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Zölibat - ja, bitte!

Der Priestermangel ist nicht die Folge des Zölibats, sondern des Glaubensschwundes. Von Andreas Wollbold
Karol Wojty³a verstand es, zuallererst Seelsorger zu sein
Foto: diocesanpriest.com | „Liebenswürdig zu Frauen und ohne die Muskeln spielen zu lassen gegenüber Männern“: Karol Wojty³a (m.) verstand es, zuallererst Seelsorger zu sein.

Der Zölibat wird einmal wieder infrage gestellt. Das war vorhersehbar, noch sicherer als das nicht mehr ganz so sichere Amen in der Kirche. Rein logisch müsste man das Gegenteil erwarten. Abscheuliche Sünden der Unkeuschheit in großer Zahl, über Jahrzehnte zugedrückte Augen, als hätte es sich um bloße Kavaliersdelikte gehandelt, müsste da die Antwort nicht sein: mehr Zölibat, nicht weniger? Konsequentere Auswahl der Priesteramtskandidaten, klare Prinzipien und ein stützendes Umfeld, damit diese Lebensform wieder die Herrlichkeit der Engel atmet. Aber gut, der Zölibat wird einmal wieder infrage gestellt. Erwidern kann man darauf grundsätzlich und praktisch.

Die Grundsätze sind rasch in Erinnerung gerufen. Das Wichtigste zuerst. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte zu den Anfängen des Zölibats haben ein überraschendes Ergebnis zutage gebracht. Viel spricht dafür, dass schon in neutestamentlicher Zeit vom Amtsträger sexuelle Enthaltsamkeit verlangt wurde. Das galt dann auch für verheiratete Priester. Zugleich war man von Anfang an der Überzeugung, darin einer apostolischen Anordnung gehorsam zu sein. Keine Spur dagegen von bloßer Freiwilligkeit oder einem Diktat der Päpste, dem man sich umso besser entzog, je weiter weg vom Nachfolger Petri man lebte. Summa summarum: Die Enthaltsamkeit der Priester ist apostolischen Ursprungs, sie ist nicht einfach in die freie Verfügung von Papst und Bischöfen gegeben, sie ist bleibender Auftrag zur Verwirklichung und nicht zur Abwicklung.

Nebenbei bemerkt, der Priestermangel ist nicht Folge des Zölibats, sondern des Glaubensschwundes, verbunden mit innerkirchlichen Verunsicherungen. Natürlich setzt der Zölibat die Schwelle hoch. Gott sei dank tut er das, denn ein so wichtiges Amt braucht eine rigorose Auswahl. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist dabei beileibe nicht das einzige Kriterium, aber es ist ein sehr wirksamer Test, ob sich jemand wirklich „um die Sache des Herrn sorgen“ wird (1 Kor 7,32). Dieses Kriterium setzt ein Signal: Wer Priester werden will, gehört zu einer Elite. Von ihm wird mehr verlangt, dafür kommen ihm auch Aufgaben zu, die ihm niemand anderes streitig macht. Das ist wie bei einem Radprofi. Nach jahrelangem Training wird er einmal bei der „Tour de France“ teilnehmen, anders als Freizeitsportler, die auf dem Radweg ihre Bahn ziehen. Fatal für den Nachwuchs im Radsport wäre es dagegen, wenn sein Image nicht durch den Glanz des gelben Trikots, sondern ausschließlich durch Dopingskandale, Bestechung und Gesundheitsrisiken geprägt würde. Erst recht würde die Botschaft des eigenen Rennstalls ihn wirksam abschrecken: „Ihr müsst hart an euch arbeiten, aber wir setzen euch später lieber nur zum Luftpumpen ein, sonst werdet ihr zu mächtig.“

Ohne Bild gesprochen: Der Priestermangel ist Symptom der Glaubenskrise, nicht ihre Ursache. Unseren Gemeinden fehlen insgesamt junge Leute zwischen 18 und 30 fast zu hundert Prozent. Wenn ein junger Mann dann doch äußert: „Ich möchte Priester werden“, dann erntet er Stirnrunzeln und kein Freudestrahlen. Später als Priester wird er allgemein behandelt wie ein Funktionär und nicht wie ein geistlicher Vater. Die Bistümer verbreiten Unsicherheit zum Priesterbild. Wer heute überlegt, Priester zu werden, kann schlichtweg nicht sagen, wie seine Tätigkeit einmal aussehen wird. Tickets zum Blindflug mit möglicher Schadsoftware im Autopiloten – wer würde einen solchen Flug buchen wollen? Zuletzt kam dann noch aus der Missbrauchskrise der Generalverdacht: Priester sind Problemfälle bis zum Beweis des Gegenteils. Eine bessere Antiwerbung könnte sich selbst der Teufel nicht ausdenken. So ist es evident: der Priestermangel ist hausgemacht. Darum kann er auch durch innerkirchliche Kurskorrektur behoben werden. Achselzuckend auf Säkularisierung, mangelnde Bindungsfähigkeit junger Menschen und das schlechte Image der Kirche zu verweisen, als wäre dies eben trauriges Schicksal und nicht Aufgabe, ist dagegen entschieden zu billig.

Und die „viri probati“? Mag sein, dass damit Lücken vorübergehend gefüllt werden könnten. Ich bin da allerdings skeptisch, es sei denn, man würde hier die Auswahlkriterien laxer handhaben. Wer ist denn „probat“? Wer sein Eheleben nach „Humanae vitae“ gestaltet und wer täglich zur Messe geht oder wer sowieso schon bei der Kirche arbeitet und den Pastoralplänen nicht widerspricht? Dieser Plan B für den Weg zum Priestertum hätte aber auch Rückwirkungen auf die zölibatären Seminaristen und Priester. Auf Dauer würden noch weniger junge Leute sich für Plan A entscheiden. Der Druck aus dem Umfeld würde wachsen: „Musst du dir das wirklich antun?“ Gewonnen hätte man damit vielleicht eine kurzfristige Systemstabilisierung, wohl verbunden mit einer weiteren Verbürgerlichung und Verweltlichung. Soweit das Grundsätzliche: den Zölibat als Aufgabe sehen und ihn nicht aufgeben. Zölibat als Aufgabe, das ist aber nun eine eminent praktische Frage. Wie kann die priesterliche Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen glücklich und ausstrahlend, kompromisslos und variantenreich, positiv gestaltet und nicht bloß in Kauf genommen, problembewusst und lösungsorientiert gelebt werden? Das ist die eigentliche Aufgabe. Die erschreckend hohe Zahl der Missbrauchsfälle darf nicht kleingeredet werden. Doch den Zölibat zu leben darf nicht vom Negativen her definiert werden. Motivieren kann nur das Positive, die unwahrscheinlich großen Chancen dieser Lebensweise. Das ist weithin ein Schatz, im Acker verborgen, und sicher noch kein Licht auf dem Leuchter. Da unterscheiden sich Weltpriester deutlich von Mönchen und Nonnen. Kloster ist wahnsinnig interessant geworden, selbst für Agnostiker und Kirchenferne. Da ahnt man Lebenskunst, tiefere Weisheit, Antwort auf letzte Fragen, auch Wurzeln, Schönheit, Würde. Und beim Weltpriester? Einen Lebenskünstler vermutet man wohl am wenigsten in ihm, bestenfalls einen freundlichen Herrn, der nicht Nein sagen kann. Wilhelm Buschs Klischee sitzt tief, der einen Pfarrer sprechen lässt: „Wär wohlgenährt und hochverehrt/ Und würde kugelrund.“ Was wäre das dagegen, wenn Leute von ihm sagten: „Der da weiß, wie Leben geht, weil er anders lebt.“ Nicht weniger Zölibat, sondern mehr, so sagten wir eingangs. Das heißt praktisch, wie in der Alten Kirche eine christliche Lebenskultur entwickeln, die um den Wert nicht-sexueller Beziehungen weiß. Sie baut die eine Familie Gottes auf, in der die Taufe zu Kindern Gottes neu geboren werden lässt. Zu dieser Familie gehören „alle, die an Christi Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12f.). Priester sind in dieser Familie Väter und Vermittler der Väterlichkeit Gottes, Vorbilder, Anleiter, Ernährer, Beschützer, Verbinder zu allen früheren Generationen und Führer zu fester Speise und nicht mehr der Milch lallender Säuglinge. Nicht Fleisch und Blut werden sie bestimmen, sondern Glaube, der alles verwandelnde Glaube. Nicht Fleisch und Sinnlichkeit, sondern der neue Adam in Geist und Gehorsam. Mehr Zölibat ist mehr als eine schlechte Mischung aus Bürgerlichkeit und Junggesellentum. Neuer Adam, das ist vielmehr tägliche Arbeit an sich selbst, Selbstbeherrschung, Tagesordnung, Freundlichkeit, auch wenn die Leute einem dumm kommen, Kultur der Sinne bis in Frisur und Kleidung hinein. Neuer Adam, das ist Fels in der Brandung sein, Ruhe im Sturm, Gelassenheit im Stress, „Freude, die niemand einem nehmen kann“ (Joh 16,22).

Neuer Adam, das geht aber auch tief ins Leibliche: erfahren im Fasten, gesundheitsbewusst, sportlich (gerne auch mit Kampfsport), mit einer vom Geist erfüllten Körperhaltung, wie sie nirgendwo besser gelernt werden kann als am Altar, unzimperlich bei Anstrengung und Schmerz, sexuell beruhigt und verhaltenssicher, liebenswürdig zu Frauen und ohne die Muskeln spielen zu lassen gegenüber Männern, anspruchslos bei den äußeren Dingen, nie betrunken (und eigentlich auch nicht einmal angetrunken), warmherzig, aber nicht mit Gefühlen manipulierbar, geistig wach und unbestechlich (vor allem nicht mit der eigenen Bequemlichkeit), kunstsinnig ohne Dünkel, Kenner im Genuss der einfachen Freuden, nicht des 60-Euro-Weines und des Urlaubs im Viersternehotel. „Man gönnt sich ja sonst nichts“, diese Logik der Selbstbelohnung wird für den Zölibat leicht zum Dammbruch für Schlimmeres. Neuer Adam, das ist auch schonungslose Selbstanalyse, demütiges Wissen darum, stets auch gefährdet zu sein und tief fallen zu können. Ebenso, in Gott Freude zu finden, alles in der Welt aber mit Humor nehmen zu können – nicht zuletzt sich selbst. Weitere Fragen folgen: Hat das Single-Dasein im Pfarrhaus Zukunft? Wie dem Teufelskreis von Arbeitswut und maßloser Enttäuschung entgehen? Wie spezifische Gefährdungen für Burnout, Substanzmissbrauch oder eben auch Zölibatsbruch rechtzeitig erkennen und gegensteuern – auch beim Mitbruder? Wie die Gewissheit haben, mit Bischof, Regens, Personalverantwortlichen und Presbyterium in einem Boot zu sitzen und nicht wie Jona beim nächsten Sturm derjenige zu sein, der über Bord geworfen wird? Was tun im Alter, im Ruhestand, bei Krankheit und Gebrechen? Wie immer hat das viele Geld (bei uns durch die Kirchensteuer) dazu beigetragen, den Betrieb immer noch irgendwie am Laufen zu halten, während das Betriebsklima zum Frösteln geworden ist. Nähe, Vertrauen, die Gewissheit, auch in schweren Tagen nicht alleingelassen zu werden, aber auch der Mut, „correctio fraterna“ nicht gleich als Majestätsbeleidigung zu nehmen, der Bischof als Vater seiner Priester und Mitbruder als Anrede untereinander, ehrlich gemeint und nicht nur mit einem ironischen Unterton gebraucht, also all die Tugenden des kirchlichen Miteinanders gilt es gewissermaßen neu aufzutauen und nicht in Strukturen und Bürokratie gefrierzutrocknen. Wer heute Priester wird, weiß wenigstens eines: Ich werde ein Leben lang gegen den Wind segeln. In einer dumpf sexualisierten Welt braucht er nicht auf Rückenwind zu hoffen. Das darf ihn nicht stören, denn er weiß, gegen den Wind zu segeln geht, es ist ungeheuer aufregend und verlangt echte Segelkunst. Nicht einen Augenblick darf er das Ruder loslassen, allezeit muss er wach bleiben für unvermutete Böen. Er braucht einen trainierten Körper, einen wachen Sinn und vor allem … das unbeirrbare Wissen, wohin die Reise geht.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie und Religionspädagogik in München.

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