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„Wir hatten immer ein gutes Betriebsklima“

Erstmals zeigt das frühere Stasi-Gefängnis in Berlin Hohenschönhausen den Arbeitsalltag der Bediensteten. Von Benedikt Vallendar
Foto: Vallendar | Anlässlich einer Feier ein Foto: Stasi-Bedienstete im Büro.

Seit der Wende hat sich das Bild Hohenschönhausen nach und nach verändert. Viel wurde in die Infrastruktur investiert. Frisch asphaltierte Straßen, sanierte Häuserfassaden und Ampelanlagen, die so blank sind, als seien sie erst tags zuvor montiert worden, wirken wie Farbtupfer zwischen dem sozialistischen Grau von früher. Allein das Kopfsteinpflaster erinnert an einigen Stellen noch an die Zeit vor 1989. Wo früher ein „Konsum“ war, ist heute eine Filiale von „Kaiser's“. Einer, der dort regelmäßig einkaufen geht, ist Siegfried Rataizick, bis 1989 Chef der Stasi-Hauptabteilung XIV, der sämtliche Gefängnisse des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) unterstellt waren. In Hohenschönhausen hat Rataizick fast dreißig Jahre sein Büro gehabt. Heute lebt der Rentner, mittlerweile 82, mit seiner Familie nur zwei Straßen weiter. Immer wieder hat der gelernte Klempner die Legende gestreut, seine Mutter sei im KZ, ein „Opfer des Faschismus“ gewesen. Doch in Wirklichkeit war die Dame eine Kriminelle, die ihren kleinen Siegfried in einem Gefängnis der Weimarer Republik zur Welt gebracht hatte. Bis heute hadert der frühere Oberst mit seiner Vergangenheit. Als einfacher Schließer hatte einst seine Stasi-Karriere begonnen. Mit Disziplin und Ehrgeiz hatte sich der oberste Gefängnisaufseher der DDR nach oben geboxt. Kritik am früheren System lässt Rataizick noch immer nur in homöopatischen Dosen zu. Bis heute war der SED-Staat für ihn das „bessere“ politische Modell, sagt er. „Wir hatten immer ein gutes Betriebsklima“, so beschreibt Rataizick bis heute auch den Dienstalltag in Hohenschönhausen. „In meiner Zeit wurden Häftlinge stets korrekt behandelt“, sagte er einmal einem Schweizer Journalisten, „nicht eine Ohrfeige“ hätten seine Wärter den Insassen in dreißig Jahren verpasst. Alles andere seien „Lügen“, mit dem Ziel, „die DDR schlecht zu reden“.

An diesem nasskalten Oktobernachmittag wirkt das frühere, zentrale Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit in Berlin Hohenschönhausen noch abstoßender als sonst. Seit 1994 ist der Gebäudekomplex in der Genslerstraße 66 eine Gedenkstätte. Und seit neuestem beleuchtet eine Dauerausstellung erstmals auch den Alltag der Bediensteten: der Wärter, Vernehmer, Techniker und Fahrer. Sie alle waren hauptamtliche Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes. „Für Besucher zugänglich ist erstmals das Büro des früheren Anstaltsleiters und seiner Sekretärin“, sagt Pressesprecher André Kockisch. „Zu sehen sind die originale Büroeinrichtung, Garderoben, die Teeküche und zahlreiche Fotos mit Stasi-Mitarbeitern bei geselligem Beisammensein.“ Ein Highlight der neuen Dauerausstellung ist der einst streng geheime Raum hinter dem Büro des Leiters, zu dem nur dieser persönlich Zutritt hatte. „Per Monitor ließ sich von dort aus das gesamte Gefängnisareal überblicken“, erklärt Kockisch. Nachts wurden die Gefangenen verhört, tagsüber durften sie nicht schlafen. Und keiner der Insassen wusste, wo sie oder er gelandet war. Den Bediensteten war es streng verboten, mit den Häftlingen über den Ort ihrer Inhaftierung zu sprechen. Die zentrale Untersuchungshaftanstalt des MfS in Berlin-Hohenschönhausen fehlte auf jedem Stadtplan, galt als Gebäude mit höchster Geheimhaltungsstufe. Nur Eingeweihte wussten, was die DDR-Regierung jenseits des Sperrgürtels zwischen Bahnhofs- und Werneuchenerstraße im Bezirk Hohenschönhausen angesiedelt hatte.

Plattenbauten prägen noch immer das Ortsbild in Hohenschönhausen. Unweit des früheren Gefängnisses hat Ex-Stasi-Minister Erich Mielke seine letzten Lebensjahre in einem Pflegeheim verbracht. Nachdem er im August 1995 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden war. Nicht wegen seiner Stasitätigkeit, sondern wegen der Ermordung zweier Polizisten zu Beginn der Dreißigerjahre war der einst allmächtige Minister vom Berliner Landgericht zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Touristengruppen warten am Eingang der früheren Untersuchungshaftanstalt auf Einlass. In den Türmen, wo früher Stasi-Wachposten mit Pickesche und Maschinenpistolen standen, hängen heute Mahnplakate und manchmal Graffitis bekannter und weniger bekannter Künstler. Als Erich Mielke im Dezember 1989 kurzfristig in Hohenschönhausen inhaftiert war, hat er sich wehleidig über die Glasbausteine vor seinem Zellenfenster beschwert – und dabei geflissentlich vergessen, dass er höchstpersönlich einst deren Einbau befohlen hatte, um den Blickkontakt der Häftlinge nach außen zu unterbinden. Mielke wurde kurze Zeit später aus „humanitären Gründen“ in die Haftanstalt Moabit im Westteil Berlins verlegt. Freiberufliche Historiker und ehemalige Insassen führen Besucher heute durch die Gänge und Zellen im Innern des früheren Stasi-Gefängnisses. Insgesamt unterhielt das MfS in der DDR siebzehn eigene Untersuchungshaftanstalten. Zermürbende Verhöre begleiteten in den Siebziger- und Achtzigerjahren für hunderte Inhaftierte die Zeit des Wartens und Bangens bis zu Beginn ihres Prozesses. Die Urteile standen meist schon vorher fest. Viele saßen in Hohenschönhausen wegen illegalen Verlassens der DDR, sogenannter „Republikflucht“ ein. Andere, weil sie offen gegen den SED-Staat opponiert hatten. Und viele dachten, dass sie dort nie wieder herauskommen würden. Entsprechend groß war ihre Verzweiflung.

„In den umliegenden Wohnblöcken, rund um die Haftanstalt, lebten überwiegend Stasi-Familien, zum Teil bis heute“, sagt Pressesprecher Kockisch. „Von dem menschlichen Leid hinter den Gefängnismauern haben sie nur wenig mitbekommen.“ Wer in der DDR als Staatsfeind galt, bekam spätestens nach seiner Festnahme das Repertoire der Staatssicherheit zu spüren. Dazu gehörten auch unblutige Verfahren, wie eintöniges Essen und Schlafentzug. „Die Bediensteten dachten sich höchst perfide Spielchen aus, um den Häftling zu schikanieren“, erinnert sich Vera Lengsfeld, einst in der DDR-Opposition aktiv und später für die CDU im Bundestag. Es ging darum, dem Insassen seine Hilflosigkeit vor Augen zu führen, seinen Willen zu brechen. Lengsfeld war Ende der Achtzigerjahre selbst mehrere Wochen in Hohenschönhausen inhaftiert, bevor sie für ein Studium nach England gehen konnte. Von dort, wie auch aus anderen europäischen Ländern, kommen inzwischen jedes Jahr mehr Besucher und Geschichtsinteressierte nach Hohenschönhausen. Das frühere Untersuchungsgefängnis gilt, neben dem Holocaustmahnmal am Berliner Reichstag, längst als zweite, zentrale Gedenkstätte für Ausbeutung und Unterdrückung auf deutschem Boden.

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Kirche

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28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig