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Mit Herz und Verstand

Ein Lexikon zu Edith Stein. Von Barbara Stühlmeyer
Papst weiht Edith-Stein-Statue am Petersdom ein
Foto: dpa | Die Edith Stein-Statue am Petersdom.

Edith Stein ist eine tiefgründige, facettenreiche Persönlichkeit, die die Annäherung an ihr Werk nicht leicht macht. Denn das, was sie schrieb, ist hochkomplex, tief durchdacht und von einer Geistesschärfe, die auch manch gutwillige Rezipienten ihrer Philosophie hinter sich lässt. Ihre Schriften liegen inzwischen in der Edith Stein-Gesamtausgabe komplett vor. Sie denen zu erschließen, die die zunächst agnostische, dann katholische Philosophin in angemessener Weise dadurch ehren, dass sie, wie Robert Spaemann es formuliert, ihre Gedanken nachdenken, ist auch die Intention des vorliegenden Edith Stein-Lexikons, herausgegeben von Marcus Knaup und Harald Seubert.

Mehr als 40 renommierte Forscherinnen und Forscher haben ihr Wissen und ihre Fähigkeit zur Einfühlung in Steins Werk zu diesem Buch beigesteuert. Herausgekommen ist, wie Gerhard Kardinal Müller in seinem Geleitwort zu Recht betont, ein großes Geschenk für Theologie und Philosophie. Es erschließt das Werk einer Frau, die „philosophische Vernunft und gläubige Existenz in überaus vorbildlicher und beeindruckender Weise“ verbunden hat. Ihre „unermüdliche Suche nach der Wahrheit“, wie Papst Johannes Paul II. es bei der Seligsprechung Edith Steins formulierte, war „vom Segen des Kreuzes Christi“ erhellt und kann allen denkenden und glaubenden Menschen ein leuchtendes Vorbild sein.

Um diese Funktion zu erfüllen, sind die Leser des Lexikons jedoch gefordert. Denn hier geht es um philosophische Begrifflichkeit, die sich der überfliegenden Lektüre entzieht und sich nur dem öffnet, der dem Denken Raum und Zeit gibt. Wer dieses Wagnis eingeht, wird jedoch reich belohnt. Denn das Edith Stein-Lexikon ist, dem Denken Steins entsprechend, klar strukturiert und folgt einem für alle lexikalischen Beiträge geltenden Schema.

Zu Beginn steht jeweils eine Definition des Begriffes. Ihr schließt sich eine im Hinblick auf Steins Denken verfasste Geschichte seines Gebrauchs an, gefolgt von einer Darlegung, wie sie selbst ihn verwendet. Letztere wird durch die Illustrierung mit Zitaten zu einer eigenen kleinen Hinführung zu Steins Werk, lädt sie doch zur Lektüre der jeweiligen Kontexte, zum eigenen nachforschenden Denken ein. In diesem Abschnitt wird zum Ende hin auch auf verwandte oder gegensätzliche Termini verwiesen. Am Ende jedes Artikels steht eine Übersicht über jene Literatur, die den vorgestellten Begriff fokussiert. Neben den Beiträgen zu philosophischen Begriffen wurden auch solche zu ausgewählten Personen und historischen Ereignissen aufgenommen, die für Stein von besonderer Bedeutung waren. Dadurch, dass die Termini in diesem Lexikon in ihrem historischen Kontext und den systematischen Zusammenhängen ihrer Verwendung dargestellt werden, bietet es weit mehr als lexikalische Einzelinformationen. Die Herausgeber haben vielmehr Wert darauf gelegt, gerade keine isolierten Begriffe in den Raum zu stellen, sondern versucht, die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Termini, aber auch deren Sitz im Leben und Denken Steins zu verdeutlichen. Damit haben sie zugleich ihren Finger auf eine der schwärenden Wunden heutigen Redens und Denkens gelegt, das sich nicht selten auf einen Begriff bezieht, dessen unterschiedliche Bedeutungen nicht reflektiert werden, was unvermeidlich zu Missverständnissen führt.

Auf diese Weise erreichen die Herausgeber ihr eigentliches Ziel, Edith Stein als eigenständige Denkerin und Schöpferin eines philosophischen Werks erlebbar zu machen. Denn genau daran mangelt es aktuell in der philosophischen Forschung. Geprägt durch eine Geisteshaltung, die in Glauben und Denken einen Widerspruch sieht, wurde Stein über Jahrzehnte hinweg in den Fakultäten bis auf wenige lobenswerte Ausnahmen komplett ausgeblendet und die Rezeption ihres Werkes so verhindert.

Das Edith Stein-Lexikon ist im Kontext der wünschenswerten neuen Erschließung ihrer Philosophie ein wichtiger Türöffner für Steins Werke. Denn in ihm bietet sich dem Leser eine Topografie ihres Denkens, die, wie die Herausgeber in ihrem Vorwort betonen, „die weitergehende Forschung nicht ersetzen, sondern anregen will“.

Das Edith Stein-Lexikon enthält deshalb außer dem lexikalischen Teil auch eine Zeittafel zu ihrem Leben, vernetzt mit relevanten historischen Ereignissen, eine Übersicht über die Edith Stein-Gesamtausgabe, deren Siglen, ein Abkürzungsverzeichnis und ein weiteres zum Nachweis von Bibelstellen.

Das Bemühen um das Denken in der Nachfolge einer Philosophin, die sich durch die ihr eigene Verbindung von glasklarer Logik und von einem glühenden Herzen gelenkten Fähigkeit zur Empathie auszeichnet, ist den Autoren in bemerkenswerter Deutlichkeit gelungen. Sie haben es vermocht, durch ihre verständliche Sprache jenen Brücken zu bauen, die sich in die Höhen Steinschen Denkens vorwagen wollen. Denn „wir dürfen“, wie Kardinal Müller ausführt, „bei ihr in die Schule gehen; es ist gewinnbringend, ihre Arbeiten zu studieren. In diesem Sinne ist mit ihr gewiss auch ein Brückenschlag zu allen suchenden und ernsthaft fragenden Menschen möglich.“

Marcus Knaup/Harald Seubert (Hg.): Edith Stein Lexikon. Herder Verlag, Freiburg 2017, 431 Seiten, ISBN 978-3-451-34550-0, EUR 38,–

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