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Ewiges im Provisorium

Das Grundgesetz im Licht des christlichen Glaubens.
Dämmerung für die Familie?
Foto: Adobe Stock | Dämmerung für die Familie? „Ehe für alle“ ist ein Angriff auf die Familie, der Staat müsste sie schützen.

Josef Bordat weist in dem sehr lesenswerten Buch auf die geistige Herkunft unserer Verfassung hin und auf deren Bedeutung für unsere Kultur. Das Buch steht gegen den Trend, Gott aus dem Leben der Menschen zu verbannen und ihn totzuschweigen. Das als Provisorium gedachte Grundgesetz wird, so das Buch, von ewig gültigen Grundsätzen bestimmt, wie dies in der Präambel mit dem Gottesbezug zum Ausdruck kommt. Damit werde die Richtung vorgegeben, die Orientierung für das Handeln der Regierung und der Gesetzgebung.

Barmherzigkeit hat Europa den Fortschritt gebracht

Steht damit aber der Verfasser, Redakteur dieser Zeitung, nicht im Widerspruch zu unserem säkularen liberalen Staat? Keineswegs! Das Buch lässt keinen Zweifel an der Bejahung unserer parlamentarischen Demokratie, unseres Rechts- und Sozialstaates. Dem Verfasser geht es vielmehr um die Auseinandersetzung zu den Grundlagen des Staates, ohne die auch der säkulare Staat nicht existieren kann (Böckenförde). Es geht um das einigende Band, ohne das der Staat auseinanderfällt. Es geht um die Zustimmung des Volkes zum Staat, dass nicht der Staat das Volk, sondern das Volk den Staat trägt.

Josef Bordat nennt Kelsen, der das einigende Band in der Neutralität des Gesetzesstaates sieht. Ähnlich Habermas in dem Streitgespräch mit Kardinal Ratzinger, dass der Staat auf das Grundverständnis seiner Bürger angewiesen ist. Dieses Verständnis werde durch den demokratischen Prozess, durch die Kommunikation erreicht. Heißt das, dass die Menschen nur lange genug miteinander reden müssen, um dann den gemeinsamen Weg zu finden? Woher aber sollen die Menschen wissen, dass sie auf dem richtigen Weg sind? Bordat verweist auf die Vernunft, die das Gute vom Bösen zu unterscheiden vermag. Er nennt Radbruch, der in der Gerechtigkeit und damit im Naturrecht das Maß der Gesetze sieht. Auf das Naturrecht hat auch Papst Benedikt in seiner Rede vor dem Bundestag mit seiner Frage hingewiesen, was denn das Maß der Gesetze ist. Bordat erinnert an Thomas von Aquin, der in Gott den Stifter der Vernunft, des innersten Wissens des Menschen, was gut und was böse ist, sieht. Der Mensch heute aber lehnt Gott ab und damit auch die von Gott erleuchtete Vernunft. Der moderne Mensch will selbst entscheiden, was gut und was böse ist. Wohin dies führt, haben Kommunismus und Nationalsozialismus gezeigt. Die drei Diktatoren Hitler, Stalin und Mao haben zusammen über 160 Millionen Menschen ermordet. Deshalb fordert der Verfasser die Besinnung auf das Naturrecht, „das von einer unhintergehbaren, gleichwohl dem Menschen zugänglichen göttlichen Vernunft garantiert wird“. Es sei riskant, sich allein auf menschliche Konventionen und die instrumentelle Vernunft zu verlassen.

Die Grundlage, die unantastbar allen Gesetzen vorausgeht, ist Art. 1 Abs. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es ist in Gesetzesform gegossenes Naturrecht. Der Mensch hat Würde, weil Gott ihn nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, weil Gott selbst Mensch geworden ist. Benedikt XVI schreibt: „Es kann nichts Größeres über den Menschen gesagt werden, als dass Gott Mensch geworden ist.“ Die säkulare Begründung dieses Begriffes richtet sich nach Kant, dass nämlich der Mensch nicht Mittel zum Zweck sein kann, dass er vielmehr selbst Zweck an sich ist.

Eng verbunden mit der Würde des Menschen ist sein Recht auf Leben. Die Würde des Menschen liegt im Dasein um seiner selbst willen (BVerfGE 88, 203, 252). Die Würde des Menschen zu wahren und das Recht auf Leben zu schützen, ist die wichtigste Aufgabe des Staates. Das gilt auch für das ungeborene Leben vom Augenblick der Zeugung an. Diese Schutzpflicht besteht auch gegenüber der Mutter. Es kann nicht der Gewissensentscheidung der Mutter überlassen bleiben, ob das Kind leben darf. Dafür ist das Recht auf Leben zu elementar.

Hier taucht die Frage nach dem Gewissen auf, die der Verfasser im nächsten Kapitel des Buches behandelt. In Art. 4 GG ist die Gewissensfreiheit, die Glaubens- und Religionsfreiheit garantiert.

Es gehört zum Selbstverständnis des säkularen Staates, dass er die Glaubens- und Religionsfreiheit gewährleistet und die Ausübung der Religionsfreiheit und der Glaubensfreiheit im öffentlichen Leben garantiert.

Schwieriger jedoch ist die Einordnung der Gewissensfreiheit, weil damit die Wertfrage verbunden ist. Als die religiöse Bindung des Menschen noch einheitlich war, waren die Werte, nach denen sich die Menschen ausgerichtet haben, noch Konsens. Dies ist nicht mehr der Fall. Durch die starke Individualität ist auch das subjektive Urteil über Werte sehr unterschiedlich geworden. Es muss jedoch Maßstäbe geben, nach denen sich das Gewissen zu richten hat.

Wenn diese Maßstäbe verletzt werden, kann sich der Mensch nicht mehr auf seine Gewissensfreiheit berufen. Für eine verantwortliche Gewissensentscheidung sind drei Voraussetzungen erforderlich (Guardini). Der Wert, für den sich das Gewissen entscheidet, muss wahr sein. Deshalb ist die Gewissensbildung wichtig. Darüber hinaus muss die Freiheit der Entscheidung gewährleistet sein.

Der Staat hat vor allem aber auch eine besondere Schutzpflicht für Ehe und Familie. Wir erleben jedoch, dass die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau in Frage gestellt wird. Diese Verbindung der beiden Geschlechter ist jedoch dem Ehebegriff wesenseigen (BVerfGE, 105, 313). Die Ehe steht deshalb unter dem besonderen Schutz des Staates, weil sie typischerweise die Vorstufe zur Familie ist (J. Ipsen). Die „Ehe für alle“ ist ein Angriff auf die Familie. Auch in dem Versuch, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, ist nicht nur eine Beschädigung des Elternrechtes, sondern auch der Familien zu sehen.

Wichtig ist vor allem auch der Hinweis auf das Verhältnis von Kirche und Staat. In den Medien werden immer wieder die staatlichen Subventionen und das Kirchensteuerabzugsverfahren kritisiert. Bei aller Kritik darf aber das Verdienst der beiden Kirchen nicht außer Acht bleiben, die gemäß dem Auftrag ihres Stifters das Gebot der Nächstenliebe, die Verantwortung füreinander, von Jahrhundert zu Jahrhundert den Menschen vermittelt haben. Die Barmherzigkeit ist es, die nach dem französischen Philosophen Philippe Nemo Europa den Fortschritt gebracht hat.

Josef Bordat: Ewiges im Provisorium: Das Grundgesetz im Lichte des christlichen Glaubens. Mit einem Geleitwort von Mechthild Löhr. Lepanto Verlag 2019, 212 Seiten, ISBN-13: 978-394260-508-3, EUR 14,80

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