Hatte die Restauration des 19. Jahrhunderts den gregorianischen Choral als objektive Musik vor jedem Anfang verstanden und den Ausführenden daher auf einen möglichst reinen, keuschen, emotionslosen Gesangsstil festgelegt, so blickt die derzeitige Forschung und Praxis mehr auf die Historizität – und damit auch mehr auf das musizierende Subjekt. „Der ganze Mensch feiert Liturgie mit all seinen Sinnen“, sagte Ulrike Praßl, Musikwissenschaftlerin aus Graz, auf einer Tagung der Katholischen Akademie in Bayern am vergangenen Samstag. Exemplarisch weist sie anhand der Gesänge des Triduum Sacrum nach, dass die Choralnotation den biblischen Text durchaus interpretiere und keineswegs nur psalmodierend überhöhe.
Singen vor Gott
Der ganze Mensch feiert Liturgie: Über gregorianische Gesänge