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Hier griff das Leben selbst zur Feder

Ein Schriftsteller, der sich ebenso auf die Politik verstand und Erfahrungen auf weiten Reisen machte: François-René de Chateaubriand, mit dem wir den zweiten Teil unserer Serie „Poeten, Priester und Propheten" beginnen. Von Urs Buhlmann
Chateaubriand, wie ihn 1808 die Malerin Anne-Louis Girodet-Trioson sah
Foto: IN | In seinem Handeln zeigt er sich als Konservativer: Chateaubriand, wie ihn 1808 die Malerin Anne-Louis Girodet-Trioson sah.

Für einen Franzosen kann es nicht unehrenhaft sein, als Kochrezept fortzuleben, vor allem, wenn es so nahrhaft ist. Denn es handelt sich immerhin um ein Doppellendensteak, vier Zentimeter tief geschnitten und bis zu 600 Gramm schwer. Man glaubt gerne, dass dieses „Steak Chateaubriand“ für zwei Personen als ausreichend angesehen wird, besonders dann, wenn es mit Sauce Béarnaise und natürlich mit Gemüse und Erdäpfeln serviert wird.

Freilich mag man sich an François-René Vicomte de Chateaubriand auch aus anderen, nicht-kulinarischen Gründen erinnern. Sein Werk, sein Leben als Schriftsteller, Politiker und Diplomat umfasst die ganze Epoche zwischen den noch vor-revolutionären Zeiten, der dann neuen Ordnung Napoleons nach dem Umbruch, dem „Bürger-Königtum“ Louis-Philippes bis zur erneuten Revolution 1848, die wieder einen Napoleon an die Spitze Frankreichs stellen sollte.

Es ist das typische Universalstreben der Romantik, das den Sohn einer verarmten bretonischen Familie antreibt, das ihn nötigt, sich in allem zu versuchen: Als Dichter, Soldat, Weltreisender – darin ganz epochentypisch – sowie als Staatsmann. Die Jugendzeit war entbehrungsreich und von emotionaler Kälte geprägt, neben der ewig kränkelnden Schwester Lucile, einem übermäßig strengen Vater und einer maßlos frommen Mutter. Die Ureindrücke, die er in der bretonischen Heimat nahe St. Malo im elterlichen Schloss Combourg empfing, entschädigten ihn und erschlossen ihm die Welt der Empfindungen – das donnernde Brüllen des Sturmes ebenso wie die Melancholie des Meeres bei Windstille. Die Eltern kämpfen ihren Kampf miteinander, wenn sie das jüngste ihrer zehn Kinder abwechselnd zur Laufbahn des Marineoffiziers oder der des Priesters hindrängen wollen. Die Schule widerstrebt François-René und so nimmt er zunächst Zuflucht beim Militär, als Leutnant im berühmten 5. Infanterie-Regiment Navarra, das unweit der Hauptstadt stationiert war. Zu den Gebräuchen gehörte, dass man sich dem König vorstellen lassen konnte. Zugleich erhält der junge Offizier erstmals Zutritt zu den Salons von Paris, wetzt auch zum ersten Mal seine Feder bei literarischen Versuchen. Als der Vater 1786 stirbt, erbt er ein kleines Vermögen, das der schwärmerisch Veranlagte gleich für ein „typisch-romantisches“ Projekt verwendet: Eine neunmonatige Reise zu den Natchez-Indianern im damals noch französischen Louisiana soll ihn zu einem Epos über den Naturmenschen inspirieren. Zugleich entflieht er damit 1791 auch der bereits äußerst unruhigen Atmosphäre der Heimat.

Man muss allerdings festhalten, dass Chateaubriand, wie so viele seines Standes, den revolutionären Bestrebungen zunächst durchaus positiv gegenüberstand. Die Amerika-Reise brachte ihm Erkenntnis und Inspiration: Die Weite der Landschaft am Mississippi, die unberührte Schönheit der Natur ließen ihn dennoch nicht übersehen, dass die Indianer eben nicht mehr die unberührten „edlen Wilden“ waren, sondern bereits angekränkelt vom Kontakt mit dem Weißen Mann, ihrer selbst entfremdet, würde man heute sagen. Ein Jahr lang lebte der königliche Offizier unter ihnen und nahm Maß für eine Reihe seiner Werke, „Atala“, „René“ und „Die Natchez“.

Die Flucht des Königs 1792 ruft ihn in die Heimat zurück, er heiratet zunächst standesgemäß und schließt sich der „Armée des émigrés“ an, der überwiegend aus geflüchteten französischen Adligen bestehenden Exiltruppe, bei der er als einfacher Soldat dient. An der Seite Österreichs und Preußen will man König Ludwig XVI. zurückholen und damit auch die absolute Monarchie wiederherstellen. Chateaubriand ist mittlerweile „politisiert“ und steht klar auf der konservativen Seite. Der Blutdurst der Sansculotten widert ihn, der bei Thionville verwundet wurde, an. Verwandte von ihm wurden guillotiniert oder in den Kerker gesteckt. 1793 – der französische König ist mittlerweile enthauptet, die Monarchie abgeschafft – schlägt er sich nach London durch und beginnt eine armselige Existenz als Französisch-Lehrer und Übersetzer. Doch zugleich erwacht in diesen Jahren der Schriftsteller in ihm.

Frucht der Amerikareise ist ein Text über die Indianer, „Les Natchez“, der den Maler Delacroix zu einem verklärenden Gemälde inspirieren wird. Bemerkenswert ist der 1797 gedruckte „Essai historique, politique et moral sur les révolutions anciennes et modernes“, der Aufschluss über den politischen Standort des Schriftstellers gibt. Es ist eine beredte Klage über das, was seiner französischen Heimat widerfahren ist, über den völligen Verlust der gesellschaftlichen Position des Adels, über den furchtbaren Blutzoll, der von ihm, dem Bürgertum und besonders von der Kirche der Revolution entrichtet wurde. Damit ist der Weg beschritten, der Chateaubriand zu einem der großen katholischen Literaten werden ließ. Er, der der Religion nie ganz entfremdet war, besingt in seinem 1798 begonnenen und 1802 erschienenen „Le Génie du Christianisme“ die Notwendigkeit von Religion und ihre besonders ideale Ausprägung in ethischer und ästhetischer Hinsicht in Gestalt der katholischen Kirche. Es war auch der Tod der Mutter einige Jahre zuvor, der diese Rückwendung ausgelöst hatte. Die Zeiten waren ruhiger geworden – der Autor selber war einem Aufruf Napoleons gefolgt und kehrte 1800 nach Frankreich zurück – und so war dem „Génie“ unerwarteter Erfolg beschieden. Nicht nur war das Buch verlegerisch ein Erfolg, es trug in seiner Wirkungsgeschichte auch maßgeblich zum Wiederaufstieg der Religion in Frankreich bei. Wer weiß, ob nicht auch Motive eines gewissen Opportunismus bei Chateaubriand eine Rolle spielten. Nach einer persönlichen Begegnung mit Napoleon bekannte er sich klar zum künftigen Kaiser, der seinerseits einen Ausgleich mit der Kirche suchte und 1801 in einem Konkordat ratifizierte. Der Schriftsteller half ihm bei diesem Unterfangen. Chateaubriand wird jedenfalls mit einer Stelle in der Diplomatie belohnt.

Kompositorisch überraschend waren zwei Novellen in das Essai-Werk eingebaut, die beide zu Kultbüchern der jungen Generation wurden, zugleich aber zu literarischen Skandalen: „Atala“, die Geschichte einer Halbindianerin, die einen inneren Konflikt nur durch Selbstmord meint lösen zu können, und „René“, der Mustertyp des vom Weltschmerz, dem „mal du siecle“, zerrissenen jungen Künstlers, der sich verbotenerweise zu seiner Schwester hingezogen fühlt. Es schien, dass Chateaubriand in einem Wurf sowohl ein politisches wie auch ein künstlerisches Statement abgeben wollte. Zu „René“ sagt ein heutiger Beobachter: „Die Schilderung der (schlussendlichen, Verf.) Gottesweihe der Schwester im Kloster gehört mit zum Irritierendsten, was man in der Literatur zum Thema Entweltlichung lesen kann.“ Alles das, was spätere Schreiber wie Baudelaire oder Huysmans zum Sujet Weltflucht, magische Zwischenwelten und Okkultismus zu sagen wagten, ist hier bereits grundgelegt.

Chateaubriand bleibt seinem Ruf als Konservativer treu, als er nach der empörenden Ermordung des Herzogs von Enghien, des royalistischen Thronprätendenten, Napoleon die Stirn bot und von seinem Posten als Gesandtschaftssekretär in Rom demissionierte. Zu gleicher Zeit bewies er die adelsübliche Nonchalance im Eheleben, das er mit zahlreichen Affären „würzte“, gekrönt durch eine langjährige Beziehung mit der berühmten und viel begehrten Madame Récamier. Das Reisefieber packte ihn wieder. Zwischen 1806 und 1807 war er in Italien, Griechenland, Palästina – wo er zum Ritter vom Heiligen Grab geschlagen wurde – dem Nahen Osten und Nordafrika unterwegs. Das gab Stoff für einen 1808 erschienenen Roman, der um den Märtyrer-Tod eines zum Christentum konvertierten vornehmen Römers und einer jungen Griechin kreist, die erst im Tod zusammenfinden. Die mit allem Sinnenzauber geschilderte Geschichte wurde wiederum zum Bestseller. Seine Ehe, ein weiteres Mal durch eine Liebelei mit einer in Spanien lebenden Französin beschädigt, wurde allerdings 1812 durch dauernde Separation fürs erste beendet. Ein Versuch als Dramatiker mit der Tragödie „Moise“ wurde kein Erfolg. Dennoch gelang ihm, dem mittlerweile breiten Kreisen bekannten „öffentlichen Intellektuellen“, der wie Lord Byron für die Befreiung Griechenlands von der türkischen Herrschaft eintrat, die Wahl in die Académie Française.

Mit der Restauration der bourbonischen Herrschaft 1814/1815 trat der Schriftsteller Chateaubriand vorübergehend zu Gunsten des Diplomaten und Staatsmanns in den Hintergrund. Der neue König Ludwig XVIII. griff gerne auf seine Dienste zurück, erhob ihn zum „Pair de France“ und damit Mitglied des Oberhauses und vertraute ihm diplomatische Missionen in Stockholm, Berlin und London an, auch war er Frankreichs Delegationsleiter auf dem Kongress von Verona 1822. Kurzfristig sogar Außenminister, pausierte seine Karriere zunächst unter König Karl X., um dann 1828 mit dem Botschafter-Posten in Rom an ein glanzvolles Ende zu kommen. In diesen Jahren war weniger vom Schriftsteller, mehr vom politischen Journalisten – auch durch die Herausgeberschaft der Zeitschrift „Le Conservateur“ bedingt – Chateaubriand zu hören. Aber auch unter einer royalistischen Regierung trat er für die Pressefreiheit ein. Zugleich sammelte er Material, machte sich erste Notizen für seine Memoiren. Mit dem „Bürgerkönigtum“ des aus der Nebenlinie der Bourbonen stammenden Louis-Philippe d'Orléans, der das unaufhaltsam reich werdende Besitzbürgertum begünstigte, konnte er nichts anfangen, stellte seine Ämter, auch seine Pension, zur Verfügung und schlug sich wieder als freier Schriftsteller durch. In politischer Hinsicht trat Chateaubriand – ein weiteres Mal unzeitgemäß – für eine Rückkehr der Hauptlinie der Bourbonen ein, deren Mitglieder damals im Exil waren. 1830 wird ihm die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften zuteil, zu der 1842 noch der preußische Orden Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste treten sollte.

Mit einer Meisternovelle, die vom Geist des spanisch-maurischen Ehrbegriffs getränkt ist, „Les Aventures du dernier Abencérage“, die die Geschicke einer christlichen Familie nach dem Fall Granadas 1492 schildert, meldet er sich als Schriftsteller zurück. Wohl schon reflektierende Ausein-andersetzung mit dem eigenen Leben und dem nahenden Tod ist die Übersetzung des berühmten Versepos von John Milton „Paradise lost“, in englischen Exiltagen begonnen und nun vollendet. Vor allem aber die berühmten „Erinnerungen von jenseits des Grabes“ (Mémoires d'outre-tombe) sind als letztes wichtiges Werk zu nennen, ebenfalls schon lange vor dem Erscheinen 1848 begonnen. Eine klangvolle Sprache paart sich hier mit lebendiger Geschichtsschilderung, aber auch einem stellenweise deutlichen Hang zur Selbstmystifizierung und Selbstmythisierung. Das letzte zu Lebzeiten herausgekommene Werk war eine Lebensbeschreibung des französischen Reformabtes Rancé, der als Begründer des mönchischen Reformzweiges der Trappisten gilt.

Alles an Chateaubriand ist groß, sein Leben und die Zeit, in der er lebte, aber auch der hohe Ton seines Schreibens, unbesorgt um Widersprüche oder gelegentliche Zurschaustellung der Eitelkeit. Hohles Wortgeklingel warf ihm sein Erzfeind Stendhal folgerichtig vor, was dazu beitrug, dass er nach seinem Tod zunächst in Vergessenheit geriet. Und doch konnte der Romancier Victor Hugo begeistert ausrufen „Ich möchte Chateaubriand werden oder nichts.“ Die literarischen Qualitäten dieses Feuerkopfes, der von sich behauptete, ein Liberaler zu sein, obwohl er eindeutig konservative Positionen bezog, sind unübersehbar und trugen schon bald zu einer Renaissance des Autors in Frankreich bei, die bis heute anhält. Gerade ist auch in Deutschland eine Neuübersetzung der Memoiren erschienen.

Unter bedrückten materiellen Umständen, aber im Einklang mit sich verbrachte Chateaubriand seine letzten Lebensjahre, schwer von Gicht gepeinigt, in Paris. Er war wieder versöhnt mit seiner Frau – und sah dennoch fast täglich Madame Récamier. Zum Meer, an dessen Strand sein irdisches Leben begonnen hatte, zog es ihn am Ende zurück. Auf einer vorgelagerten Insel bei Saint-Malo liegt seine Grabstätte, die ein Kreuz, aber keine Inschrift zeigt.

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