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Katholische Buchhandlung „Sonnenhaus“ kämpft mit Folgen der Pandemie

Die katholische Buchhandlung „Sonnenhaus“ in Berlin hat die DDR und die Marktwirtschaft überlebt. Jetzt kämpft sie mit den Folgen der Pandemie.
Bettina Klinkmann und Heidrun Klinkmann vor ihrer Buchhandlung in Berlin
Foto: Foto: | An der Lindenstraße 100 geht die Sonne auf: Bettina Klinkmann (links) und Heidrun Klinkmann vor ihrer Buchhandlung in Berlin.JJ

In schlechten Zeiten verkauft sich in der Berliner Buchhandlung „Sonnenhaus“ ein Produkt besonders gut: „Engel gehen immer“, sagt Bettina Klinkmann, eine Frau mit kurzen braunen Haaren und runder Brille. Sie zeigt einen Schrank, wo sie sogenannte Handschmeichler aufbewahrt. Das sind Engelfiguren aus Porzellan, Bronze, Neusilber oder Speckstein, die sich Leute in die Jackentasche oder ins Portemonnaie legen oder am Schlüsselbund befestigen.

„Mein Großvater ging mit Zigaretten, Kaffee und Kuchen in den Verlag und redete mit den Leuten.“
Bettina Klinkmann

Engel werden zu katholischen Feiertagen und zum Geburtstag verschenkt und jungen Menschen mit auf den Weg gegeben, wenn diese in die Welt hinausziehen. Auch wenn Menschen persönliche oder gesellschaftliche Krisen durchleiden, umgeben sie sich gern mit Engeln. Mehr noch als Bücher über Engel verkauft Bettina Klinkmann Engelfiguren: „Viele Menschen brauchen schnell etwas – eine Geschenkidee oder eben einen Strohhalm, an dem sie sich festhalten können.“

Die Kunden nehmen eine lange Anfahrt in Kauf

Bettina Klinkmanns Großvater Rudolf Ziegler gründete die katholische Buchhandlung in Berlins Zentrum 1925. Sie hat die Weltwirtschaftskrise, die Nazizeit, die DDR und bislang auch die Marktwirtschaft überlebt. In der Hauptstadt gelten Bücher als „geistige Nahrung“, weshalb Buchläden trotz Corona-Krise weiter offen sind. Doch viele Kunden bleiben zu Hause – aus Sicherheitsgründen. Auch wenn der Internethandel und die Pandemie dem kleinen Geschäft zusetzen, die 1972 geborene Inhaberin glaubt fest an die Zukunft ihrer Branche: „Es wird immer Menschen geben, die lesen, und die auch ein Buch in der Hand halten möchten und kein E-Book“, sagt sie. Dass das „Sonnenhaus“ bis heute besteht, sei der „katholischen Community“ in Berlin zu verdanken, sagt Bettina Klinkmann: „Die Leute fahren durch die ganze Stadt, um bei uns einzukaufen.“

Ihr Großvater begeisterte sich für die Wandervogel-Bewegung: Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderte verabredeten sich junge Menschen zu Ausflügen in die Natur, um der Enge der Großstädte zu entfliehen. Deshalb führte Rudolf Ziegler in seinem Laden neben Bibeln und Romanen auch Wanderschuhe und Faltboote. „Er las alles, was er kriegen konnte“, erinnert sich Heidrun Klinkmann, seine Tochter und Bettinas Mutter. Sie weiß noch genau, an welchem Tag das Geschäft einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Es war der 3. Februar 1945. Alliierte Flugzeuge donnerten über die Stadt hinweg, während Heidrun mit ihrer Mutter und ihrer Schwester vor Angst schlotternd im Luftschutzkeller saß. Als der Angriff vorüber war, habe die Mutter nicht mehr aufstehen wollen, so mutlos war sie – bis eine Nachbarin sie rüttelte und sagte: „Jetzt kommen Sie aber mal nach draußen, Frau Ziegler!“

In der DDR: Zeiten des Mangels

Familie Ziegler verkaufte zeitweise in ihrer Wohnung weiter, auch noch, als Rudolf Ziegler aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Mit der DDR begann die Zeit des Mangels. Die katholische Buchhändlerfamilie verspürte nicht so sehr die politische Repression, sondern vor allem die Benachteiligung ihres privaten Geschäfts bei der staatlichen Zuteilung von Waren. Die schönen handgeschnitzten Engel aus dem Erzgebirge seien fast alle in die Bundesrepublik exportiert worden, sagt Heidrun Klinkmann: „Dafür gab's ja die D-Mark, das bessere Geld.“ Also hätten die Leute sich die Engel selbst gebastelt. Heidrun und Bettina Klinkmann erinnern sich lebhaft an Bücher, die in der DDR heiß begehrt waren, weil sie – anders als die DDR-Presse – gut unterhielten, Missstände benannten und Einblicke in ferne Welten boten. Deshalb, sagt Bettina Klinkmann, sei die DDR wirklich ein Leseland gewesen.

Ein solcher Höhepunkt war 1977 das Buch „Guten Morgen, du Schöne“, Porträts von real existierenden DDR-Frauen, aufgeschrieben von der österreichischen Kommunistin Maxie Wander. Diese setzte sich kritisch mit der Rolle der Frauen im Sozialismus auseinander. „Wir bekamen die Erstausgabe, als Maxie Wander noch unbekannt war“, sagt Heidrun Klinkmann. Die Kunden rissen sich um das Buch, doch das „Sonnenhaus“ hatte kaum eine Chance, an weitere Exemplare zu gelangen. Diese wurden an den staatlichen „Volksbuchhandel“ geliefert.

Ähnliches geschah mit Michail Bulgakows absurdem Roman „Der Meister und Margarita“ über die von Stalins Terror geprägte Sowjetunion. Bulgakow vollendete den Text 1940, doch erst 1966 durfte er in der Sowjetunion erscheinen, zwei Jahre später in der DDR. Das Buch war sogenannte Bückware, weil sich die Verkäufer bückten, um es unter dem Ladentisch hervorzuholen und besonderen Kunden in die Hand zu drücken. Es war nur dem Geschick von Rudolf Ziegler zu verdanken, dass das „Sonnenhaus“ ein paar Exemplare verkaufen konnte. „Mein Großvater ging mit Zigaretten, Kaffee und Kuchen in den Verlag und redete mit den Leuten“, sagt Bettina Klinkmann und grinst.

1989 – Eine großartige Zeit

Ab dem Wendeherbst 1989 besuchte sie die Buchhändlerschule in Leipzig, nahm an den berühmten Montagsdemonstrationen teil, auch an jenem Tag, als die Demonstranten die Leipziger Stasi-Zentrale stürmten. „Es war eine großartige Zeit“, erinnert sie sich. Nun erschienen Bücher, die in der DDR bis dato verboten waren, wie Stefan Heyms „Fünf Tage im Juni“ über den Volksaufstand von 1953. Viele Meter lang war die Schlange vor dem Laden am Ostberliner Tierpark, in dem Klinkmann damals arbeitete. Abgesehen vom Text war das Buch eine Katastrophe: schlechter Druck auf schlechtem Papier. „Was den Leuten damals zugemutet wurde!“, sagt Bettina Klinkmann. „Aber sie waren froh, dass sie das Buch endlich lesen konnten.“

Und heute? „So lange es Eltern gibt, die ihre Kinder an Bücher heranführen, habe ich eine Chance“, sagt sie. Und erzählt von dem Jungen, der sich für eine Comic-Ausgabe des Alten Testaments so sehr begeisterte, dass er ihren Laden gar nicht mehr verlassen wollte. Sie holt Graphic Novels und wunderschön gestaltete Sachbücher für Jugendliche aus den Regalen. Allein die Kinderbibeln! Was für schöne Zeichnungen sie enthalten!

„Friede sei mit euch!“

Ein Ehepaar betritt den Laden. Die beiden haben eine Corona-Erkrankung überlebt und sind gerade aus der Quarantäne entlassen worden. „Friede sei mit euch!“, begrüßt sie Bettina Klinkmann, und die Frau sagt, dass sie und ihr Mann so glücklich über ihr neu geschenktes Leben seien.

Heidrun Klinkmann ist jetzt, da ihre Kirche geschlossen ist, auf den Fernsehgottesdienst angewiesen. Den schaltet sie regelmäßig ein, „denn ein Sonntag ohne Gottesdienst – das geht nicht!“ Obwohl ihr angesichts der steigenden Zahl der Infizierten mulmig zumute ist, bleibt Heidrun Klinkmann optimistisch.

Im Internet macht ja das Gerücht die Runde, dass Corona eine Strafe Gottes sei. Heidrun Klinkmann zieht es vor, an einen liebenden Gott zu glauben: „Leute, die jetzt von einer Strafe Gottes sprechen, sind selbst oft gar nicht gläubig!“

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