Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Literatur

Im geheimnisvollen Raum ewiger Wahrheit

„Der Papst aus dem Ghetto“ – Gertrud von le Forts historischer Roman wieder neu aufgelegt. Von Gudrun Trausmuth und Annalia Machuy
Dichterin Gertrud von le Fort
Foto: IN | Schicksale wie aus gebrochenem Goldgrund: Die Dichterin Gertrud von le Fort.

Gertrud von le Forts (1876–1971) Bücher erfreuten sich bis in die Anfänge der 1970er Jahre hoher Auflagen, ehe der kulturelle Clash der 68er Revolution mit seiner unglaublich effizienten Politik der Einflussnahme sie von den schulischen Lehrplänen, aus den Universitäten, den Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken und Pfarrbüchereien verbannte – und schließlich aus dem Bewusstsein der Leser nahezu verschwinden ließ. Mit dem Namen Gertrud von le Fort wissen heute selbst viele Germanisten nichts mehr anzufangen…

Als wichtiger Meilenstein, um dieser Systematik des Vergessens gegenzusteuern, sind seit 2012 im Echter Verlag bereits drei Bände mit zentralen Werken le Forts erschienen: Als „Einstieg in le Fort“ bietet sich das mittlerweile in 3. Auflage erschienene „Gertrud von le Fort-Lesebuch“ (Echter, 2012) an. In dem Panoptikum bekannter Erzählungen und Novellen (etwa „Die Frau des Pilatus“, „Das Gericht des Meeres“, „Am Tor des Himmels“) präsentieren sich Grundmotive le Forts wie die Barmherzigkeit Gottes, die Stellvertretung oder die Deutung historischer Themen. Mit den 2015 neu aufgelegten „Hymnen an die Kirche“ ist auch le Forts bekanntestes Werk in einer schlicht-edlen broschierten Ausgabe des Echter Verlags wieder im Buchhandel: Jene Dichtung, in der sich le Fort 1924 dichterisch auf einzigartige Weise dem Wesen der Kirche annähert, indem sie einen Dialog der Seele mit der Kirche inszeniert; erst zwei Jahre später, 1926, erfolgte dann in der Kirche Santa Maria dell' Anima die Konversion der preußischen Baronesse in die schon zuvor besungene katholische Kirche. Dass die Wiener Theologin Gundula Harand nun auch einen der großen Romane le Forts in kommentierter Form neu vorlegt, ist großartig!

Während le Forts „Hymnen an die Kirche“ Sein und Wesen der Kirche als des mystischen Leibes Christi zur Entfaltung bringen, erscheint die Kirche in le Forts Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ im Gefüge der Zeit. Konkret beleuchtet dieser historische Roman das Schisma der Kirche von 1130 und begibt sich zugleich in die Welt der Juden des römischen Ghettos hinein.

Es ist die goldene Stadt Rom im zwölften Jahrhundert. Abgegrenzt und in eigenem Rhythmus leben die Juden Roms in einem eigenen Stadtviertel den Glauben ihrer Väter. Immer wieder jedoch kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen und Verfolgungen gegen sie. Während eines solchen Tumultes flüchtet sich der jüdische Greis Chanoch ben Esra in eine Prozession und sucht Schutz beim Heiligen Vater, der den Betenden ein Christusbild voranträgt. In seiner Verzweiflung ruft der verletzte Jude den ersten Satz des christlichen Credos aus und bekennt sich damit zum Glauben an den allmächtigen Gott als Vater und Schöpfer. Der Papst, der den Mann retten möchte, vollendet das jüdische Bekenntnis zu einem christlichen, indem er mit dem zweiten Satz des Credos den Glauben an Jesus als Sohn Gottes hinzufügt. Eine erste Berührung von Judentum und Kirche, die in ihrer Zwielichtigkeit und inneren Spannung zeichenhaft bleiben soll für das Geschlecht der Pier Leone, das auf Chanoch ben Esra zurückgeht.

Petrus Leonis ist ein Enkel Chanoch ben Esras. Weniger aus christusliebender Überzeugung als aus weltlicher Berechnung hat der überaus erfolgreiche Kaufmann den christlichen Glauben angenommen und sich neu mit der Christin Donna Bona vermählt. Seine jüdische Ehefrau Mirjam sagt sich von ihm los und kehrt in das Haus ihres Vaters, eines großen Rabbis, zurück. Dort bringt sie ihren gemeinsamen Sohn zur Welt, den Petrus Leonis direkt nach der Geburt gewaltsam holen und zur Taufe bringen lässt. Die Geburt von dessen Zwillingsschwester hält Mirjam jedoch solange zurück, bis die Boten ihres Mannes sie totgeglaubt verlassen. Im Geburtskampf um Jahrzehnte gealtert bringt sie schließlich ein blindes Mädchen zur Welt. Während der junge Petrus zunächst bei seinem Vater aufwächst und auf eine klerikale Laufbahn hin erzogen wird, lebt seine Schwester Trophäa im Judenviertel bei ihrer Mutter. Eine Verheißung, die ein reisender Rabbi bei der Geburt über das ungeborene Kind und dessen Bruder gesprochen hatte, gibt deren Mutter eine unbeugsame, ja wilde Hoffnung: „Mirjam, Tochter Nathan ben Jechiels, freue dich, denn dein Sohn, den dir Edom geraubt hat, wird das Reich Edoms, das sich Christenheit nennt, von oben bis unten zerreißen; also heimkehrend, von wo er ausging! So gib nun dein zweites Kind her, denn siehe, es ist bestimmt: die Schwache wird den Starken und die Blinde den Sehenden leiten, und die Schwester wird den Bruder zurückführen!“

Die eigentliche Hauptperson ist also nicht der jüdische Papst, sondern – wie so oft bei le Fort – eine Frau, des Papstes blinde Zwillingsschwester, Trophäa. Wie Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in ihrem Geleitwort zur Neuauflage von „Der Papst aus dem Ghetto“ schreibt, wird Trophäa „zur Märtyrerin jenseits der Schranken der Religionen: Sie stirbt mit dem Christuskind in den Armen, das sie nicht sehen, nicht einmal in seiner Bedeutung erkennen kann – aber sie liebt es“. Trophäa bleibt „blind“, unwissend, unaufgeklärt, hat aber eine Hellsichtigkeit des Herzens, die sie in die Wahrheit führt. Das Gegenbild ist ihr Zwillingsbruder Pier Leone, der schließlich als Anaklet zum (Gegen)Papst gewählt wird; er, der sein Machtstreben über alles andere erhebt, trennt sich von der Wahrheit, die Christus ist. Besonders wertvoll in der neuen Edition des historischen Romans ist die fundierte theologische Begleitung, die Gundula Harand dem Leser in der Einleitung und in den Anmerkungen des Bandes anbietet. Tatsächlich erschließt sich dadurch „Der Papst aus dem Ghetto“, der mit Sicherheit zu den anspruchsvollsten Texten le Forts zählt, in umfassender und tiefer Weise, wofür jeder Leser dankbar sein wird.

Nicht zuletzt sei „Der Papst aus dem Ghetto“ als Rom-Buch le Forts ans Herz gelegt. Ihre tiefe Liebe zur ewigen Stadt verewigte sich nicht nur im „Römischen Brunnen“ (1928), dem erste Teil des Doppelromans „Das Schweißtuch der Veronika“, sondern auch im Blick auf die Stadt der Kirche in ihrer Begegnung mit dem Jüdischen. Dieser Zusammenklang, der 1938 auch die nahe Zukunft momenthaft und zugleich klar konturiert vorschaut, macht die ganz besondere Erzählatmosphäre des Romans „Der Papst aus dem Ghetto“ aus und wird auch jene Leser besonders berühren, denen das Jüdisch-Christliche ein Herzensanliegen ist oder die eine sehr offene und tiefe Auseinandersetzung damit wagen möchten.

Über den historischen Stoff hinaus stößt le Fort in ihrem großen Erzähltext vor in die überzeitliche Dimension der Kirche, in jenen geheimnisvollen Raum ewiger Wahrheit. Das Fragmentarische, Rätselhafte, Individuelle, das sich in historischen Gestalten und Ereignissen manifestiert, enthüllt sich als grundsätzlich in seiner Beziehung auf den Gottessohn hin: „Immer geht es um Christus.“ Gleichsam ausgesetzt und betrachtet wird im „Papst aus dem Ghetto“ auch das Geheimnis des Leidens der Kirche als geheimnisvoller Leib Christi: Sie leidet mit Christus, wird verkannt und entstellt, wo Menschen den Willen zur Macht über die Hingabe in der Nachfolge stellen. Le Forts Roman lässt – aus einer großen Liebe heraus – über eine Kirche nachdenken, die in die Hände der Menschen gegeben ist. Wie aus gebrochenem Goldgrund treten in der unvergleichlich schönen Sprache der Dichterin Gestalten und Schicksale auf uns zu, nehmen uns mit auf tragische Wege, lassen uns dabei aber nie irre werden an der größeren Liebe, die sich uns in Christus durch alle Zeiten zuwendet.

Gertrud von le Fort:
Der Papst aus dem Ghetto. Die Legende des Geschlechtes Pier Leone.

Hrsg. von Gundula Harand. Echter Verlag, Würzburg 2017, 134 Seiten, ISBN 978-3-429-04377-3, EUR 19,80

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Echter Verlag Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz Jesus Christus Katholische Kirche Päpste Rabbis

Weitere Artikel

Kirche

Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig