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Vom Martyrium geprägt

Eine ebenso sachkundige wie empathische Einführung in die Kreuzesverehrung im Orient. Von Stephan Baier
Fresko des Jüngsten Gerichts aus dem syrischen Wüsten-Kloster Mar Musa
Foto: Baier | Das Fresko des Jüngsten Gerichts aus dem syrischen Wüsten-Kloster Mar Musa zeigt zu beiden Seiten des Kreuzes Apostel. Darunter links die Heiligen, rechts die zur Hölle Verdammten.

Bescheiden und demütig im Auftritt, zugleich von profunder Sachkenntnis und großer Empathie gegenüber den Christen im Orient: So wirkt der emeritierte Linzer Liturgieprofessor, Gründer und langjähriger Vorsitzender der „Initiative Christlicher Orient“ (ICO), Prälat Hans Hollerweger, seit vielen Jahrzehnten. Und so ist auch sein neues Buch geraten, das die Darstellung und Verehrung des Kreuzes im Orient in zahlreichen Fotos dokumentiert und in knappen, präzisen Texten beschreibt.

Der mittlerweile 88-jährige Hollerweger gilt als einer der besten Kenner des orientalischen Christentums. 1989 gründete er die „Initiative Christlicher Orient“, die mittlerweile mehrere Millionen Euro unbürokratisch für pastorale und humanitäre Projekte der christlichen Konfessionen im Tur Abdin, im Irak und in Syrien sammelte und weiterreichte.

Der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Raphael Sako, dessen freundschaftliche Verbundenheit mit Hollerweger kein Geheimnis ist, attestiert dem vorliegenden Buch in einem Vorwort, dass es eine Lücke schließt „im Wissen all jener, die nicht vertraut sind mit der Vielfalt der Theologie und Liturgie der Kirche im Nahen Osten“. Diese Kirche habe „die Gläubigen mit dem Atem ihrer Spiritualität inspiriert und hat ihnen die Kraft verliehen, ihr Leben für Christus hinzugeben“.

Von dieser Lebenshingabe der Märtyrer unserer Tage berichtet Prälat Hollerwegers neues Werk in vielen stillen Zeugnissen, etwa indem es das syrische Kloster St. Elian in Qarytain ins Bild setzt, das 2014 vom sogenannten „Islamischen Staat“ erobert und dem Erdboden gleichgemacht wurde. Auch die syrisch-katholische Marienkathedrale im irakischen Qaraqosh, deren Kirchenbänke der IS entzündete, oder die neue syrisch-katholische Kirche aus dem Jahr 2010, deren Turm der IS sprengte, werden hier gezeigt und beschrieben.

Der vorliegende Bildband mutet nicht nur wie eine Pilgerfahrt zu den christlichen Stätten im Heiligen Land, im Libanon, in Syrien, im Irak und im Tur Abdin an, sondern zugleich wie ein Spaziergang durch die Jahrhunderte christlicher Präsenz im Nahen Osten.

Von den Kreuzes-Darstellungen der Antike bis zu zeitgenössischen Zeugnissen christlicher Gegenwart führt uns der Autor mit imposanten Bildern und sachkundigen Beschreibungen. Den geschichtskundigen Leser werden die armenischen Kreuzsteine aus dem Libanon ebenso wenig ungerührt lassen wie die Darstellung des Jüngsten Gerichts aus dem syrischen Kloster Mar Musa, welches auf das sechste Jahrhundert zurückreicht und bis zum Wüten der islamistischen Gewalttäter unserer Tage ein Ort der christlich-islamischen Begegnung und des interreligiösen Gesprächs war.

Im Irak ist nicht nur die Vielfalt spätantiker Kreuzes-Darstellungen beeindruckend, sondern auch der manifeste Lebenswille der Christen heute, wie er sich etwa in dem 2003 errichteten, aus vielen Kreuzen bestehenden chaldäischen Kirchturm in Süleymanie, nahe der iranischen Grenze, manifestiert. Besonders reich ist der Bildband an Kreuzes-Darstellungen aus dem Tur Abdin, über dessen lebendiges Kulturerbe Hans Hollerweger bereits vor zwei Jahrzehnten ein Buch verfasst hat, das noch bis heute als Standardwerk gelten darf. Der Verehrung des Kreuzes in der syrisch-orthodoxen Tradition hat der Autor in seinem aktuellen Werk ein eigenes Kapitel gewidmet.

Prälat Hollerweger, der seit einem Vierteljahrhundert den Orient intensiv – helfend und Anteil nehmend, nicht touristisch – bereist hat, präsentiert in seinem Band Kreuzes-Darstellungen der ursprünglichen syrischen Tradition, also ohne Korpus. Der Autor erklärt: „Der syrische Orient hat ab dem 4. Jahrhundert die Anfertigung von Kreuzen ohne den gekreuzigten Leib Jesu wie im Westen entwickelt, doch hat er diese Tradition bis heute bewahrt.“ Der Grund dafür sei gewesen, dass die Spiritualität der Christen im Orient „länger von Martyrium geprägt“ gewesen sei, „und damit vom Glauben an die Auferstehung, für die das Kreuz ohne Korpus Symbol ist“.

Vom Martyrium geprägt ist die Wirklichkeit der katholischen, orthodoxen und altorientalischen Christen im Orient auch heute, und so ist Hans Hollerwegers Bildband zugleich eine mahnende Erinnerung an die Pflicht zur christlichen Solidarität heute.

Hans Hollerweger: Baum des Lebens. Darstellung und Verehrung des Kreuzes im Orient. Initiative Christlicher Orient (ICO), Linz 2017, 123 Seiten, ISBN 978-3-200-04794-5, EUR 18,– zzgl. Versand, Bestelladresse: ICO, Friedensplatz 2, A-4020 Linz, Mail: ico@a1.net

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