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Das Nötige tun

Die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus.
Der Papst, die Juden und die Nazis
Foto: dpa | Es ist immer wieder nötig, auf die fehlerhafte Darstellung von Pius XII. in Rolf Hochhuts "Der Stellvertreter" hinzuweisen.

Geschichte ist Ansichtssache. Je nachdem, welche Vorannahme man zugrunde legt, kann die Deutung historischer Ereignisse erheblich differieren. Dies gilt auch für die Rolle der katholischen Kirche im Dritten Reich, die in dem in zweiter, aktualisierter Auflage von Christoph Kösters und Mark Edward Ruff herausgegebenen Buch im Fokus steht. Dass gerade sie dem nationalsozialistischen Regime sehr lange sehr kritisch gegenüberstand, ist unbestreitbar.

Interessant aber ist es, zu untersuchen, warum dieser entschiedene Widerstand – Katholiken durften der NSDAP unter Androhung der Exkommunikation nicht beitreten – schließlich von den meisten Bischöfen abgemildert oder sogar ganz aufgegeben wurde. Wie man deren und das Verhalten der Gläubigen allgemein beurteilt hängt, so die Herausgeber, maßgeblich davon ab, ob man die Unrechtsherrschaft von Hitler und seiner Gefolgschaft als Diktatur ansieht, gegen die man mehr oder weniger machtlos war, oder als zwar machtvolle, in sich aber inkohärente Organisation, gegen die zu wehren sich hier und da durchaus lohnen konnte.

Dieser Beurteilungsmaßstab folgt, wie man leicht erkennen kann, ebenfalls einer Grundannahme, nämlich der, dass es von den Umständen abhängt, ob man sich gegen eklatantes Unrecht zur Wehr setzen kann oder soll. Eine Annahme, die, wie man am Leben und Wirken des seligen Bernhard Lichtenberg sehen kann, falsch ist. Dass aus falschen Grundsätzen keine richtigen Taten folgen können, war eine der Kernaussagen des Berliner Domprobstes, der seine Ansichten zum Dritten Reich nicht mit den Umständen änderte und den Preis für seinen Widerstand zu zahlen bereit war.

Ungeachtet dieses Vorbehaltes ist der Band aber durchaus sehr lesenswert, bietet er doch in zehn in die Tiefe gehenden thematischen Beiträgen gut recherchierte Hintergrundinformationen, die den Verlauf der Geschichte erhellen. Die Autoren beginnen konsequenterweise mit der Darlegung des von Heinz Hörten geschilderten Aufstiegs der Nationalsozialisten, dem von Rudolf Morsey beschriebenen Ermächtigungsgesetz und der von Dietmar Süß analysierten Religionspolitik der neuen Herrscher, die angesichts der Geschlossenheit der katholischen Kirche natürlicherweise deren Widerstand hervorrief. Der Fokus wird dabei nicht nur auf die Leitungsebene gelegt, deren Handlungsmuster in den Jahren 1933–1945 Christoph Kösters unter die Lupe nimmt, sondern auch auf das Kirchenvolk. Hier geht es um das schwierige Verhältnis zwischen nationaler und Kirchenzugehörigkeit, das für Katholiken schon in der Zeit des Kulturkampfes eine gänzlich andere Problematik darstellte als beispielsweise für Protestanten.

Als Bruchstelle für das Eindringen nationalsozialistischen Gedankenguts erwies sich aber, wie Köster luzide darlegt, der Umgang mit den gemeinschaftsfremden Katholiken, jenen, die nicht zum althergebrachten Milieu gehörten, wie beispielsweise katholische Sinti und Roma. An dieser Stelle lohnt sich ein Vergleich zu unserer heutigen Situation, in der die Zugehörigkeit zur eigenen Community ebenfalls handlungsleitend ist, etwa, wenn es darum geht, aufgrund des angenommenen Vorrangs der Multikulturalität verfolgten Christen die notwendige Unterstützung zu versagen.

Wilhelm Damberg widmet sich der Deutung des Kriegserlebens innerhalb der Kirche, die insoweit besonders problematisch war, als die Verteidigung des Vaterlandes als selbstverständlich, der Kampf für Hitlers Unrechtsregime jedoch als inakzeptabel bewertet wurde. Thomas Brechenmacher legt eine kritische Sichtung der in der Folge von Rolf Hochhuts „Der Stellvertreter“ verfassten voreingenommenen und historisch nicht haltbaren Bewertung des Handelns von Papst Pius XII. vor. Mark Edward Ruff beschreibt das facettenreiche Tun der katholischen Kirche im Bereich der Entnazifizierung, in dem es die Mitte zwischen klarem Urteil und versöhnungsbereiter Integration zu wahren galt und Karl Josef Hummel thematisiert die unvermeidliche Schuldfrage.

Eine erhellende und hilfreiche Ergänzung der kompetenten und der Debatte die nötige Tiefenschärfe verleihenden Beiträge sind die zahlreichen Bilder aus dem Alltag von Katholiken im Nationalsozialismus, die die Schwierigkeiten der Bewertung des Handelns trefflich beleuchten. Der Band ist nicht nur aufgrund der dargebotenen Sachinformationen eine lohnende Lektüre. Er liefert auch nachdenkenswerte Beurteilungskriterien für die gegenwärtige Situation.

Christoph Kösters/Mark Edward Ruff (Hrsg.): Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 221 Seiten, ISBN 978-3-451-387000-5, EUR 22,–

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