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„Werk ohne Autor“: SS-Offizier wird überzeugter Kommunist

Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ beschreibt in epischer Länge drei Epochen deutscher Geschichte. Von José García
Filmszene aus „Werk ohne Autor“
Foto: Buena Vista International

Mit seinem Spielfilmdebüt „Das Leben der Anderen“ (DT vom 23.3.2006) gewann Florian Henckel von Donnersmarck nicht nur den Oscar 2007 für den besten nichtenglischsprachigen Film und etwa 40 weitere internationale Filmpreise. Die fein austarierte Mischung aus Politthriller, menschlichem Drama und DDR-Gesellschaftsgemälde bedeutete auch eine Zäsur in der filmischen Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitgeschichte. Vier Jahre später drehte Henckel von Donnersmarck in Hollywood den Genrefilm „The Tourist“ (DT vom 18.12.2010), der trotz hochkarätiger Besetzung mit Angelina Jolie und Johnny Depp kein großer Erfolg und von der Kritik eher verrissen wurde. Zwölf Jahre nach „Das Leben der Anderen“ und acht nach seiner zweiten Regiearbeit stellte nun der deutsche Regisseur im Wettbewerb der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele von Venedig seinen dritten Spielfilm „Werk ohne Autor“ vor.

Der dreistündige Film „Werk ohne Autor“ erzählt aus drei Jahrzehnten und ebenfalls aus drei Epochen deutscher Geschichte vom Leben des Künstlers Kurt Barnert (Tom Schilling), dessen Biographie sich an den Lebenslauf von Gerhard Richter eng anlehnt. Als etwa Sechsjähriger besucht Kurt Barnert (noch von Cai Cohrs dargestellt) in Begleitung seiner Tante Elisabeth May (Saskia Rosendahl) 1937 in Dresden eine Ausstellung über „entartete Kunst“ – darunter Werke von Kandinsky und Picasso oder auch „Der Turm der blauen Pferde“ von Franz Mark, das seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen gilt. Mit dieser Liebe zum Detail unterstreicht der Film den Einfluss von Tante Elisabeth auf die Erweckung des Künstlers im Kind. Für „Werk ohne Autor“ spielt die Tante eine bedeutende Rolle, denn gerade sie stellte für den Regisseur den Ausgangspunkt seines Filmes dar: Vor einigen Jahren kam ans Licht, dass Gerhard Richter eine an Schizophrenie leidende Tante hatte, die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Gesetze wurde.

Es stellte sich heraus, dass für die Verlegung von Elisabeth May in die Anstalt, wo sie ermordet wurde, ein Gynäkologe und SS-Offizier verantwortlich war, einer der leitenden Köpfe in der sogenannten T4-Aktion (die Zentralleitstelle befand sich in der Berliner Tiergartenstraße 4, daher der Name), bei der von 1940 bis 1945 mehr als 70 000 Menschen mit Behinderungen ermordet wurden. Nach Kriegsende wurde gerade dieser Frauenarzt Richters Schwiegervater. Im „Werk ohne Autor“ heißt der SS-Arzt Professor Carl Seeband (Sebastian Koch), der als ziemlich dominant dargestellt wird. Eine besondere dramaturgische Spannung entsteht daher, dass weder Kurt noch Professor Seeband von dieser Beziehung wissen – genauso wenig wie Kurts junge Frau Ellie (Paula Beer). Auch wenn sicherlich die künstlerische Entwicklung von Kurt Barnert vom Maler des „sozialistischen Realismus“ in der DDR bis zum Augenblick, da er Anfang der 1960er Jahre seinen eigenen Stil in Düsseldorf findet, zusammen mit der Liebesgeschichte zwischen ihm und Ellie im Mittelpunkt des Filmes stehen, ist der Charakter des von Sebastian Koch mit großer Präsenz dargestellten SS-Offiziers der durchaus interessantere: An ihm, der den SS-Totenkopf trug, dann „überzeugter Kommunist“ in der DDR und schließlich in der Bundesrepublik Karriere machte, können die drei Epochen deutscher Geschichte besonders abgelesen werden.

Demgegenüber beschränkt sich die von Paula Beer verkörperte Ellie meistens darauf, immer wieder die gleiche Bettszene zu wiederholen. Der penetrante und wiederholt voyeuristische Blick der Kamera auf ihren nackten Körper erinnert an längst überholt geglaubte Zeiten sogenannter „freizügiger“ Filmchen. Gerade in Zeiten von „MeToo“ stimmt so etwas ziemlich bedenklich.

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