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Fritz Gerlich – Vorbild für Journalismus

Fünf Gründe, weshalb Fritz Gerlich ein Vorbild für guten Journalismus ist. Von Goswin von Mallinckrodt
Fritz Gerlich
Foto: KNA | Vorbild für guten Journalismus: Fritz Gerlich.

Heute vor 85 Jahren wurde Fritz Gerlich, Chefredakteur der katholischen Zeitung "Der Gerade Weg" und damit einer der wichtigsten Protagonisten im frühen Widerstand gegen Adolf Hitler, im KZ Dachau erschossen. Zeit, angesichts der vielfältigen Krisen des postmodernen Journalismus, erneut über seine mögliche Vorbildfunktion für heutige Epigonen nachzudenken. Fünf Thesen vom Enkel eines einstigen Mitstreiters.

Erstens: Die richtigen Informationen

In einer Würdigung Gerlichs durch Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung schrieb dieser 2017, Gerlich sei 1934 von den Nazis umgebracht worden, "weil er die Pressefreiheit zu dem Zwecke nutzte, für den sie da ist: die Würde des Menschen zu schützen." Journalismus als Verteidigung der Verfassung. Aber ist die Aufgabe von Journalismus nicht in erster Linie die Vermittlung der Wahrheit? Zu "Sagen, was ist", wie der Relotius-geschüttelte Spiegel selbstkritisch titelte? Der postmoderne Zeitgeist misstraut dem Konzept einer objektiven Wahrheit. Wie kann man sie erkennen? Zum Beispiel, indem man sich im Münchener Café Annast, in das Hitler und Kumpanen einzukehren pflegten, regelmäßig an den Nebentisch setzt und mitschreibt, wie dies mein Großvater als Redakteur zu tun pflegte. Oder weil man, wie dieser, vom Doppelagenten Georg Bell, der den Geraden Weg mit brisanten Informationen über die NSDAP versorgte, angerufen wird, um anzukündigen, dass in wenigen Stunden der Reichstag brennen wird. Dazu kamen sogenannte "Moskauer Geheimberichte", von denen der Finanzier Gerlichs, Erich Fürst von Waldburg-Zeil, in seinen Erinnerungen schrieb, sie hätten etwas "Beklemmendes in der Präzision ihrer Urteile" gehabt. Der Vorsprung an Information ist auch ein Vorsprung an Erkenntnis.

Zweitens: Die richtige Erkenntnis

Obwohl sich die späteren Mitstreiter Gerlichs bereits ab 1930 zu Vorträgen der von Fürst Waldburg-Zeil gegründeten "Katholischen Tatgemeinschaft" (KTG) trafen, trieb sie alle ein Gefühl der Dringlichkeit zur seelischen und politischen Erneuerung im "spürbar kommenden Geisteskampf" an. Eine für Nachgeborene angesichts der Frage, "was man hätte wissen können", bemerkenswerte Tatsache. Zu den Aktionen der KTG gehörte unter anderem das Verteilen der "Hitlerbibel", also "Mein Kampf", an Freunde und Verwandte. Nicht zur Propaganda, sondern zur Warnung. Denn im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Vorstellung, ist es meistens gar nicht nötig, einem Wolf das sprichwörtliche Schafsfell vom Leib zu reißen – er zeigt den Schafen seine Zähne meistens ganz offen. Eben jenen Schafen begegneten Gerlich, Fürst Waldburg-Zeil und Bell bei einer letzten, gespenstischen Unterredung mit Funktionären der Zentrumspartei und dem württembergischen Staatspräsidenten im März 1933, um über diesen dem Reichspräsidenten Hindenburg  kompromittierende Informationen über Hitler und die SA zukommen zu lassen. Leider vergebens. "Totale Machtergreifung, (...) dieses Wort stand nicht im Lexikon der versammelten Politiker", notierte Fürst Waldburg-Zeil frustriert.

Drittens: Die richtigen Redakteure

Bei Gerlich verschwammen immer wieder die Grenzen zwischen Journalismus und politischem Aktivismus. Eine Versuchung, der auch heutige Journalisten nicht selten unterliegen. Der Gerade Weg wurde als das katholische Gegengewicht zum Völkischen Beobachter konzipiert, dessen Rotfärbung der Schlagzeilen Gerlich bereits in seiner Vorgänger-Zeitung "Illustrierter Sonntag" bewusst kopiert hatte. Es war zweifellos ein Kampfblatt – doch es machte seinen Lesern zumindest keinen Hehl daraus. Gerlich bemühte sich, in seiner Redaktion einen Vertreter fast jeder politischen Richtung zu engagieren: Vom Kapuzinerpater bis zum Kommunisten. Ein sinnvolles Gegenmittel gegen die Bildung einer Milieublase, von der heute so oft die Rede ist. Das persönliche Risiko war allen Beteiligten bis zum tatsächlichen Sturm auf die Redaktion durch die SA am 9. März 1933 bewusst.

Viertens: Die richtige Inspiration

"Alle Dampfmaschinen der Welt hätten nicht, wie die Heilige Jungfrau, Chartres errichten können", schrieb der amerikanische Kulturphilosoph Henry Adams 1918 in "Der Dynamo und die Jungfrau". Gerlichs Dynamo war sein Glaube und das, was er während des Hitlerputschs 1923 mit eigenen Augen gesehen hatte. Auch sein Glaube hatte eine sehr reale Ursache: Die Mystikerin Therese Neumann aus Konnersreuth. Nach einer 1927 angetretenen Recherchereise zu ihr, um den "Schwindel" um ihre Stigmata zu entlarven, kam er tief bewegt zurück, publizierte über sie, ließ sich von ihr beraten und konvertierte schließlich zum katholischen Glauben. Gerlichs Christentum war ein Christentum zum Anfassen. Hier gab es keine bizarren Debatten um das christliche Abendland – das Abendland war die Kernidee des Widerstands gegen eine geschichtslose Ideologie. In der letzten Weihnachtsausgabe des Geraden Wegs schrieb mein Großvater einen Leitartikel über die Kaiserkrönung Karls des Großen und die christlichen Wurzeln der Reichsidee: Ein subtiles Manifest gegen den "Führer" und sein geplantes "Drittes Reich", ohne diese explizit zu erwähnen.

Fünftens: Die richtigen Leser

Gerlich kannte seine Leser und testete ihre Neigungen und Stimmungen immer wieder aus. Zeitweise erreichte das Blatt eine Auflage von über 100.000 Exemplaren und wurde auch in der übrigen deutschen Presse aufmerksam rezipiert. Auch Hitler selbst verfolgte wütend die Entwicklung der Zeitung, so dass Gerlich es als Verdienst ansah, dass Hitler damit "wenigstens alle 8 Tage einmal mit dem gesunden Menschenverstand in Berührung" komme. Zu den Lesern gehörte auch ein bayerischer Gendarmeriemeister, der "den Hitlers" gar nicht gewogen war. Sein Sohn, damals noch ein Kind, konnte sich noch Jahrzehnte später an die antinazistischen Karikaturen erinnern – es war der spätere Papst Benedikt XVI.

Der Autor, Goswin von Mallinckrodt, ist Kulturtouristiker, Kunsthistoriker und Illustrator sowie ein Enkel von Gerlichs Mitstreiter Hans-Georg von Mallinckrodt senior. Am 5. Juli 2019 hält er um 19.30 Uhr einen Vortrag über "Fritz Gerlich und der Katholische Widerstand gegen Hitler" auf der Gamburg ob der Tauber. Infos unter https://burg-gamburg.de/.

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