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Glaube und Wissenschaft: Die lebendige Gegenthese

Der Astronom und Physiker Stephen M. Barr bringt Glaube und Wissenschaft unter ein Dach.
Stephen Barr - Physics & Astronomy
Foto: www.catholicscientists.org | Die großen Theorien im Blick: Stephen M. Barr.

Wenn Film und Literatur die Vergangenheit verklären, dann ist das Klischee der wissenschaftsfeindlichen Kirche nicht fern. Abergläubische Priester postulieren eine Scheibenwelt, mittelalterliche Kuttenträger verhindern das Licht der Aufklärung. Kaum ein Hollywoodstreifen, der in historischer Rückschau keinen Gegensatz zwischen Naturwissenschaft und Glauben aufbaut. Sie postulieren zugleich eine weitere Botschaft: Ein vernünftiger Mensch, der an die Naturgesetze glaubt, kann kaum mit dem christlichen Glauben liebäugeln. Der Prototyp des modernen Naturwissenschaftlers muss Atheist sein.

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Stephen M. Barr ist die lebendige Gegenthese. Der Professor von der Universität Delaware lehrt Astronomie und Physik, forscht im Feld der großen vereinheitlichten Theorie – und ist praktizierender Katholik. „Die Physik gibt uns ein wundervolles, kohärentes Bild der physischen Welt, der Welt wahrnehmbarer und messbarer Dinge. Der katholische Glaube gibt uns einen wundervollen, kohärenten Blick auf die Wirklichkeit als Ganzes“, fasst Barr zusammen. „Wissenschaft basiert auf dem Glauben an die Macht der menschlichen Vernunft, um die Welt zu verstehen. Der katholische Glaube sagt uns, dass die Welt das Produkt ewiger Vernunft ist, dem Logos Gottes.“

Ursprünge des Universums

Der 66-Jährige hat an der Elite-Universität Princeton studiert. Sein Fachgebiet ist eines, das in die Ursprünge des Universums reicht. Als „große vereinheitlichte Theorie“ (englisch: Grand Unified Theorie, GUT) bezeichnet die Physik eine Feldtheorie, die nur eine Stufe unter der Weltformel angesiedelt ist. Während die Weltformel als „theory of everything“ alle Phänomene der Physik zu beschreiben versucht, vereinigt die GUT die Felder der starken Wechselwirkung, der schwachen Wechselwirkung und der elektromagnetischen Kraft. Das sind drei der vier physikalischen Grundkräfte, ausgenommen ist die Gravitation. Zusätzlich forscht Barr über das Wesen schwarzer Materie.

Wissenschaft und Glaube

Barr ist in der US-katholischen Szene kein unbekannter Name. Er steht der Society of Catholic Scientists (SCS) vor. Sie umfasst über 800 Mitglieder. Die SCS soll nicht nur die Bindung zwischen katholischen Wissenschaftlern fördern, sondern auch die Harmonie bezeugen, die sich aus der Berufung zur Wissenschaft und einem gelebten Glauben ergibt. Nicht nur die Vielzahl namhafter katholischer Wissenschaftler der Gegenwart, sondern auch der Blick in die Vergangenheit zerschmettert das Bild des Gegensatzes von Glauben und Wissenschaft. So publiziert die Webseite Artikel zur Einheit von Wissenschaft und Glauben im alten Europa und stellt jede Woche einen bedeutenden katholischen Wissenschaftler vor. Zu der Liste gehören Berühmtheiten wie Albertus Magnus, Andreas Vesalius, Luigi Galvani, Alessandro Volta, Joseph von Fraunhofer oder Gregor Mendel.

„Der katholische Glaube gibt uns einen wundervollen, kohärenten Blick auf die Wirklichkeit als Ganzes.“
Stephen M. Barr

Eine Kernthese Barrs lautet: „Bis vor hundert Jahren gab es einen Trend in der Wissenschaft, der so ausschaute, als unterstützte sie Atheismus und Materialismus. Aber bestimmte Entdeckungen – besonders in der Physik – haben seitdem in eine Richtung gewiesen, die eher auf ein metaphysisches Bild schließen lassen, das in eine Linie mit Christentum und Judentum passt.“ Barr zählt unter diese Entdeckungen beispielsweise die Erkenntnis, dass das Universum einen Beginn habe. Das Universum gehorche mathematischen Regeln, die eine komplizierte und subtile Struktur hätten, die auf komplexen mathematischen Ideen basierten. „Dass Materie selbst auf Ideen basiert, legt nahe, dass die materielle Welt die Idee eines Geistes ist. Das ist das, was Papst Benedikt in Regensburg als ,platonische Elemente im modernen Verständnis der Natur‘ bezeichnete.“

Richard Dawkins Ideen hält er für begrenzt

Ein weiterer Punkt sei die Feinjustierung mathematischer Gesetze, die bereits die Möglichkeit organischen Lebens beinhalteten. Die unvorstellbare Größe des Universums sei kein Beweis für die Nichtigkeit des menschlichen Daseins, im Gegenteil sei dessen Ausbreitung nötig, um die Existenz menschlichen Lebens erst zu ermöglichen. Selbst ein Atheist wie Stephen Hawking habe zugegeben, dass die mathematischen Gesetze wie „designed“ erschienen, um menschliches Leben zu ermöglichen. Logisch wäre zwar auch Leben auf einer anderen Basis als der organischen möglich, es sei aber „nicht plausibel“.

Atheisten, die eine Entwicklung von „Gaswolken zu Galaxien, Sternen und Planetensystem“ postulierten, übersähen, dass die Entwicklung erst durch „tiefe und schöne Gesetze“ ermöglicht werde. „Der Schleim, aus dem Leben hervorging, bestand aus Atomen, die all jene Struktur und Komplexität und Potenzial hatten, denen Chemiker ihr Leben widmen. Diese Gesetze der Chemie sind selbst Ergebnis der elaborierten Gesetze von Elektromagnetismus und Quantenmechanik.“

Involviert in das intellektuelle katholische Milieu

Diese und andere Thesen hat Barr in seinem Buch „Modern Physics and Ancient Faith“ zusammengefasst. Zusätzlich ist der Physiker stark in das intellektuelle katholische Milieu involviert. In der Vergangenheit schrieb er regelmäßig für „First Things“, eines der einflussreichsten christlichen Magazine Amerikas. Dort verbreitete er nicht nur die eigenen Thesen, sondern schrieb Rezensionen über mehrere Sachbücher – so auch über den prominenten Biologen und Atheisten Richard Dawkins.

Über den urteilt er: „Ich habe vier Bücher von Dawkins gelesen. Das ist mehr, als irgendjemand lesen sollte, denn auch wenn Dawkins sehr gut schreibt, so ist das Repertoire seiner Ideen doch recht begrenzt.“ Bezüglich Hawkins Gottesbild schloss er sich der „harten, aber akkuraten“ Sichtweise von Lord Martin Rees an: Hawking sei eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die aber sehr wenig Philosophie und noch weniger Theologie gelesen habe. In einem Artikel behandelt Barr die Frage, ob Quantenmechanik die Transsubstantiation bedeutungslos mache – was der Physiker im Gegensatz zu einem jesuitischen Theologen verneinte.

Barr: Gott ist Schöpfer und Retter

Die darin verborgene Debatte, ob wissenschaftliche Erkenntnisse biblische Überlieferungen überholt erscheinen lassen, nimmt Barr gerne an. Er habe gar nicht vor, Glaube und Wissenschaft miteinander zu versöhnen, denn das setze voraus, dass es einen Konflikt gegeben habe, den es beizulegen gilt. Die Bibel sei aber nicht geschrieben worden, um über wissenschaftliche Phänomene aufzuklären. „Das ist, wie Leo XIII. in ,Providentissimus Deus‘ gelehrt hat, nicht die Art, die Bibel zu lesen. Der Heilige Augustinus hat davor gewarnt, die Schrift in einer Weise zu interpretieren, dass sie im Konflikt mit dem steht, was durch Erfahrung und Vernunft bekannt ist.“ Wunder schließt das übrigens nicht aus – denn der Erschaffer der Gesetze kann diese aufheben, um den Gläubigen zur Hilfe zu kommen, oder um jene herauszuheben, die in seinem Namen lehren. Und wer ist Gott für Stephen Barr? „Mein Schöpfer und mein Retter“, sagt der Physiker.

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