Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Der Kanzler-Kenner

Adenauer- und Kohl-Biograph Hans-Peter Schwarz zeigt sich in seinen Erinnerungen kritisch. Von Sebastian Sasse
Tag der offenen Tür bei der Bundesregierung
Foto: dpa | Die Kanzler-Galerie im Berliner Kanzleramt: Von Adenauer bis Schröder. Hans-Peter Schwarz hat als Politikwissenschaftler jeden Regierungschef und dessen Politik beobachtet und analysiert.

Hans-Peter Schwarz ist nicht nur der Biograph der großen Nachkriegskanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl – er ist auch ein bedeutender Kritiker der Politik der beiden Christdemokraten. Seine Argumente sind dabei vor allem für diejenigen aufschlussreich, die sich grundsätzlich zu den Anhängern der Zwei zählen. Denn die historische Größe Adenauers und Kohls stellt Schwarz in keiner Weise in Frage. Der Eine ist für ihn der Gestalter. ja in gewisser Weise sogar Gründer der stabilen westdeutschen Nachkriegsdemokratie, der Andere der Staatsmann, der die Chance der deutschen Einheit erkannte und dann auch beherzt umsetzte. Das ist allen bekannt, die die Werke des Politikwissenschaftlers und Historikers kennen.

In seinen Erinnerungen setzt aber Schwarz interessante Gegenakzente. Seine Memoiren, die nun posthum erschienen sind (Schwarz starb 2017 zwei Tage vor Helmut Kohl), geben somit auch Aufschluss über die geistige und ideengeschichtliche Prägung des Autors, der die Zeitgeschichtsschreibung der Bundesrepublik stark geprägt hat, als Wissenschaftler wie als meinungsstarker Publizist.

Schwarz gehört einer politischen Richtung an, die in der Bundesrepublik heimatlos ist, weil es keine Partei gibt, die ihr von ihrer Weltanschauung her wirklich eine geistige Heimat bieten könnte. Sie zu beschreiben, fällt gar nicht so einfach. Weil es anders als im angelsächsischen Raum keine Tradition für sie gibt. Am besten ließe sich Schwarz vielleicht als „Tory“ beschreiben. Mit den britischen Konservativen – die man eben nicht mit den Konservativen in Deutschland ohne weiteres gleichsetzen kann – verbindet ihn: ein skeptisches Menschenbild, der Glaube an die Unverzichtbarkeit starker Institutionen, eine patriotische Grundstimmung und das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, der er lieber das Attribut „frei“ als „sozial“ voranstellt. Letztlich bleibt aber für Vertreter dieser Richtung nur die Union, um irgendwie in der Politik anzudocken. Manchmal kann ihnen auch die FDP attraktiv erscheinen, auch die Lucke-AfD hätte Reiz ausgeübt, eine national-soziale Höcke-AfD sicherlich nicht. Schwarz hat sich Anfang der 80er Jahre der CDU angeschlossen. Doch der badische Protestant, Jahrgang 1934, fremdelte, wie die Erinnerungen zeigen. Vor allem mit den Punkten in der Parteiprogrammatik, in denen sich die Tradition des Politischen Katholizismus widerspiegelt.

Hier zeigen sich auch die Bruchlinien zu Adenauer und Kohl: Beiden wirft er einen Hang zur Sozialromantik vor, zu viel soziale statt freier Marktwirtschaft. Auch hebt Schwarz, der von der angelsächsischen politischen Kultur fasziniert ist, im Gegensatz zu den beiden Frankreich-Freunden die transatlantischen Beziehungen hervor. Schwarz ist Atlantiker, kein Gaullist. Entsprechend nüchtern ist auch sein Blick auf die europäische Einigungsbewegung. Sie ist ihm keine Herzenangelegenheit. Wenn überhaupt, dann Mittel zum politischen Zweck. Helmut Kohls Euro-Politik hat Schwarz schon kritisiert, als der Kanzler noch im Amt war. Trotzdem entschied sich der Alt-Kanzler für ihn als Biographen und gewährte ihm Einblick in Unterlagen.

Solche neuen Perspektiven auf die Kanzler machen die Erinnerungen lesenswert. Der Großteil des Buches ist aber vor allem für Leser interessant, die sich für die Entwicklung der Politikwissenschaft und Zeitgeschichte in der Bundesrepublik interessieren. Schwarz beschreibt am Beispiel seiner Vita, wie die Vertreter seiner Generation ihre Disziplin als „Demokratiewissenschaft“ verstanden. Das bedeutete vor allem: Kein Rückzug in den Elfenbeinturm, sondern mitmischen im politischen Getümmel. Etwa als Publizist. Von seinem Bonner Lehrstuhl aus hatte Schwarz die beste Gelegenheit, diesen Ansatz umzusetzen. Er pflegte den Kontakt zu den politischen Protagonisten. Vor allem zu Helmut Kohl. Schwarz sind Skizzen gelungen, die aus der Nähe beschreiben, wie der Langzeit-Kanzler am Rhein selbstbewusst regierte – und auch residierte.

Hans-Peter Schwarz: Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen. Herausgegeben von Hanns Jürgen Küsters. DVA, München 2018, 734 Seiten, ISBN 978-3-421-04838-7, EUR 50,–

Themen & Autoren
CDU FDP Hans-Peter Schwarz Helmut Kohl Konrad Adenauer Marktwirtschaft

Weitere Artikel

Maximilian Krah gerierte sich bisher als AfD-Vordenker, seine Kritiker wurden gedeckelt. Nun könnte es zur Entscheidungsschlacht kommen. Aber der Krah-Flügel ist stark.
25.04.2024, 18 Uhr
Sebastian Sasse
Wolfgang Schäuble wollte den Staat denken. Sein Bezugspunkt war dabei die „Realität“. Das schützte ihn vor ideologischen Versuchungen.
27.12.2023, 16 Uhr
Sebastian Sasse

Kirche

Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig