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Vorahnungen der Auferstehung

Ein Blick in Vorahnungen des Sieges Christi. Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
„La passion du Christ“ von Gilles Catelin.
Foto: IN | „La passion du Christ“ von Gilles Catelin.

Können Götter sterben? In der Religionsgeschichte des Vorderen Orients sterben einige im jahreszeitlichen Rhythmus und erstehen wieder im halbjährigen Umschwung. Osiris steigt immer wieder sterbend in die Totenwelt Ägyptens hinab, wo er als Richter gefürchtet ist; seine einbalsamierte Mumie wieder aber von einem göttlichen Geierweibchen sexuell erregt und so erscheint er wieder in der Oberwelt, um sie segnend zu erneuern. Griechenland weiß von Dionysos, dem Gott des trunkenen, hingerissenen Lebens, der mit der Traubenernte vergeht, um im Frühling den Weinstock wieder mit Blüten zu überschütten.

Können Götter ermordet werden? Das Zweistromland verehrt Tammuz oder Dumuzi (den „rechten“ Sohn), den göttlichen Hirten und Geliebten der Ischtar, der auf der Weide von einem Eber zerrissen und mit seinen Gliedern zerstreut wird. Ischtars furchtbare Klage hallt über das Land; die Frauen Babyloniens beweinen ihn drei Tage lang. Doch Dumuzis Leib fügt sich wieder zusammen, Jubel bricht aus und die Erde fruchtet wieder.

Indiens uralte Überlieferungen erzählen Ähnliches. Das All der Götter, Menschen, Tiere und Pflanzen wird in unvorstellbar langem Umschwung in sich zusammenstürzen und nach einer ebenso unvorstellbar langen Ruhe aus dem Urmeer wieder aufsteigen. In der Urgötterdreiheit, der Trimurti, ist Brahma der Schöpfer, Vishnu der Erhalter und Shiva der Zerstörer der Welt, der sie tanzend wieder zerstampft – aber mit jedem Äon verschwinden letztlich auch sie. Götter sind keine Personen, sie sind naturhafte Kräfte des Ganzen, schwingen aus und gehen unter, irgendwann flammen sie wieder auf.

In solch großen Erzählungen sammelt die menschlich-sinnliche Erfahrung das Blühen und Fruchten, das Reifen und Welken, das Aufgehen und Untergehen alles Lebendigen; nichts ist von diesem Kreislauf ausgeschlossen. „Stirb und werde!“ In solcher Wiedergeburt verkörpert sich kein „Ich“, sondern eine anonyme Natur setzt das Leben wieder in Gang. Der Gestaltwandel der Götter und Menschen kennt keine Personwerdung, keine unverwechselbare Geschichte, keine Stetigkeit. Wiedergeburt heißt Wiedertod. Immer ist es erneut erstaunlich: Israel sprengt solche Bilder auf. Die göttlichen Geheimnisse überwinden das kreisläufige Denken. Israel erfährt Gott, Jahwe, Elohim, Adonai, anders als die an- und abschwellende Naturkraft von Meer und Vulkanen, von Feuer, Sonne, Sturm und Jahreszeiten, von Tod und Geburt. Gott ist mehr als das Universum, in herrlicher Weise anders, tiefer, höher, nicht einzufangen im Irdischen. Zwar führt er den Menschen in Frühlinge und Winter, er selbst aber bleibt unwandelbar in sich, Urheber des Alls und nicht seinem Rhythmus unterworfen. Und so ist auch der irdische Tod nicht ein Schicksal, das den Lebendigen Gott treffen könnte.

Und trotzdem. Die Evangelien erzählen vom Sprung des Schöpfers in seine Schöpfung: Seit Gott ins Fleisch kam, ist er verwundbar, und er wurde tödlich verwundet. Ist dann die Passion Jesu – auch er der „rechte“ Sohn – nicht ein Wiederholen des alten Mythos vom sterbenden Gott? Ist seine Auferstehung nach drei Tagen nicht ein Nachschreiben vom Wiedererwachen des Lebens im Frühling, vom neuen Kräfteaufschwung des Kosmos?

Der Schlüssel zur Unterscheidung von heidnischem Mythos und biblischer Erfahrung ist tatsächlich das Fleisch, die wirkliche, geschichtliche Fleischwerdung. Ho logos sarx egeneto, sagt Johannes staunend: Sarx ist Fleisch, das zum Logos quersteht, das mit ihm unvereinbar ist und ihn niederzieht, ja, das dem Tod die Flanke öffnet – und doch hat der Logos sich mit ihm unbegreiflich verbunden. So stirbt der „rechte Sohn“ in der Passion des Fleisches. Aber als er aufersteht nach drei Tagen, hat er das Fleisch „mitgenommen“, ja, er hat es verklärt, wie die alte Sprache sagt, und er wird nicht mehr sterben. Leben ist nunmehr ewig. Darin liegt der Unterschied zu Dionysos, zu Tammuz und anderen mythischen Vorbildern, die nur das naturhafte Schwanken von Untergang und Aufgang wiedergeben und selbst nur zeitlose Sinnbilder dafür sind. Sie sind undeutliche Vorbilder für Ihn, der ihre Ahnungen wirklich-wirksam einlöst. Jesus geht durch den wirklichen zeitlichen Tod, nicht um den natürlichen Kreislauf zu illustrieren, sondern um den Tod zu durchbrechen: Er nimmt dem Fleisch den Charakter des Vergänglichen und gibt ihm den Charakter des Endelos-Lebendigen.

Wie ist das zu denken? Jesu Auferstehung hat das Fleisch miterlöst. Auferstehung ist nichts rein „Geistiges“, sie vollendet seine Menschwerdung. „Er hat das Fleisch durch das Fleisch befreit“ (Sedulius). „Verklärt“ bedeutet, seit Mose mit den Gesetzestafeln des Herrn auf dem Sinai zurückkehrte, ein Umstrahltsein von solchem Licht und solcher Macht, dass die Zeugen zurückschrecken. Ähnliches geschieht schon vor Jesu Tod auf dem Tabor. Aber diese Verklärung erscheint im Auferstandenen noch gesteigert: Sein Leib ist unabhängig von Schwerkraft und anderen materiellen Gesetzen – er geht durch Wände, über das Wasser, kommt und entzieht sich außerhalb von Raum-Zeit-Ordnungen.

Jesu schwerelose und doch greifbare Leiblichkeit wird vielfach und immer wieder anders in den Osterevangelien herausgestellt. Und – was häufig vergessen wird – sie wird durch die Taten vor seinem Tod im Verständnis seiner Umgebung vorbereitet. Und das dreimal. Jesus holt „erschüttert“ den schon verwesenden Freund Lazarus aus dem Totenreich zurück. „Tief gerührt“ gibt er der Witwe den einzigen Sohn am Stadttor von Naim wieder. Und wiederum richtet er ein verstorbenes Mädchen auf und gibt es dem Vater Jairus zurück. Der Tod wird nichtig, abgestorbenes Fleisch wird lebendig. Und an ihm selbst, dem Ausgang dieser unvergleichlichen Kraft, sollte weniger geschehen sein? Natürlich gibt es exegetische Versuche, auch diese Totenerweckungen nur bildlich, nicht wörtlich zu verstehen. Die Toten seien nur „in den Herrschaftsbereich Jesu getreten“; ebenso seien die Trauernden „an die Macht Gottes geraten“. Ihre Toten seien zwar tot, aber bei ihm geborgen, „lebendig“. Letztlich erweckt Jesus also nur die Trauernden aus ihrer tödlichen Trauer...

Das ist nicht wenig, aber die Schrift meint trotz solcher Einebnungsversuche Handgreifliches: Johannes spricht vom Gestank, von den abzuwickelnden Leinenbinden, vom Entsetzen der Umstehenden... Und er spricht gerade nicht von ihrem Glauben an ein jenseitiges Weiterleben. Im Gegenteil – Martha, die Schwester, nennt ja die „Auferstehung am Jüngsten Tag“, und Jesus antwortet mit dem ungeheuren Satz: „Ich bin die Auferstehung.“

Dieser Satz widerlegt die Zweifel souverän. Aber wie äußert er seine Macht? Indem er zuerst die Schwestern allein lässt und den Freund durch das dunkelste aller Tore schickt – und ihn dann zurückholt. Ein hartes Spiel der Liebe – tiefster Absturz, und danach leuchtende Höhe und Fülle. Es gibt kein größeres Beispiel für die Sendung und Macht Christi: Er wird den Ort der Schrecken, das Grab, zu einer Stätte des Heils umwandeln. Darum muss Lazarus sterben, darum müssen die Schwestern durch die Trauer gehen, damit auch die Finsternis erlöst wird. Die Liebe Christi mutet genau das den Seinen zu; mitten im furchtbaren Grauen wendet sich das Schicksal der Welt.

Ebenso wenig nur ein Gleichnis ist die Rede von Jesu Leib nach der Auferstehung. Die Zeugen (und wieviele!) haben ihn leibhaft erlebt, und jedesmal umwerfend. Thomas bricht fast zusammen, als er endlich die Hand in die Seitenwunde Jesu legen soll. Keiner seiner engsten Vertrauten wagt ihn auch nur zu fragen, als er unerwartet in der Morgenfrühe neben dem Kohlenfeuer am Ufer des Sees steht und mit ihnen Fische isst (Joh 21). Jesus kommt überraschend, in diese Welt nicht mehr einzuordnen, aber von unabweisbarer Wirklichkeit. Und Wirklichkeit meint eben Leib: berühren, essen, trinken, nach Emmaus wandern, ohne sich den Gesetzen des Irdischen zu verweigern und ohne sich ihnen unterzuordnen.

Ein tief ergreifendes Merkmal der leiblichen Identität Jesu sind seine Wunden. Sie zeigen etwas außerordentlich Schönes: Verklärte Leiblichkeit heißt nicht Retuschieren des irdisch Gebrochenen und Verletzten. An Jesu Leib blieben die Wunden sichtbar, für immer ist er den wirklichen Tod gestorben. Die kranke und böse Wirklichkeit wird nicht übertüncht, sie wird viel mehr: erlöst. An ihm als dem Ersten (von allen) wird sichtbar: Erlösung ist nicht Auslöschen der Identität; sie ist Steigerung der Identität im eigenen Leib. Es ist kein Einwand zu sagen, dass das Alte Testament lange Zeit keine leibliche Auferstehungshoffnung besaß. Wie hätte es sie haben können ohne die umstürzende Erfahrung von Jesu leibhafter Verklärung? Die jüdisch-christliche Überzeugung ist in langen und mühsamen Anschüben gelehrt worden, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu erwarten. Es geht nicht um Unsterblichkeit nur der Seele, es geht um eine neue Welt. Die Herrschaft des Unwirklichen, der leiblosen Identität ist mit der Auferstehung vorbei. Es gibt kein Ende, es gibt Voll-Endung. Leib ist der Lieblingsweg der Gnade.

Können die Fischer, die mit ihm am Seeufer essen, so vieles auf einmal begreifen? Nein, aber während dieser wunderbaren Stunde ist zu ahnen, dass Tod auch den Sprung ins ganz lebendige, leibhafte Selbst vorstellt. Jesu Freiheit von der irdischen Schwere ist ein großes Versprechen: vom Aufblühen auch unseres Leibes nach dem Tod. Und dann tut auch nicht weh, dass der Herr sich wieder entzieht. „Alle österlichen Erscheinungen sind nur ein Pascha, ein Vorübergang. Wüssten wir nur diese Augenblicke recht zu würdigen, und bliebe unser Herz brennend davon.“ (Edith Stein)

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