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Freude im Angesicht des Todes

Der Münchner Jesuit und Psychotherapeut Eckhard Frick über die Osterbotschaft aus psychologischer Sicht. Von Isabella Kügler
Eckhard Frick SJ
Foto: SJ | Eckhard Frick SJ ist Psychiater, Psychoanalytiker und Hochschullehrer.

Die moderne Kognitions- und Rechtspsychologie hält das Augenzeugnis für relativ unglaubwürdig. Wie zentral ist das Augenzeugnis für die Glaubwürdigkeit der biblischen Auferstehungsbotschaft?

Die biblischen Augenzeugen sind zentral für unseren Glauben, allerdings nicht als am Grab Jesu wachende Protokollanten, die Details über den Vorgang der Auferstehung festhielten. Vielmehr erschien ihnen der Auferstandene in einer für sie neuen, „verklärten“ Gestalt, oft in einem Kontext von Unsicherheit, Angst, Zweifel. Stärker noch als das ursprüngliche Augenzeugnis verbreitete sich durch die Jahrhunderte das Ohrenzeugnis, dass Jesus lebt. Und diese Kunde ist bis heute nicht verstummt. Es stimmt zwar, dass viele heutige Menschen Wiedergeburtsvorstellungen für plausibler halten als die Auferstehungsbotschaft. Deshalb geht es heute nicht nur um die Glaubwürdigkeit der biblischen Auferstehungszeugen, sondern um das jetzige Zeugnis der Glaubenden, der Kirche.

Die heutige Psychologie hat sich von der unsterblichen Seele weitgehend verabschiedet. Was bedeutet dies in Bezug auf ein zentrales kirchliches Dogma wie die Auferstehung Jesu Christi?

Der christliche Glaube bekennt die Auferstehung des Leibes, nicht die Unsterblichkeit der Seele. Auch viele christliche Theologen haben den Tod als Trennung der unsterblichen Seele vom vergänglichen Leib verstanden, der bis zum Ende der Geschichte auf die Auferstehung warten muss. Die Seele könnte ich im Tod dann zwar nicht materiell festhalten, aber sie wäre irgendwo zwischengelagert (im Himmel, in der Hölle, am Reinigungsort oder – modern gesprochen – in einer Cloud), bis ich zum Weltgericht aufgerufen werde. Solche Vorstellungen vom Weiterleben oder von der Wiedervereinigung meines Leibes mit der für mich bis zum Ende der Welt aufgehobenen Seele sind nicht nur deshalb problematisch, weil sie wunschgesteuert sind. Sie verkennen vor allem, dass ich im Tod überhaupt nichts festhalten kann, und dass es allein Gott ist, der das Leben schenkt.

Insofern erschreckt mich die Psychologie ohne Seele als gläubigen Menschen in keiner Weise. Ich kann die Auferstehungshoffnung auch ohne Annahme einer unsterblichen Seele bekennen und von der Seele weniger philosophisch reden als in der Sprache der Psalmen: die Seele als Sehnsucht, als Durst nach dem lebendigen Gott und seinem Atem.

Die Auferstehung müssen wir nicht hinausschieben bin zu einem fernen Weltende, sie steht uns unmittelbar bevor. Oder aber: Wir sterben in das Weltende hinein. Deshalb können wir mit Romano Guardini sagen: Der Mensch ersteht im Tod zum ewigen Leben, der Tod ist die ihm zugewandte Seite der Auferstehung.

Klaus Berger schrieb 2017 in der Herder Korrespondenz unter dem Titel „Befreites Lachen“, Jesus gehe das Thema Sterben und Tod mit „unglaublicher Kühnheit, ja Frechheit und Pietätlosigkeit“ an. Fehlt unserer heutigen Gesellschaft die Gelassenheit gegenüber dem Tod, weil sie sich von ihren christlichen Wurzeln entfernt hat?

Es stimmt: Die Bibel verspottet den Tod, wenn zum Beispiel Paulus fragt, wo denn sein Stachel sei. Die Lebenserwartung ist hierzulande zwar so hoch wie noch nie, aber der Tod kann diejenigen schrecken, die alles in diesem Leben leisten und erreichen müssen. Gläubige Menschen dürfen sich auf den Himmel, auf die Ewigkeit Gottes freuen: Zwar ändert das nichts an Sterben und Tod, die uns allen bevorstehen. Aber diese Freude lässt uns angesichts des Todes die Auferstehungshoffnung bekennen. Das ist Gelassenheit.

Manches am Berger-Zitat ist freilich dem provokanten Stil dieses Autors geschuldet. Es kann Menschen sicher auch überfordern, wenn sie angesichts von Sterben und Tod pietätlos-frech lachen sollen. Alles hat seine Zeit, auch die Trauer, auch für Christen. Nach meiner Erfahrung gehören gesunde Trauer und Auferstehungshoffnung zusammen. Trauer ist ja sogar ein Gefühl, das die Jünger angesichts der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus befällt: Sie können ihn nicht festhalten, sie müssen ihn loslassen, in der Abschiedlichkeit leben. „Himmelfahrt“ nennen wir das in Anlehnung an Lukasevangelium und Apostelgeschichte. Es ist die abschiedliche Seite der Auferstehungserfahrung.

Was würden Sie modernen Religionspsychologen antworten, die den Glauben an die Auferstehungsbotschaft als Bewältigungsversuche („Coping“) oder gar Abwehrstrategie zur Urangst vor dem Tod und der eigenen Endlichkeit einstufen?

Zunächst einmal kann doch die Auferstehungshoffnung beides sein: Umgehen mit den Herausforderungen dieses endlichen Lebens (Coping) und heitere Öffnung gegenüber der Unendlichkeit Gottes. Als Psychoanalytiker sehe ich jegliche Abwehr als Schutzbedürfnis gegenüber Realitäten, die noch zu schwer für mich sind. Seelische Reifung heißt, dass ich beides lerne: mich der Endlichkeit meines Lebens zu stellen und eine Antenne für das Unendliche zu entwickeln. Selbstverständlich können auch Glaubensinhalte zur Abwehr be- oder missbraucht werden, zum Beispiel wenn ich dem schmerzlichen Abschiednehmen angesichts von Sterben und Tod ausweiche und meine Zuflucht zu frommen Floskeln nehme.

Inwiefern liegt in der Botschaft von Kreuz und Auferstehung therapeutisches Potenzial in Bezug auf psychische Störungen (etwa Depressionen) am Lebensende oder bei unheilbarer Krankheit? Könnte sie dazu beitragen, die Nachfrage nach ärztlich assistiertem Suizid zu vermindern?

Es gibt zahlreiche Befunde dafür, dass Glauben und stabilere Gesundheit (statistisch gesehen) einhergehen. Aber es wird wohl kaum ein Gesundheitsminister auf die Idee kommen, ein Bonusheft für Kirchgänger einzuführen. Ebenso sollte man den Glauben nicht quasi-therapeutisch als Rezept gegen Suizidwünsche einsetzen. Aber auf die Spiritualität suizidaler Menschen einzugehen und diesbezügliche Ressourcen zu unterstützen, das ist schon sinnvoll.

Wie würden Sie als Arzt und Psychoanalytiker die Einbeziehung der Auferstehungsbotschaft in den therapeutischen Prozess beurteilen? Findet hier eine unzulässige Grenzüberschreitung seitens des Therapeuten statt, wenn er dem Patienten religiöse Inhalte vermittelt,oder seitens des Seelsorgers, wenn er ohne psychologische Ausbildung in den Verlauf einer psychischen Störung eingreift?

Wir beobachten in den letzten Jahren eine gegenseitige Enttabuisierung zwischen Psychotherapie einerseits und kirchlicher Seelsorge andererseits. Mit einigen Kollegen habe ich deshalb ein sehr praktisches Fallbuch (Frick et al. 2018) herausgegeben, in dem der Umgang mit Spiritualität und Religiosität in Psychotherapien reflektiert wird, ohne Psychotherapie und Seelsorge in unzulässiger Weise zu vermischen.

Wie könnte man im Sinne des Evangeliums mit seinem eindeutigen Missionsauftrag auf der einen unter gleichzeitiger Achtung des Neutralitätsgebotes psychologischer Therapeuten auf der anderen Seite vorgehen?

„Mission“, „missionieren“ sind im allgemeinen Sprachgebrauch zu Unworten avanciert, die mit Manipulation, Vereinnahmung, Kolonialismus assoziiert werden, im Gegensatz zu Toleranz, Neutralität, wissenschaftlicher Objektivität. Ich bin überzeugt, dass wir die zentrale Bedeutung des Missionsauftrags für den christlichen Glauben neu entdecken müssen. Papst Franziskus zitiert seinen Vorgänger Benedikt, wenn er schreibt: „Die Christen haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, nicht wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet. Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern ,durch Anziehung‘ (Evangelii Gaudium 14).“ „Proselytismus“ heißt, dass ich jemanden in die Kirche hineinziehen will, vielleicht sogar durch Manipulation oder Gewalt. Die „missionarischen Jünger“ hingegen, von denen Franziskus spricht, wenden sich an die Freiheit ihrer Mitmenschen, denen sie ein attraktives Angebot machen: die Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen Jesus.

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