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Die eigene Umkehr vor Augen

„Ich schweige nicht“: Jakob Knabs Biografie zu Hans Scholl zeigt ein realistisches Bild. Von Stefan Meetschen
Hans Scholl auf dem Garagentor
Foto: dpa | Hans Scholl auf einem Garagentor in Frankfurt: Sein Verständnis von Verantwortung ist auch heute aktuell.

Wer aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen. Hinter dem Konkreten, hinter dem sinnlich Wahrnehmbaren, hinter allen sachlichen, logischen Überlegungen steht das Irrationale, das ist der Kampf wider den Dämon, wider den Boten des Antichrists.“

Mit diesen ebenso kernigen wie hellsichtigen Worten des vierten Flugblatts der „Weißen Rose“ versuchte Hans Scholl die Deutschen aus der Lethargie zu reißen. Vergeblich, wie man heute weiß. Hitler wurde durch externe Einwirkung gestoppt. Das Volk der Täter und Mitläufer ließ sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, verführen bis zum bitteren Ende.

Umso wichtiger ist es, sich mit diesem Hans Scholl, der vor 100 Jahren zur Welt kam und vor 75 Jahren vom NS-Staat hingerichtet wurde, zu beschäftigen. Jakob Knab tut dies in seiner aktuell erschienenen Hans Scholl-Biografie – mit der Sorgfalt und Bescheidenheit des langjährigen Verehrers, ohne unliebsame Fakten zu verschleiern. „Auf seine NS-Vergangenheit, seine zeitweiligen homosexuellen Aktivitäten und seinen mutmaßlichen Drogenkonsum ist in einigen Veröffentlichungen deutlich hingewiesen worden.“ Knab, der im Schuldienst tätig war und sich seit Jahrzehnten aus demokratischer Verantwortung mit Themen der Traditionspflege und Erinnerungskultur beschäftigt, geht es nicht um „Enthüllungen“. Ihm geht es in der Biografie darum, den geistigen Entwicklungsgang und Antrieb des jungen Widerstandskämpfers zu verstehen und darzustellen.

Dass dabei der christliche Glaube gewürdigt wird, versteht sich fast von selbst. War es doch der Katholizismus, der Hans Scholl nach einer frühen Lebenskrise neue Kraft und Orientierung schenkte. „Auffällig ist, dass Scholl sich in diesem Frühjahr 1942 eine christliche Welt gewissermaßen auch praktisch schuf, indem er persönliche Kontakte zu Klöstern aufbaute. Auch sein Interesse an Büchern, die ihm Klarheit in existenziellen Fragen verschaffen und zur persönlichen Orientierung beitragen können, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Er fühlte sich hingezogen zu jenen Bibliotheken, wo auch nach der Bücherverbrennung und nach der „Säuberung“ der öffentlichen Büchereien das literarische Erbe der christlichen und abendländischen Kultur aufbewahrt wurde.“

Aber nicht nur mit Augustinus & Co., auch mit Goethe, Schiller und Novalis, Cicero und Lao-tse trotzte Scholl dem Unrechtsregime, was man als Beleg dafür nehmen kann, dass er Bildungsbürger als Hauptzielgruppe im Blick hatte. Auf ihre Einsicht und Umkehr setzte Hans Scholl, die eigene Umkehrfähigkeit deutlich vor Augen. Knab ist davon überzeugt, dass Scholl die Religion nicht nur als Erkenntniskraft verstand, sondern bewusst als sprachliches Instrument einsetzte. „Scholl betrachtete die Artikulationskraft einer religiösen Sprache als ein kulturelles Argument gegen die Phrasen der NS-Ideologie. Er erkannte den Zusammenhang von Religion und Ethik; denn Religion kann wichtige Anstöße für die ethische Selbstfindung, Klärung und Vergewisserung geben.“ Interessant ist auch das ethische Deutungsschema Knabs hinsichtlich der im Juni und Juli 1942 veröffentlichten Flugblätter der Weißen Rose: „Wenn man diese vier Flugblätter als Einheit liest, dann ist eine zunehmende Steigerung der Werteverbindlichkeiten – im Sinne einer gesteigerten inhaltlichen Entschiedenheit und Zuspitzung – erkennbar: Das erste Flugblatt beruft sich auf Goethe und Schiller, das zweite auf die östlichen Weisheitslehren des Lao-tse. Die dritte Flugschrift spricht von der sittlichen Pflicht, und der Sinngipfel ist dann mit dem vierten Flugblatt und dessen biblisch-prophetischer Mahnung zur Umkehr erreicht.“

Jakob Knab gelingt es mit seiner Biografie, Hans Scholl, der bei der Rezeption der „Weißen Rose“ nach dem Krieg manchmal im „Schatten seiner ikonenhaften Schwester Sophie“ stand, als den geistigen und sprachlichen Kopf der Gruppe deutlich erkennbar zu machen. Er zeigt ihn mit Licht und Schatten, als einen jungen, intelligenten Wahrheitssucher, der dank katholischer Mentoren wie Theodor Haecker und Carl Muth seinen Weg und seine Aufgabe fand. Die authentische Rezeption des NS-Widerstands bleibt eine große Aufgabe, da sie eng mit der Gewissensbildung einhergeht. Als langjähriger Lehrer weiß Jakob Knab, worauf es dabei ankommt: „Intellektuelle Redlichkeit ist angesagt.“ Ein empfehlenswertes, hochaktuelles Buch.

Jakob Knab:
Ich schweige nicht – Hans Scholl und die Weiße Rose.

Wbg Theiss Verlag, 2018, 264 Seiten, ISBN 978-3-8062-3748-1, EUR 24,95

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Themen & Autoren
Christliche Glaubensrichtungen Hans Scholl Johann Wolfgang von Goethe Katholizismus Novalis Sittlichkeit Stefan Meetschen Theodor Haecker

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