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Ezra Pound: Ein Dichter nimmt Maß an Dichtern

Ezra Pounds Jugendwerk macht neugierig auf die romanische Literatur.
Der Dichter Ezra Pound
Foto: dpa | Alle gute Poesie muss gesungen werden, meinte Ezra Pound.

Ezra Pound (1885–1972) gehört zu den bösen Buben der Literaturgeschichte; der Amerikaner, der seit 1908 in Europa und dann von 1924 an in Italien lebte, hat sich wegen seiner offenen Sympathien für den italienischen Faschismus und antisemitischer Ausfälle bereits vor dem Zeitalter der politischen Korrektheit selbst stigmatisiert. Die „Cantos“ (= Gesänge), an denen er seit 1915 und bis zu seinem Tode arbeitete, gelten dennoch vielen als die bedeutendste amerikanische Dichtung des 20. Jahrhunderts.

Von Haus aus war Pound Literaturwissenschaftler und Romanist. Einem Aufenthalt in London, wo er elf Jahre lebte und mit wichtigen Literaten wie Joyce auf vertrautem Fuße war, verdankt sich ein Werk über das, was der aus einer wohlbürgerlichen Quäker-Familie Stammende den „Geist der Romantik“ nannte: Eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit mittelmeerischen Literaturen des ausgehenden Altertums und der Renaissance, die aufschlussreich ist als poetologische Standortvermessung eines angehenden Dichters.

"Kunst ist ein Fluidum, das sich auf oder
über dem Verstand der Menschen bewegt"

Zuvor hatte der Amerikaner am nicht gerade einschlägig bekannten London Polytechnic in der Regent Street einen Kurs von 21 Vorlesungen über südeuropäische Literaturen halten dürfen. So eigenwillig Auswahl des Stoffes und Auftritt des Vortragenden daherkamen – eine Hose aus grünem Billardtisch-Bezug, der Gehrock in rosa, ein blaues Hemd, eine von einem japanischen Freund handgemalte Krawatte, dazu ein einzelner Ohrring, kombiniert mit scheuem Auftreten – die Qualität der Vorträge war derart, dass „The Spirit of Romance“ sofort veröffentlicht wurde. Der Berliner Wolff Verlag hat eine gut gestaltete – über ein paar Satz- und sonstige Fehler kann man hinwegschauen – deutsche Ausgabe (wohl die erste in deutscher Sprache) herausgebracht, die der Übersetzer Florian Scherübl um ein kundiges Nachwort vermehrt hat. Schon zu Beginn markiert Pound deutlich das Gelände: „Kunst ist ein Fluidum, das sich auf oder über dem Verstand der Menschen bewegt.“ Fließend nehme sie auf, was vor ihr war, lasse sich prägen von ihrer Zeit. „Ruhende Objekte spiegeln sich darin, aber die Qualität der Bewegung ist die des Flusses.“ Pound betont die Perzeptionsfähigkeit: „Der Morgen dämmert in Jerusalem, während die Mitternacht über den Säulen des Herakles schwebt. Alle Epochen sind gleichzeitig. Sagen wir in Marokko ist es vor Christus. In Russland ist es Mittelalter. Die Zukunft rührt sich schon in den Geistern der Wenigen.“

Diesen zugleich hochgestimmten wie kecken Ton behält Pound auch bei, wenn er sich den einzelnen Dichtern nähert. Die Dinge der Religion sind seine Sache nicht, daran lässt Pound keinen Zweifel. Immerhin stellt er in der romanischen Literatur zwei christliche Autoren an den Anfang, den um 580 gestorbenen Cassiodor, der das Ende des römischen Senates gesehen hatte, dessen Mitglied er gewesen war, und den 547 gestorbenen Benedikt, dessen in einem mehr juristischen Stil geschriebene Regel er zitiert. Doch weit zuvor schon habe Apuleius, der antike Schriftsteller und Philosoph des 2. Jahrhunderts, die Maßstäbe verschoben: „Apuleius schreibt in einem Stil, der dem von Rabelais nicht unähnlich ist, ein Stil, der Tacitus beleidigt, und, so heißt es, Cicero und Quintilian angeekelt hätte. Wie Dante und Villon verwendet er die Sprache des Volkes, d.h. er schreibt in einem neuen, fremden Latein.“ Es beginnt also etwas Anderes, denn Ovid habe, wie Pound meint, in einem Vers geschrieben, „der die Klarheit französischer Wissenschaftsprosa besitzt“.

Nie scheut sich Pound vor klaren Zuschreibungen

Wonach bemisst sich die Güte der Verskunst? Da hat der Amerikaner einen herzerfrischenden Vorschlag und demonstriert das an den „Canzoni“ des Arnaud Daniel, Troubadour im Périgord des 12. Jahrhunderts: „Wie alle gute Poesie kann es nur beurteilt werden, wenn es gesprochen gehört oder nach seinem eigenen Maß gesungen wird.“ Nicht zu weit hergeholt ist seine Hypothese, dass auch Franz von Assisi noch zum ausgehenden Troubadour-Wesen zu zählen sei. Er wird mit dem Sonnengesang ausführlich zitiert. Pound merkt an, dass man hier sicher den umbrischen Heiligen selber höre, denn: „Rhythmus ist die am Schwersten zu fälschende Qualität des Stils eines Mannes und hier sollte man den Rhythmus der verschiedenen Versionen des „Cantico del Sole“ mit dem der anderen franziskanischen Gedichte vergleichen und sich daran erinnern, dass der Rhythmus des heiligen Franz immer vom Dröhnen der Kirchenglocken beeinflusst ist.“ Nie scheut sich Pound vor klaren Zuschreibungen: „Der Kult der Provence war ein Kult der Gefühle, und mit ihm einher ging eine kaum bewusste Erforschung der Psychologie der Gefühle. In der Toskana ist der Kult einer der Harmonien des Geistes. Ist man in Sympathie mit dieser Form objektiver Vorstellung und dieser Qualität der Vision, gibt es keine Dichtung, die einen solchen Bestand, einen solchen – wenn ich so sagen darf – unzerstörbaren Zauber hat“.

Damit ist man bei Dante, der in einer romanistischen Abhandlung einen besonderen Platz beanspruchen darf. An die Divina Commedia geht Pound heran wie an die Bibel und will sie vierfach – literal, allegorisch, anagogisch und moralisch – ausgelegt wissen. Buchstäblich als Dantes Reise durch die jenseitige Welt aufzufassen, stehe das Werk zugleich auch „für den aufstrebenden Kampf des Menschengeschlechts aus der Unwissenheit heraus“, gebe Aufschluss über „Dantes eigene mentale und geistige Entwicklung“ und sei schließlich „Ausdruck der Gesetze der ewigen Gerechtigkeit“ oder der Gesetze des „Karmas, wenn wir einen orientalischen Terminus verwenden dürfen“. Über zwanzig Seiten lang stellt Pound einen faszinierenden Vergleich zwischen Dantes Opus, das er „ein großes Mysterienspiel oder vielmehr ein Zyklus von Mysterienspielen“ nennt und Werken der zumeist englischsprachigen Weltliteratur an, bei dem Dante gut wegkommt, weil allen anderen hier genannten Poeten – Wordsworth, Shelley, Whitman, Milton, Burns – etwas fehle, was der italienische Barde hat. Den Freimut, mit dem Pound hier urteilt, begründet er auch: „Jede ehrliche Kritik der höchsten Dichtung muss sich selbst in einer Art von Glaubensausübung auflösen. Der Kritiker muss mit einem ,Credo‘ beginnen und seine Meinung wird teilweise für die Intelligenz, die er zu besitzen scheint, gehalten, und zum Teil für seine Ernsthaftigkeit.“

So sehr Pound Dante schätzte, noch näher scheint ihm François Villon zu liegen, der ungebärdige Pariser. „Die Renaissance ist keine Zeit, sondern ein Temperament“, sagt er. „Wo etwa Dante Kühnheit und Phantasie besaß, besitzt Villon die Beharrlichkeit von einem, dessen Blick nicht von den tatsächlichen Umständen vor ihm absehen kann: Er schreibt, was er sieht“ und vergisst dabei nie „sein faszinierendes, revoltierendes Selbst“, in summa: „Villon ist eine Stimme des Leidens, des Hohns, der unumstößlichen Tatsache.“

„Der Kult der Renaissance war ein Kult der Kultur“

Es ist das Menschliche an dem Sänger der Gosse, was Pound anzieht: „Er wagt es, sich zu zeigen. Seine Verdorbenheit ist keine Pose, die er wegen der literarischen Wirkung kultiviert hätte.“ Lope de Vega und Camoes ernten ähnlich hymnisches Lob. So kommt dieser aus dem nordwestlichen Idaho stammende Amerikaner, der die südeuropäische Kultur so sehr liebte, zu dem Ergebnis: „Die Kultur der Provence war ... ein Kult der Gefühle; jener der Toskana ein Kult der Harmonien des Geistes. Der Kult der Renaissance war ein Kult der Kultur.“

Es ist ein durchaus auf echter Kenntnis beruhendes, aber ganz subjektives Bild, das uns dieser „de-kanonisierte“ Dichter-Außenseiter der amerikanischen Kultur hier bietet. Übersetzer Florian Scherübl erinnert im Nachwort daran, dass erst 2012 das Hauptwerk Pounds, die Cantos, auf deutsch erschienen, dass wir ihn folglich noch nicht wirklich kennen. Wie Pound Dichtung dachte, ist nun nachzulesen. Scherübl: „Für das Verständnis von Theorie und Werk ist die Arbeit von 1910 nicht nur erhellend, sondern fundamental“. Pounds Buch, für dessen Herausgabe man dem Verlag danken kann, schafft das Beste, was ein Buch über Literatur schaffen kann: Es macht Lust darauf, sich den hier besprochenen Dichtungen zu nähern.

Ezra Pound: Der Geist der Romantik; übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Florian Scherübl. Wolff Verlag, Berlin, 334 Seiten, ISBN 978-3-941461-22-2, EUR 19,90

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