Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Leitsterne für das Jahr

Warum katholische Klassiker zeitlose Orientierungspunkte bieten. Von Sebastian Sasse
Schnee im Harz
Foto: Swen Pförtner (dpa) | Schnee bedeckt am 25.11.2017 bei Oderbrück im Harz (Niedersachsen) Bäume und einen Wegweiser. Im Oberharz hat es angefangen zu schneien. Foto: Swen Pförtner/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

Er war und ist ein Renner in den Buchhandlungen: Der deutsche Literatur-Kanon, zusammengestellt von Kritiker-Legende Marcel Reich-Ranicki. Gerade Menschen, die vielleicht nicht unbedingt zu den regelmäßigen Lesern schöngeistiger Literatur gehören, fühlen sich durch so ein Angebot angesprochen. Wer selbst kein Experte ist, sich aber in ein neues Themenfeld hineinarbeiten möchte, der ist froh, wenn ihm ein Fachmann zeigt, wie er sich dort orientieren kann. Er ist dankbar dafür, wenn ihm gesagt wird: „Das ist ein Klassiker. Den musst du lesen, dann weißt du Bescheid.“ Klassisch heißt zeitlos. Menschen, die nach Orientierung suchen, sehnen sich nach genau solchen zeitlosen Vorbildern. Und das Bedürfnis nach solchen Orientierungspunkten, die gewissermaßen etwas über den Streitfragen der Gegenwart stehen, nimmt generell wieder zu.

Vor einigen Jahren noch war der Trend eher anders: Da wurden solche Klassiker gerne „Autoritäten“ genannt. Autorität aber sollte nach Repression, nach Unterdrückung, nach Einschränkung der Geistesfreiheit klingen. Kurz: Wer nach solchen zeitlosen Leitbildern suche, der habe letztlich nur Angst, selbst zu denken. Nach diesem Ansatz behindern Klassiker die Kreativität. Statt zur Inspiration werden sie bloß zur Kopiervorlage. Wer allerdings so mit Klassikern umgeht, hat nicht verstanden, was sie eigentlich leisten können.

Wer etwa glaubt, das Lebenswerk einer Person sei wie eine Blaupause, die man auf ein weißes Blatt Papier zieht und plötzlich wird ein unbeschriebenes Blatt zum respektablen Lebenslauf, der verkennt, dass Klassiker – das gilt für Personen wie für ihre Werke – Ansprüche an den stellen, der sich durch sie leiten lassen will. Ihre Orientierungshilfe ist nicht voraussetzungslos. Wer von einem Wegweiser wissen will, wo die Richtung hingeht, der muss ihn auch lesen können. Er muss ihn verstehen wollen. Genau diesem Ansatz sind auch wir gefolgt.

Wenn hier katholische Klassiker vorgestellt werden, dann geht es nicht darum, diese Personen in falscher Weise zu idealisieren oder zu überhöhen. Im Gegenteil: Ihre Klassizität ergibt sich gerade dadurch, dass sie nicht über ihrer jeweiligen Zeit standen, sondern sich deren Problemen gestellt haben. Unsere katholischen Klassiker thronen nicht in irgendeinem fernen Olymp, sondern stehen mitten im Leben. Das können sie aber deswegen so souverän, weil ihr eigenes Selbstverständnis in einer zeitlosen Wahrheit gründet. Sie können sich auf die Herausforderungen ihrer Gegenwart einlassen, weil sie ihr nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Sie folgen einer überzeitlichen Wahrheit, die ihnen den Weg in die Ewigkeit verheißt.

Der heilige Thomas hat den Menschen einmal den „homo viator“ genannt. Also als das Wesen, das ständig auf dem Weg ist. Wichtig ist hier: Wir befinden uns immer auf irgendeinem Weg. Entscheidend ist, dieser Fortbewegung eine Richtung zu geben. In den Biografien gibt es ganz unterschiedliche Wegmarken, wo genau solche Richtungsentscheidungen erfolgen.

Mut zur Richtungsentscheidung

Da gibt es eine schillerende Gestalt wie Joseph Görres, der in seiner Jugend revolutionär gesinnt ist und voller Begeisterung nach Frankreich schaut, wo die Revolution tobt, schließlich aber zum großen publizistischen Verteidiger der Kirche und ihrer Gläubigen gegenüber einem anti-katholischen Zeitgeist wird. Wie konnte der Schwenk in diese Richtung erfolgen? Zu unseren katholischen Klassikern zählen aber natürlich auch diejenigen, die von Kindheit an ganz selbstverständlich in die Kirche hineingewachsen sind. Für sie war der Glaube immer Heimat. Etwa für Robert Schuman, den großen europäischen Visionär, den seine Zeitgenossen „den Mönch“ unter den Politikern nannten. Er ist ganz selbstverständlich der Richtung weiter gefolgt, die ihm vorgegeben war. Eine Entscheidung ist aber auch das.

Es gibt also durchaus Unterschiede in der Art und Weise, wie und wann unsere katholischen Klassiker ihrem Leben Richtung gegeben haben. Sie alle verbindet aber, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt die gleiche Blickrichtung hatten. Auf den Leitstern hin, der über alle Zeiten leuchtet. Diese gemeinsame Blickrichtung macht sie zu einer Weggemeinschaft: Untereinander – aber auch mit uns.

Dadurch dass sie diesem Leitstern so konsequent gefolgt sind, werden sie auch für uns zu Leitsternen, die ebenfalls diesen Weg beschreiten wollen. Die Auseinandersetzung mit ihrem Leben und ihrem Werk vermittelt Impulse darüber nachzudenken, wie so etwas funktionieren kann. Unsere katholischen Klassiker haben in ganz unterschiedlichen Disziplinen und Arbeitsbereichen Herausragendes geleistet. Sie verbindet, dass sie um ihre Talente wussten und diese Talente eingebracht haben. Sie haben sie tatsächlich nicht sparsam zurückgehalten, sondern investiert. Michelangelo hat seine Kunst als Lobpreis Gottes verstanden. Kardinal Bellarmin hat seine besondere Gabe, seine Intellektualität, bewusst in den Dienst der Kirche gestellt. Hildegard von Bingen hat ebenfalls ihre Talente genutzt, um ganz konkret das Ordensleben ihrer Schwestern zu verbessern.

Alle diese Beispiele, die hier vorgestellt werden, unterstreichen: Jedem Menschen ist die Aufgabe gestellt, sein Talent zunächst zu erkennen, dann aber eben auch einzubringen. So gibt er seinem Leben eine Richtung. Auch diese Herausforderung ist klassisch – sie stellt sich nämlich zu allen Zeiten. Diese Einsicht kann durch die Auseinandersetzung mit den katholischen Klassikern wachsen. So wird auch die Gefahr gebannt, sie zu Abziehbildchen zu machen, die man einfach auf den eigenen Lebenslauf draufpappt. Wer den Spannungsbögen in den einzelnen Biografien nachgeht, wer die Fort- und Rückschritte erkennt, die dort, wie in jedem anderen Leben auch, zu finden sind, der lernt nicht nur etwas über einzelne Personen, er lernt etwas über das Mensch-Sein an sich.

Die Auseinandersetzung mit den katholischen Klassikern soll Lust darauf machen, das, was man sowieso ist, auch gerne zu sein: Mut zur eigenen Persönlichkeit. In diesem Sinne können die Klassiker nicht nur Leitsterne auf dem Weg durch die Zeit sein, sondern auch beim Weg zu sich selbst.

Die Lehre der katholischen Kirche ist zeitlos, sie gilt immer und zu jeder Zeit. Wir stellen hier Persönlichkeiten aus der Geschichte vor, die ihr Leben an dieser Lehre ausgerichtet haben und so selbst zu zeitlosen Vorbildern geworden sind. Sie haben in ganz unterschiedlichen Abschnitten der Geschichte und Bereichen gewirkt, sie alle verbindet: Sie sind klassisch katholisch.

Die Strahlkraft solcher Leitsterne kann dabei helfen, die Wege auszuleuchten, die vor uns im neuen Jahr liegen, und dann die richtige Richtung einzuschlagen. Wer diese Orientierungsfunktion gerne in Anspruch nehmen möchte, sollte aber auch nicht vergessen: Die Weggemeinschaft soll wachsen. Jeder kann selbst zum Leitstern werden. Nicht weil er sozusagen zu Ruhm und Ehre gelangen will, wie viele unserer Klassiker. Nein, aus Dankbarkeit. Alle Personen, die hier porträtiert werden, haben gewusst, dass sie eine solche Orientierungsfunktion auf andere ausüben. Weil sie aber wissen, dass sie dem richtigen Stern folgen, können sie auch Anderen den Weg leuchten.

Themen & Autoren
Hildegard von Bingen Joseph Görres Marcel Reich-Ranicki Robert Schuman

Weitere Artikel

Der Ruf als einstige Künstler-Sommerfrische im Salzkammergut trägt noch immer.
30.03.2024, 15 Uhr
Michael Kunze
Teil 1 der Reihe über die Geschichte des berüchtigten Papst-Clans erzählt vom Aufstieg der Familie Borgia und dem Beginn der päpstlichen Vetternwirtschaft.
19.03.2024, 19 Uhr
Christoph Münch

Kirche

In der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist ein Streit um das Pfarramt für Frauen entbrannt. Im äußersten Fall droht die Spaltung.
22.04.2024, 16 Uhr
Vorabmeldung
Der von Papst Paul VI. eingeführte Weltgebetstag um geistliche Berufungen hat nichts von seiner Dringlichkeit verloren, schreibt Markus Hofmann.
20.04.2024, 19 Uhr
Markus Hofmann