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Wo Gott den Menschen suchte

Guido Horst beleuchtet den Wesenskern des Christlichen als freie, überraschende Initiative des geschichtsmächtigen Gottes. Von Stephan Baier
Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg.
Foto: IN | Gott tritt ganz konkret und leiblich in die Geschichte seiner Menschheit ein: Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg.

Da bietet einer dem relativistischen Zeitgeist die Stirn: Selbst manche Theologen und Kirchenvertreter tun heute mitunter so, als sei das Christentum eine von vielen menschenfreundlichen Religionen, die Kirche eine von vielen gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen, Jesus einer von vielen bewundernswerten Weisheitslehrern. Guido Horst, „Tagespost“-Lesern seit Jahrzehnten bestens vertraut, widerspricht solchem religionspluralistischen Relativismus souverän und klar. Und er legt den Wesenskern des Christlichen frei: Der christliche Glaube gründet gerade nicht auf menschlichem Nachdenken, Grübeln und Philosophieren, sondern auf der freien, ja unerwarteten und unerwartbaren Initiative Gottes. Er ist nicht Frucht menschlicher Ideen oder Mythen, sondern der konkreten Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte, in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Horst definiert: „Christlich ist, wer an Jesus Christus glaubt, daran, dass Gott in die Welt gekommen ist, um die Menschen zu sich zu führen.“

„Dass eine reale, konkrete, fleischliche Offenbarung Gottes unmöglich ist, stellte ein Grunddogma des aufgeklärten Denkens dar, das die geistige Elite der westlichen Welt seit über zweihundert Jahren dominiert.“ Eben diesem „Dogma“ widerspricht der Autor, indem er darauf verweist, „dass die Wurzel des christlichen Glaubens eine historische ist“. Die Konsequenzen solchen Tabubruchs sind ihm bewusst: „Wer dieses Tabu demonstrativ und in aller Öffentlichkeit brach, landete bei den Jakobinern auf dem Schafott, bei den Faschisten im Konzentrationslager, bei den Kommunisten im Gulag – und wird heute nur noch misstrauisch belächelt.“ Tatsächlich wird der christliche Glaube „in das Reich der Ideen“ verwiesen, womit der Gläubige zum Ideologen und die Kirche zum Verein degradiert wird.

Doch das Christentum ist keine Naturreligion, keine Philosophie, auch nicht einfach eine Moral, wie Guido Horst betont: „Für eine Werteordnung erleidet niemand das Martyrium und eine Morallehre reicht nicht aus, um sich zu einem besseren Leben zu bekehren.“

Der Verständnisschlüssel liegt also genau darin, dass das Christentum keine Idee oder Lehre verkörpert, „sondern auf Den verweist, der Ursprung allen Lebens ist“. Gott hat sich selbst den Menschen mitgeteilt, konkret und geschichtlich: „Gott wollte den Menschen nicht im Unklaren lassen, sondern hat ihn weit aus der Begrenztheit seiner unvollkommenen Wahrnehmungen herausgeführt.“ Horst folgt nicht dem protestantischen Theologen Karl Barth, der das Christentum so sehr in Gegensatz zur natürlichen Religiosität setzte, dass er im eigenmächtigen Suchen nach Gott eine Quelle der Sünde sah. Katholisch ist da vielmehr die Sicht des Hans Urs von Balthasar, der das Christentum als freie Selbstoffenbarung Gottes klar unterscheidet von natürlicher Religiosität und menschlicher Gottsuche, aber auch Letzterer etwas Positives abgewinnt, weil sie ihren Urgrund im schöpferischen Wirken Gottes hat. Dieser Linie folgt Horst mit der klassischen Unterscheidung von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung.

Die natürliche Offenbarung voraussetzend, nimmt das neue Buch von Guido Horst die übernatürliche Offenbarung in den Blick: Mit Recht schreibt der Autor, dass die Trinitätslehre nicht aus einer verwegenen Spekulation über Gott entstanden ist, sondern aus der schrittweisen, also geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes. „Er hat sich in seinem innersten Wesen als dreifaltiger Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiliger Geist offenbart.“

Die historische – zeitliche wie geografische – Konkretion der Selbstmitteilung Gottes hat aber für den Gottsucher erhebliche Konsequenzen: Gott ist nicht dort zu finden, wo der Mensch ihn gerne hätte, sondern „wo er sich für alle Zeiten in Zeichen, die seine Gegenwart verbürgen (den Sakramenten), und in Gesichtern, die das Antlitz Christi widerspiegeln (den Christen), eine dauernde Bleibe unter den Menschen geschaffen hat. Und dieser Ort ist die Kirche.“ Nicht billiger, nicht profaner ist ihr Wesenskern zu erklären.

Gott muss nicht in der Innerlichkeit des eigenen Selbst gesucht werden. Der inkarnierte Gott ist in die Geschichte eingetreten, um dem Menschen – oftmals überraschend – zu begegnen. Das historisch Konkrete der Heilsgeschichte, ob Jungfrauengeburt oder Auferstehung, versucht Horst nicht ins Philosophische zu abstrahieren, sondern als wirkliches Wirken Gottes in der Geschichte zu zeigen. Nicht ob etwas auch anders hätte geschehen können, sondern wie Gott sich tatsächlich in der Geschichte gezeigt hat, ist für den Christen relevant.

Das betrifft auch die Tatsache, dass Jesus nur Männer in den Kreis der Apostel berufen hat, obgleich er sich im Umgang mit Frauen über viele Gepflogenheiten seiner Zeit und Umwelt hinwegsetzte. Horst deutet das so aus: „Das Vater-Sein Gottes und seine Repräsentation durch den Sohn, Jesus Christus, wie auch dessen Repräsentation durch den Priester sind der eine Pol, der andere ist die Mütterlichkeit der Kirche, das Bild der Braut, der Empfangenden, der Fruchtbaren, das Weibliche, das das Christentum mit der Kirche verbindet.“ Das seien „bedeutungsvolle Bilder, die eine Wirklichkeit bezeichnen, mit der die Kirche nicht beliebig verfahren kann, wenn sie die Religion der Offenbarung bleiben soll“.

Im Gegensatz zu einer auf Fortschritt und Fortschrittsillusion gründenden Weltsicht der Moderne geht es beim Christentum also nicht darum, was uns plausibel, zeitgemäß, angemessen oder naheliegend scheint, sondern was Gott gezeigt, geoffenbart, gegeben hat. Das Christentum sei „die einzige Religion, wo sich nicht der Mensch seinen Gott, sondern Gott die Menschen suchte, wo das Irdische nicht den Himmel erdachte, sondern der Himmel auf die Erde fiel“, so Horst in seinem Werk, das weit mehr ist als eine moderne Apologetik.

Dass dabei die Erde nicht zum Himmel wurde und der von Gott gefundene und berufene Mensch nicht zwingend zum Heiligen oder Vollkommenen, ist dem Autor bewusst. Er leugnet die kirchengeschichtlichen Stolpersteine nicht, sondern ordnet sie kundig ein. Jenseits aller durch Menschen verschuldeten Irrungen und Wirrungen, die Horst analysiert und überzeugend ins rechte Lickt rückt, ist die Kirche aber das Volk, „das sich Gott in der Geschichte sammelt, um seine Barmherzigkeit und sein Erlösungswerk in Jesus Christus zu bezeugen“. So stehe die Kirche stellvertretend für alle inmitten der Menschheit – „und geht auf das letzte Ziel, Gott, zu“.

Guido Horst: Kirche neu erzählt. Warum das Christentum keine Religion ist, sondern eine Geschichte. FE-Medienverlag, Kißlegg 2017, 278 Seiten, ISBN 978-3-86357-189-4, EUR 14,95

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