Basis in ganz Israel. Hier teilen Palästinenser und Israelis ihren Alltag, was wegen der nationalen und religiösen Unterschiede und vor allem auch wegen der dauerhaft aufgewühlten Stimmung nicht einfach ist. Überleben konnte das kleine Friedensdorf, in dem heute 300 Menschen leben, das keinerlei staatliche Hilfe erhält und im Gegenteil viele Hindernisse auf den Weg gelegt bekam, auch nur durch die Arbeit vieler Freiwilliger und großzügiger Spenden aus der ganzen Welt.

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Bruno Hussar – ein Mann mit Visionen

Der Gründer und Ideengeber der Siedlung war ein Mann mit großen Visionen und einem sehr ungewöhnlichem Lebenslauf. Der französische Jude Bruno Hussar (1911 – 1996) wurde in Ägypten geboren, 1935 konvertierte er während eines Ingenieur-Studiums in Frankreich vom Judentum zum katholischen Glauben. Er in den Predigerorden der Dominikaner ein. 1950 wurde er zum Priester geweiht. 1953, war er zum ersten Mal nach Haifa (Israel) gekommen wo der den Karmeliter P. Daniel Rufeisen (1922 – 1998) kennengelernt hatte, der den Holocaust in einem Kloster in Polen überlebt hatte und nach seiner Konversion zum Christentum nach Israel ausgewandert war, wo er die katholische hebräischsprachige Gemeinde in Haifa gegründet hatte. Hussar betreute ab 1960 als katholischer Seelsorger die hebräisch-sprechende katholische Gemeinde in Jerusalem. Während des II. Vatikanischen Konzils arbeitete Bruno Hussar auf Einladung von Kardinal Augustin Bea als Experte des Sekretariats für die Einheit der Christen an der Formulierung der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ mit.

Am Anfang galt es als Hippie-Projekt

Der Konflikt um Israel/Palästina, aber auch der Reichtum der religiösen und kulturellen Traditionen in diesem Land ließen bei Pater Hussar den Wunsch nach einer Annäherung und Dialog der großen Weltreligionen entstehen. Nachdem Hussar 1966 selbst israelischer Staatsbürger geworden war, pachtete er nach dem Sechstagekrieg das Land der Trappisten in Latrun und bezog ab 1970 mit einigen Freiwilligen die Siedlung Neve Shalom (arabisch: Wahat al-Salam). Die Siedlung sollte nach der Vorstellung Bruno Hussars ein Dorf des Friedens sein, in einem Land, in dem alles auf Trennung ausgerichtet war, hier sollten Christen, Juden und Muslime nicht nur nebeneinander wie sonst in Israel, sondern miteinander leben und entdecken, dass sie dieses Miteinander nicht nur nicht bedroht, sondern sogar bereichert.

Die israelischen Behörden und die traditionelle arabischen Gesellschaft, die beide ein Zusammenleben der verfeindeten Völker für unmöglich hielten, wehrten sich mit allen Mitteln gegen das Projekt, das zu Beginn eher den Sonder-Status einer Hippiekommune hatte und auch darunter litt. Von Häuserbau konnte deshalb am Anfang keine Rede sein, man lebte in Containern und in einem Provisorium. Bruno Hussar selbst lebte auch nie längere Zeit in der Siedlung, seine Dominikanergemeinschaft war in Jerusalem, 30 km entfernt. Die ersten festen Bewohner des Friedensdorfes waren zum Teil auch schräge Typen, einige waren von ihren jeweiligen Gemeinschaften ausgestoßene gemischtnationale jüdisch-arabische Paare, sie bildeten den Grundstock der fest im Ort lebenden Dorfbevölkerung.

Bildung und Respekt

Die Grundidee der Oase des Friedens ist durch Bildung und Respekt und Verständnis einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten - sowohl im Dorf als auch im ganzen Land. Zeitgleich mit dieser Idee entstanden ein bilingualer, binationaler Kindergarten und eine bilinguale arabisch-hebräische Schule für die ersten Kinder des Friedensdorfes. Durch das Aufwachsen mit beiden Kulturen und Sprachen soll den Kindern von Klein an Respekt vor der Kultur, Tradition und Religion des Anderen vermittelt werden. Erst seit 2000 hat das israelische Bildungsministerium diese vorwärtsweisende Grundschulform in das nationale Schulsystem aufgenommen. Es gibt bereits zwei weitere Schulen im Land, die nach diesen Prinzip lehren. Man hofft, dass auch andere Länder mit binationaler Bevölkerung das Modell übernehmen. Schon 1979 wurde eine „Friedensschule“ gegründet, die ins ganze Land hin ausstrahlen soll. Hier werden von Friedenspädagogen pädagogische Seminare und Workshops für die gesamte Bevölkerung Israels angeboten, diese Kurse sollen das Konfliktpotenzial im ganzen Lande, vor allem in den anderen gemischten Wohnbezirken, abbauen. In diesen Seminaren wird auch versucht die Traumata der jeweils anderen Seite zu verstehen.

Das Haus der Stille

2001, bereits nach dem Tode von Bruno Hussar, gründete sich in dem eigentlich säkularen Ort, in dem Religion keine große Rolle spielt, auch eine Gruppe von Moslems, christlichen Palästinensern und Israelis und gründete "Doumia-Sakinah", das "Haus der Stille". In diesem Zentrum werden seither auch religiöse Studientage und Seminare veranstaltet, um die spirituelle Dimension der Friedens zu ergründen. Führungspositionen, die im Dorf zu vergeben sind, werden gewählt und im Wechsel besetzt, ein Israeli wird als Bürgermeister immer von einem Palästinenser abgelöst und umgekehrt. Gleichheit wird groß geschrieben. Während der Ort zunächst eher mit seinem hebräischen Namen “Newe Schalom“ bezeichnet wurde, so legt man heute Wert darauf das Dorf in beiden Sprachen zu betiteln.

Für seine Versöhnungsarbeit in einer von Gewalt geprägten Umgebung hat NSWAS zahlreiche Preise erhalten. NSWAS ist aber in seiner dritten Generation ein Experiment geblieben, ein Ort, der etwas von einer Utopie hat. In beiden Gesellschaften bilden die Friedensbewegten der Friedensoase Außenseiter, erst im letzten September hat ein Brandanschlag die Friedensschule, das wichtigste Instrument des Ortes nach außen, zerstört, die Täter wurden, wie so oft, nicht ermittelt.

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