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Für immer jung?

Von Diesseitigkeit, ewiger Jugend und Vollendung im Osterglauben. Von Ulrich Lüke
Nofretete - Die ewige Jugend ist ein alter Menschheitstraum
Foto: dpa | Die ewige Jugend ist ein alter Menschheitstraum, den bereits die ägyptische Königin Nofretete im 14. Jahrhundert v. Chr. träumte. Der Glaube an die Auferstehung im Christentum nimmt die Angst vor Alter und Tod.

„Für immer jung“ – so lautete die Überschrift auf der Frontseite der ZEIT just vor Ostern 2017. Darunter stand zu lesen „Wissenschaftler arbeiten am größten Traum der Menschheit: Das Altern zu stoppen. Diesem Ziel sind sie schon verblüffend nahe.“

Wir Christen beten im Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Und im Großen Glaubensbekenntnis beten wir: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt.“ Machen wir diese zukünftige Welt und dieses ewige Leben selbst? Auch manche Christen sind schon drauf und dran, diese Hoffnung an die Biowissenschaften zu delegieren. Ein Papagei wird circa 100 Jahre alt, die Riesenschildkröte wird circa 200 Jahre alt, der Grönlandhai als das angeblich alterungsbeständigste Wirbeltier kann es auf 400 Jahre bringen. Wollen wir so alt werden? Ich habe Zweifel daran, ob es der größte Traum der Menschheit ist oder sein sollte, solch ein Methusalem-Alter zu erreichen.

Ein deutscher Forscher an der University of California ermittelte im menschlichen Genom 353 Orte mit veränderter Molekülstruktur, die als Zeitmarker fungieren. Damit kann man feststellen, wie alt ein Individuum biologisch ist, statt nur sein kalendarisches Alter zu konstatieren. Und vielleicht könnte man die Uhr verstellen.

Ein anderer von der Stanford University hat den Kreislauf alter und junger Mäuse miteinander verbunden und dann eine erhebliche Verjüngung auch der Gehirne der alten Mäuse festgestellt. Altern ist kein bloßer Verschleiß, keine biologische Materialermüdung, meint er. Junges Blut macht jung, altes Blut macht alt. Aber nicht die Blutzellen, sondern das Blutplasma bewirkt diese Verjüngung, stellte er fest. Bestimmte Substanzen im Plasma aus jungem Blut wecken die adulten Stammzellen aus dem Alterungsschlummer und diese teilen sich und ersetzen dann bereits ausgefallene Zellen im Gehirn, in der Leber, im Herzen, im Muskel et cetera. Der besagte Zeitartikel bietet schließlich noch die vollmundige Überschrift „Sieg der Jugend“.

Aber was ist gewonnen, wenn es sich bestimmte Menschen, zumeist wohl die reichen und die einflussreichen, leisten können, stets die hinreichende verjüngende Plasmamenge zu ordern und sich transfundieren zu lassen? Wir hätten die Gesellschaft noch weiter als jetzt gespalten in steinreiche und steinalte einerseits und kurzlebige, weil finanziell kurzatmige andererseits. Und woher käme die Frischblut- beziehungsweise Frischplasmazufuhr?

Und wohin führte es, wenn, sagen wir, die Mehrheit der Bevölkerung 200 Jahre alt werden könnte? Hätten wir dann nicht die perfektionierte Gerontokratie? Die, denen es biologisch ans altgewordene Leder geht, die halten sich jung und schadlos durch Zugriff auf das junge Leben. Was uns hier als „Für immer jung“ offeriert wird, wäre nur ein Nachschlag auf dieses endliche Leben. Es wäre nur eine biologische Umschuldung zu Lasten anderer, aber keine Entschuldung. Und es wäre nur ein Nachschlag für den Geldadel heute, der in den Genuss dieser wissenschaftlich zweifelhaften Wohltaten käme. Der Dichter Bertold Brecht hatte in seinem Gedicht „Gegen Verführung“ ganz und ausschließlich auf dieses befristete Leben gesetzt: „Lasst Euch nicht verführen! Lasst euch nicht betrügen! Es gibt keine Wiederkehr. Das Leben wenig ist. Der Tag steht in den Türen, Schlürft es in vollen Zügen! Ihr könnt schon Nachtwind spüren: Es wird euch nicht genügen, Es kommt kein Morgen mehr. Wenn ihr es lassen müsst! Lasst Euch nicht vertrösten! Lasst euch nicht verführen Ihr habt nicht zu viel Zeit! Zu Fron und Ausgezehr! Lasst Moder den Erlösten! Was kann euch Angst noch rühren? Das Leben ist am größten: Ihr sterbt mit allen Tieren. Es steht nicht mehr bereit und es kommt nichts nachher.“

Der Theologe Hans Küng hatte mit nur sieben kleinen Textänderungen das Brecht-Gedicht und dessen Tendenz auf den Kopf gestellt. Auch er betitelt es mit „Gegen Verführung", meint damit aber freilich die Brechtsche Verführung: „Lasst Euch nicht verführen! Lasst euch nicht betrügen! Es gibt eine Wiederkehr. Das Leben wenig ist. Der Tag steht in den Türen, Schlürft's nicht in schnellen Zügen! Ihr könnt schon Nachtwind spüren: Es wird euch nicht genügen, Es kommt ein Morgen mehr. Wenn ihr es lassen müsst! Lasst euch nicht vertrösten! Lasst euch nicht verführen. Ihr habt nicht zuviel Zeit! Zu Fron und Ausgezehr! Fasst Moder die Erlösten? Was kann euch Angst noch rühren? Das Leben ist am größten: Ihr sterbt nicht mit den Tieren. Es steht noch mehr bereit. Es kommt kein Nichts nachher.“

Den Milliarden Toten, die vor diesen nach Brecht angeblich so glücklichen Zeiten verstorben sind, ist nicht mehr zu helfen. Sie sind der archäologisch zu erschließende Friedhof der Vormoderne, die Müllkippe der Evolution, die Fortschrittsfossilien, an denen man nur paläontologisch den Gang der Wissenschaft rekonstruieren könnte. Ostern meint aber auch die Rettung der Vergangenen, die Rettung derer, die durch keine der gegenwärtigen biomedizinischen Wohltaten mehr erreicht werden können.

Durch Ostern denken wir größer vom Leben. Ostern ist nicht das Absaugen von Lebenskraft der Jungen durch die Alten, vermittelt nicht seinerseits nur „auf Widerruf gestundete Zeit“ (Ingeborg Bachmann). Ostern ist nicht der klägliche selbst wiederum nur befristete Nachschlag auf ein befristetes Leben. Brechts Diesseitsperspektive würde sich ja nicht ändern, wenn wir unser Leben auf die Länge von 200 Jahren ausdehnen könnten. Und ist dieses Leben so, dass wir es, selbst wenn es mit allen diesseitigen Reichtümern gesegnet wäre, ewig so weiterleben möchten? Gibt es nicht doch so etwas wie eine Lebenssattheit, ja sogar einen Lebensüberdruss angesichts dieses Lebens und eine bleibende Lebenssehnsucht nach vollendetem Leben?

Durch Ostern denken wir auch gerechter vom Leben. Der Tod deckt nicht ein für allemal den gleichmacherischen Rasen über das Grab des Mörders und seines unschuldigen Opfers. Ostern besiegelt nicht endgültig die Ungerechtigkeit dieser Welt, sondern ermöglicht eine endgültige, vollendete Gerechtigkeit. Ostern verheißt ein anderes, ein für allemal entfristetes Leben, ein nicht durch Defizienz angekränkeltes Leben, ein nicht von den Armen und Armgemachten abgesaugtes, ein nicht auf die Reichen und Einflussreichen beschränktes Leben. Ostern verheißt unbefristetes, vollendetes, alle umfassendes Leben in Fülle. Ostern ist die Apotheose, das endgültige Offenbarwerden, der Inbegriff des Lebens, der Gerechtigkeit und der Liebe. Nach Brecht und anderen Diesseitspropheten wird am Ende „nichts als nichts sein“. Nach unserm christlichem Glauben wird am Ende „mehr als alles“, wird Vollendung sein. Das glauben Christen – weniger nicht.

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