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Medizinethiker Bauer: Kritik am Fall Lambert

Von einem schmalen Grat zwischen gewünschtem Behandlungsverzicht und Tötung ohne Verlangen spricht der Mannheimer Medizinether Axel W. Bauer im Fall Vincent Lambert. Die ethische Beurteilung des Falles falle kritisch aus.
Axel Bauer zum Fall Lambert
Foto: Daniel Bockwoldt (dpa) | "Vincent Lambert lag weder im Sterben noch bedurfte er einer intensivmedizinischen Therapie. Sein Leben wurde durch Nahrungsentzug mit Absicht beendet", so der Mannheimer Medizinethiker.

Der Mannheimer Medizinethiker Axel W. Bauer hat das Vorgehen der Ärzte im Fall des französischen Wachkoma-Patienten Vincent Lambert kritisiert. Zwar seien passive Sterbehilfe durch das Beenden von Therapien sowie indirekte Sterbehilfe auch in Frankreich rechtlich zulässig. „Vincent Lambert aber lag weder im Sterben noch bedurfte er einer intensivmedizinischen Therapie. Sein Leben wurde durch Nahrungsentzug mit Absicht beendet“, erklärte Bauer gegenüber dieser Zeitung.

Bauer: Hier lag unstreitig vorsätzliches Handeln vor

Der schmale Grat zwischen einem vom Patienten gewünschtem Behandlungsverzicht und der Tötung ohne Verlangen durch pflichtwidriges Unterlassen sei nach derzeitiger französischer Rechtslage zwar womöglich nicht überschritten worden sein, so Bauer, der von 2008 bis 2012 Mitglied im Deutschen Ethikrat war. „Die zeitweilige Annahme der Eltern, es liege eine fahrlässige Tötung durch die Ärzte vor, dürfte aber jedenfalls fehlgehen, denn hier lag unstreitig vorsätzliches Handeln vor.“

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Der ehemalige Krankenpfleger Vincent Lambert war vergangene Woche in einem Krankenhaus in Reims verstorben, nachdem die Ärzte die künstliche Versorgung eingestellt hatten. Seit einem schweren Motorradunfall im Jahr 2008 war der 42-Jährige querschnittsgelähmt. In den vergangenen Jahren lieferten sich seine Frau und seine Eltern einen erbitterten Rechtsstreit, der bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ging. Während die Eltern stets für eine Weiterbehandlung gekämpft hatten, sprachen sich die Frau des Verstorbenen sowie einige seiner Schwestern und Brüder gegen jegliche lebenserhaltenden Maßnahmen aus. Anfang Juli hatte ein Kassationsgericht schließlich erlaubt, dass die künstliche Versorgung eingestellt werde.

Wenn das Leben eines Patienten auch
ohne dessen Einwilligung beendet werden
kann, ist Gefahr für uns alle im Verzug"
Axel W. Bauer, Medizinethiker

Die ethische Beurteilung, die auch mögliche Folgen für zukünftige Grenzverschiebungen beim Lebensrecht berücksichtigen müsse, falle noch weit kritischer aus, so Bauer weiter: „Wenn das Leben eines Patienten auch ohne dessen Einwilligung beendet werden kann, ist Gefahr für uns alle im Verzug.“

Kritisch äußert sich der Medizinhistoriker auch zur französischen Rechtslage: „Verstörend muss aus ethischer Perspektive ein Gesetz anmuten, das es zulässt, die lebenserhaltende künstliche Ernährung eines nicht beatmungspflichtigen Wachkoma-Patienten, der zwar nicht bei Bewusstsein ist und der vermutlich dauerhaft nur über sehr begrenzte Möglichkeiten der Kommunikation mit seiner Umwelt verfügen würde, als ,unnütz und unverhältnismäßig' einzustufen und die Entscheidung darüber den Ärzten und ihren subjektiven Vorstellungen über ,lebenswertes Leben' zu überlassen.“

DT/mlu

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost.

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Maximilian Lutz Nationaler Ethikrat Sterbehilfe Wachkomapatienten

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