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Tattoo für Jerusalem-Pilger: Das Kreuz auf der Haut

Manche Jerusalem-Pilger lassen sich als Erinnerung und Beweis ihrer Pilgerreise in der Heiligen Stadt ein Tattoo stechen. Ein christliches Familienunternehmen ist darauf seit 700 Jahren spezialisiert.
Wassim Razzouk, Tätowierer
Foto: J. Zang | Traditionsbewusst, der Tätowierer Wassim Razzouk in Jerusalem.

Altstadt von Jerusalem, in Vor-Corona-Zeiten. An einem Samstagnachmittag werden fünf US-Amerikanerinnen Teil einer jahrhundertealten Tradition. Über Instagram hat Marina, eine der fünf, bei Wassim Razzouk einen Termin vereinbart. Sie alle, die zwei irakischstämmigen Familien angehören, lassen sich nun vom Meister tätowieren. Basma, die Älteste der Fünfergruppe, ist schon fertig und lächelt selig. Ist mit der Jerusalemreise schon ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, so ist dieser nun auf ihrem Arm buchstäblich schwarz auf weiß eintätowiert. Die chaldäische Christin, im Irak geboren, lebt seit 40 Jahren in den Vereinigten Staaten. Nun sitzt als letzte der fünf ihre Tochter Nora auf dem Tätowierstuhl. Die Mittzwanzigerin hat sich für ein schlichtes, kleines Kreuz entschieden, daneben die Jahreszahl der Pilgerreise.

Seit 700 Jahren im Geschäft

Im Hintergrund läuft westliche Pop-Musik, als Wassim Razzouk die Tätowiermaschine anstellt. Der Motorradfahrer trägt ein Harley-Davidson-T-Shirt, das den Blick auf die christlichen Symbole seines linken Armes freigibt. Wie eine lebende Litfaß-Säule wirbt er so für seinen Broterwerb. Nach etwa zehn Minuten erhebt sich Nora. Die Amerikanerinnen zahlen und verlassen dankend das Mini-Studio, das höchstens drei auf drei Meter misst. Der 46-Jährige Tintenkünstler, Vater dreier Kinder, hat wieder einmal vollzogen, was seit 27 Generationen seine Familie praktiziert. „Wir sind seit 700 Jahren im Geschäft, erst 200 Jahre in Ägypten und seit 500 Jahren in Jerusalem.“ Man merkt ihm den Stolz in seinen Worten an.

Zur geschichtlichen Einordnung: Im Jahr 1300 rief Papst Bonifatius VIII. das erste Heilige Jahr aus. Wassim Razzouk versteht sich als Glied einer langen Kette: „Es ist die Fortsetzung einer Tradition, deshalb ist es bedeutsam, sehr sogar“, sagt er über sein Handwerk und „eine große Verantwortung.“ Schon vor Jahrhunderten haben sich Pilger, als Erinnerung und Beweis ihrer Pilgerreise, ein Tattoo stechen lassen. „Es muss in Jerusalem gemacht werden“, behauptet der Nadelkünstler selbstbewusst.

Ein Kreuz als Eintrittskarte

Schon seine Vorfahren versahen koptische Christen mit einem Kreuz auf der Unterseite des Handgelenks, quasi die Eintrittskarte in Kirchen. „Ohne“ konnte keine Kirche betreten werden. Koptische Kinder wurden bereits im Kleinstkindalter tätowiert und erhielten so ihr Identitätszeichen.

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Keine fünf Minuten sind seit dem Aufbruch der Amerikanerinnen vergangen, da betreten ein Mann und drei Jungen das etwas versteckt liegende Studio unweit des Jaffators: Ein Vater, sein Sohn und dessen Freunde. Nun setzt sich der elfjährige Ghassan auf den Behandlungsstuhl. Sein Vater erklärt: „Er bekommt ein koptisches Kreuz, obwohl wir Katholiken sind.“ Sie sind, wie Wassim, einheimische, palästinensische, arabischsprachige Christen. Während dieser der koptisch-orthodoxen Kirche angehört, sind jene, was man auf Arabisch „katholik“ nennt, also katholisch. Doch das heißt im Heilig-Land-Sprech griechisch-katholisch-melkitisch.

Wichtig ist es, sich nicht zu bewegen

Warum möchte der Junge gerade jetzt ein Tintenbild? „Er hatte gute Noten!“, erklärt sein Vater lächelnd. Der Meister zieht neue Einweghandschuhe an, seine Sonnenbrille steckt cool im Haar, im Hintergrund läuft der R.E.M.-Hit „Loosing my religion“. Ghassans Freunde stehen im Vorraum und schauen erwartungsvoll durch ein Wandfenster in die Tätowierstube. Ihr Freund wirkt sichtlich angespannt. Wassim Razzouk möchte ihm die Angst nehmen und erklärt: „Es ist, als würde eine Katze dich kratzen.“ Dann setzt er sein Tätowiergerät an: „Denk? an das Leiden Christi! Wurde er nicht gekreuzigt? Das hier ist nichts dagegen.“

Ein Summen, ähnlich dem eines Rasierapparates, setzt ein. Ghassan verzieht das Gesicht und atmet hörbar. Sein Vater redet beruhigend auf ihn ein, der Tätowierer fragt zur Ablenkung: „Wo bist du in der Schule?“ Und kurz später: „In welcher Klasse?“ Ghassan lacht und atmet tief durch. „Beweg? dich nicht!“, mahnt Wassim, als der Knabe sich auf dem Stuhl etwas windet. „Wenn du dich bewegst, mache ich einen Fehler.“ Nun redet der Tätowiermeister mit dem Vater über ihre jeweiligen Familien. Wenig später legt er zu Ghassans Erleichterung mit einem „Mabrouk“ die Tätowiermaschine zur Seite. Mabrouk ist Arabisch und heißt in diesem Fall „Herzlichen Glückwunsch, du hast es geschafft“, wörtlich bedeutet es „gesegnet.“ Nach einem kurzen Wortwechsel bezahlt Ghassans Vater und dankend verlassen auch sie das Tätowierstudio, laut Medienberichten „das älteste der Welt.“

Viele Kunden sind Pilger

Die Kunden, das sind Pilger und Einheimische, Junge und Alte, Männer und Frauen, Priester und Nonnen. „Es sind sehr viele Amerikaner, auch Deutsche kommen, es ist saisonabhängig“, fasst der Meister seine Erfahrung zusammen. Meistens werden kleine Bilder gewünscht, die preisliche Untergrenze liegt bei 60 Euro. Und was wünschen seine Kunden? „Zu 70 Prozent christliche Motive“, erläutert Razzouk, oft ein Kreuz, nicht selten das Jerusalem-Kreuz: Ein großes in der Mitte und vier kleine in den Schenkeln, bekannt seit der Kreuzfahrerzeit.

Der begeisterte Motorradfahrer – seine cremeweiße Harley steht vor dem Studio – tätowiert sechs Tage die Woche, nur am Sonntag steht die Tätowiermaschine des koptisch-orthodoxen Christen still. Zeit für die Familie und die Kirche. Wann wird es nach der Pandemie weitergehen, vielleicht schon im Sommer? Israel hat schon 60 Prozent seiner Bevölkerung geimpft.

Dann wird Herr Razzouk wohl wieder erleben, was er schon so oft gesehen hat: Pilger, manche im Seniorenalter, die nie im Leben an eine Tätowierung gedacht hätten, setzen sich plötzlich auf den Behandlungsstuhl. Wassim Razzouk weiß, warum sie ihre Zweifel beiseiteschieben „Wenn sie die Familien- und Firmengeschichte hören, wollen sie plötzlich Teil davon sein.“

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Regina Einig