Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Wir sind alle gleich an Würde und Rechten!

Was uns die Besinnung auf die Menschenrechte lehren kann. Von Theresia Theuke
Frau mit Megafon
Foto: Stock Adobe | Frau mit Megafon

Dank des Internets und der unzähligen Bildschirme in unseren Häusern und Hosentaschen sind wir jeden Tag mitten drin in den Dramen der Gegenwart. Wir sehen Bilder von Massenmorden, die zerfetzten Körper von Folteropfern und schauen uns bei einem Gläschen Rotwein eine Reportage über moderne Sklaverei auf den Weltmeeren an. Doch bei aller Fernsicht sollten wir nicht vergessen, zuweilen in unser eigenes Land zu schauen. Denn genau hier in Deutschland und jetzt passiert das, was eigentlich verhindert werden müsste: grausame Verletzungen der Menschenrechte.

Die Liste von Verstößen gegen Menschenrechte in unserer Gesellschaft ist lang. Da sind zu nennen: Terror- anschläge, Armut und Gewalt in den Fußgängerzonen, sexueller Missbrauch oder Gewalt an Kindern. Weniger offensichtlich ist die tausendfache Tötung ungeborener Kinder, die zwar von Statistikern erfasst wird, jedoch höchst selten in das Bewusstsein der Menschen transportiert wird. Man könnte also das beklemmende Gefühl bekommen – Menschenrechte der noch nicht geborenen Kinder seien rein rhetorischer Natur.

Als am 10. Dezember 1948 die Generalversammlung der Vereinten Nation die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündete, wollte sie etwas Neues schaffen, um die Welt besser zu machen. Die Erklärung stellte ein Novum in der internationalen Politik dar, das viele Vorgänger kannte und doch keine hatte. Ganz offensichtlich mussten erst die entsetzlichen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht werden, damit sich die Weltgemeinschaft gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Fundament für die internationale Politik machen konnte. Doch was in Folge des 10. Dezembers geschah, war nicht etwa der Triumphzug der Menschenrechte in die politischen Systeme dieser Welt. Im Gegenteil, die Fronten verhärteten sich im Kalten Krieg erneut und Kriege von Ost bis West und Süd bis Nord erweckten den Eindruck, dass die Menschen aus den Schrecken des Zweiten Weltkrieges keine Konsequenzen gezogen hatten. Als der neu geschaffene Europarat im Jahr 1951 eine Menschenrechtskonvention verabschiedete, da gab er sich ein neues Wertgefüge, das vor allem eines sein sollte – antikommunistisch – also dezidiert anders als das, was man hinter dem Eisernen Vorhang verfolgte. In den 1950er und 1960er Jahren blieb es ruhig um die Menschenrechte. Hin und wieder bezichtigten sich der Osten und der Westen wechselseitig der Menschenrechtsverstöße, doch viel mehr als eine Strategie im Kampf der Weltmächte entwickelte sich aus den Menschenrechten nicht.

Alles änderte sich in den frühen 1970er Jahren, als zum ersten Mal das geschah, was sich die Weltpolitiker schon nach dem Krieg gewünscht hatten – die Menschenrechte traten geräuschvoll auf die Weltbühne. Aufgegriffen wurden sie von Nichtregierungsorganisationen, allen voran von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen, die mit ausgefallenen Strategien auf Menschenrechtsverletzungen in Chile, Kuba oder Südafrika aufmerksam machten. Zu dem Engagement vieler Aktivisten traten Bürgerrechtsbewegungen, der Prozess der Dekolonisierung, der Versuch einer Befriedung im Ost-West-Konflikt, etwa in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Auch das Engagement der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt kam hinzu. Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika vollzogen unter Präsident Jimmy Carter eine Kehrtwende. Nach dem dramatischen Ausgang des Vietnamkrieges schrieb sich die US-Außenpolitik den Schutz der Menschenrechte auf die Fahne. Ähnliches geschah in anderen Staaten, die allesamt begannen, ihre Staaten moralpolitisch zu erneuern. Weg von der düsteren Vergangenheit der ersten Jahrhunderthälfte, weg von Kolonialisierung und den Lähmungen einer geteilten Welt, weg von der Revolution der 68er, die nicht das erreicht hatten, was sie versprochen hatten – eine neue, sichere Welt und das befreite Individuum.

Genau in dieser Phase des menschenrechtlichen Aufbruchs begannen viele Länder des Ostens und des Westens, Abtreibungen zu legalisieren. Während die einen vehement und voller Aktionismus gegen das grausame Morden im Vietnamkrieg demonstrierten, protestierten andere gegen Paragraphen, die ihnen unter Androhung von Gefängnisstrafen die Durchführung von Abtreibungen untersagten. Eine Zeit des Umbruchs brach an, ein Paradigmenwechsel im Lebensschutz, den viele Menschen sorgenvoll beobachteten, vehement ablehnten und alles in ihrer Macht Stehende taten, um die Gesellschaft für den Wert des Lebens – der Ungeborenen – zu sensibilisieren.

Eine dieser herausragenden Persönlichkeiten war Johanna Gräfin von Westphalen, die früh erkannte, dass in einer Gesellschaft, in der geborenes und ungeborenes Leben ungleich behandelt wird, Menschenrechte nie zur vollen Entfaltung gelangen können. Alles Bemühen für die Durchsetzung von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten oder sozialer Rechte blieb eine Farce vor dem Hintergrund einer Gesetzgebung, die das ungeborene menschliche Leben zur Disposition stellte.

„Jede Abtreibung ist eine Anklage an die ganze Gesellschaft“, konstatierte sie und unter diesem Diktum betrat sie bisweilen geräuschvoll die politische Bühne. „Wir müssen wieder dahin kommen, dass das Leben der Kinder, auch der ungeborenen, geachtet und geschützt wird [...]. Was wir also dringend brauchen, ist eine Gesellschaftsveränderung zum Guten.“

Der Siegeszug der Menschenrechte hatte einen blinden Fleck

Der Siegeszug der Menschenrechte, den viele Menschenrechtsorganisationen in den späten 1970er und den 1980er Jahren in großen Kampagnen und bisweilen auch mit Rockkonzerten verkündeten und feierten, hatte also einen blinden Fleck. Kritisch beobachteten viele Zeitgenossen, unter ihnen Johanna Gräfin von Westphalen, wie eben jene Menschenrechte nicht für alle gleichermaßen gelten sollten. Sukzessive begann der Gesetzgeber das zu verwirklichen, was konträr zu dem Bemühen stand, dass eben alle Menschen Anspruch auf Menschenrechte hätten. Mit jeder Gesetzesänderung, die der Gesetzgeber seit der Abtreibungsdebatte der 1970er Jahre in Bezug auf den menschlichen Embryo durchgeführt hatte, verschärften sich die Bewertungsunterschiede für das geborene und ungeborene Leben.

Der blinde Fleck, der in Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen stets vorhanden ist, wird größer und größer. Denn inzwischen sind Ungeborene nicht nur dem Tod durch Abtreibung ausgeliefert, sondern auch Menschenexperimenten in vielen Laboren dieser Welt, wie Ende 2018 noch aus China berichtet wurde. Menschliche Embryonen werden wie biologische Masse produziert, selektiert und aussortiert. Warum sollte man also von Menschenrechtsverletzungen sprechen? Denn geschickt haben sich viele schon an einen Sprachgebrauch gewöhnt, der das ungeborene menschliche Leben eben mit Attributen versieht, die keine Hinweise mehr auf seine Menschlichkeit geben.

Viele haben es inzwischen der Gräfin von Westphalen gleichgetan. Sie sprechen mutig an, was aus dem Gesichtsfeld unserer Gesellschaft zu entgleiten droht. Sie stellen sich betend vor Abtreibungspraxen, laufen schweigend durch Berlin, schreiben warnend Abgeordneten oder beraten Frauen, die in Schwangerschaftskonflikten oft nur eine einzige Lösung präsentiert bekommen.

Die STIFTUNG JA ZUM LEBEN möchte seit inzwischen mehr als 30 Jahren Menschen ermutigen und unterstützen, entschlossen für die Menschenrechte der Kleinsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft einzutreten. Auf den nächsten Seiten zeigen wir Ihnen Wege, Motivationen und Beispiele, wie Lebensschutz heute ganz konkret gelingen kann. Lassen Sie sich inspirieren!

Themen & Autoren
Amnesty International Jimmy Carter Lebensschutz Menschenrechtsorganisationen Menschenrechtsverletzungen Terrorismus Willy Brandt

Weitere Artikel

75 Jahre nach Verkündigung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" nimmt sich der Menschenrechtsdiskurs eher düster aus.
10.12.2023, 07 Uhr
Stefan Rehder
Rechte, die für alle gelten: Vor 75 Jahren wurde die "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verabschiedet. Was heute davon bleibt.
09.12.2023, 09 Uhr
Jörg Benedict

Kirche

Die Heilsquelle der Christen betrachten: Das Kreuz steht im Mittelpunkt authentischer Kirchenreformen.
28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig