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Rainer Barzel: Der ewige Kandidat

Rainer Barzel wurde nie Bundeskanzler. Eine neue Biographie zeigt, wie er die CDU trotzdem über Jahrzehnte prägte.
Rainer Barzel, ehemaliger Bundestagsabgeordneter
Foto: KAS/Slomifoto | Rainer Barzel

Richtungsstreit gibt es in der CDU schon immer. Wer glaubt, die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Flügeln sei eine Spezialität der Gegenwart, der sollte die Biographie lesen, die Kai Wambach über Rainer Barzel geschrieben hat. Als gegen Ende der Ära Adenauer die Diadochenkämpfe ausbrachen, stand Rainer Barzel mitten im Getümmel. Die Union, der Name ist Programm, war seit ihrer Gründung ein Zusammenschluss verschiedener nicht-linker Flügel. Dominant gegenüber den national-liberalen oder norddeutsch-protestantisch geprägten Vertretern war aber von Beginn an das christlich-soziale Element, das dank des katholischen Verbandslebens über große personelle Ressourcen verfügte.

Insofern hatte Rainer Barzel eigentlich gute Karten. Denn er kam aus dem katholischen Milieu: Sozialisiert wurde er, in klarer Distanz zum NS-Regime, in der katholischen Jugendbewegung, dem Bund Neudeutschland, und in einer Lehrerfamilie, die katholisch und bildungsbürgerlich zugleich war. Direkt nach dem Krieg hat der junge Mann – Barzel war Jahrgang 1924 – dann sehr schnell Karriere gemacht: Zunächst noch im Zentrum – die CDU erschien ihm damals zu bürgerlich. Carl Spiecker, Minister in der nordrhein-westfälischen Landesregierung, machte ihn zu seiner rechten Hand und nahm ihn auch mit zur CDU, in die Spiecker, der die Nazi-Zeit im Exil verbracht hatte, schließlich vom Zentrum wechselte. Hier wurde nun der Ministerpräsident Karl Arnold auf den eloquenten jungen Mann aufmerksam.

In diesen Jahren stellte die Union die Weichen für ihre künftige programmatische Entwicklung. Karl Arnold war dabei der Antipode zu Konrad Adenauer. Arnold hatte kein Problem mit der Rede vom „christlichen Sozialismus“, stammte aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung und hätte als erste Regierung 1949 gerne eine Große Koalition mit der SPD gesehen. Der Kölner Bürger Konrad Adenauer hingegen wollte von Beginn an ein Bündnis mit den Liberalen, Soziale Marktwirtschaft inklusive. Barzel stand dieser Bürgerblock-Politik skeptisch gegenüber, erkannte aber auch bald die Erfolge Adenauers. Dass schließlich Adenauer als Altkanzler einen seiner letzten Briefe ausgerechnet an Barzel richtete und diesem darin erklärte, er sehe in ihm den Nachfolger, unterstreicht, wie schnell der ja immer noch junge Mann in das Zentrum der Macht vorgestoßen war.

Und Barzel schien tatsächlich der ideale Kandidat für die Zukunft zu sein: Analytisch klar, neuen Ideen aufgeschlossen, gleichzeitig fest im christlich-sozialen Milieu verwurzelt und schließlich auch noch Experte für das Schlüsselthema dieser Zeit: die Ostpolitik. In Berlin aufgewachsen, war das Schicksal der Stadt für Barzel stets eine Herzensangelegenheit. Von Adenauer noch war er zum Gesamtdeutschen Minister ernannt worden. Erfahrungen, die er dann in der direkten Konfrontation mit der sozial-liberalen Koalition und Willy Brandts „Neuer Ostpolitik“ ausspielen konnte. Er gehörte zu denen, die der Brandtschen Linie nicht zustimmten, gleichwohl grundsätzlich schon für neue Akzente in den deutsch-deutschen Beziehungen waren. „So nicht“, lautete seine Kritik an der Regierung. Barzel wollte eben nicht die Fundamentalopposition. Freilich innerhalb seiner Fraktion, die er inzwischen führte, gab es auch starke Kräfte, die genau so einen Kurs fuhren. Andere wiederum schwenkten viel stärker in die Brandt-Richtung. Hier ständig vermitteln zu müssen, zermürbte Barzel zusehends. Und dann kam schließlich das große Trauma des gescheiterten Misstrauensvotums 1972 gegen Brandt. Das Verlierer-Image wurde Barzel nicht mehr los. Helmut Kohl löste ihn als Parteichef ab.

Kai Wambach gelingt dank unzähliger Quellen, die er verwertet, ein atmosphärisch dichtes Bild dieser Zeit zu zeichnen. Dabei ist auch Platz für Menschliches, für die Persönlichkeit dieses sehr talentierten Rainer Barzel, der doch immer nur Kandidat geblieben ist. Barzel war der bessere Rhetoriker, sicher auch der analytischere Kopf als Helmut Kohl, aber ganz anders als diesem ging ihm die Leutseligkeit im Umgang mit dem Parteivolk ab. Er wurde nie geliebt, galt als Streber. Wegen solcher Beobachtungen ist der 900-Seiten-Wälzer spannend für alle, die sich für die Geschichte der „Bonner Republik“ interessieren.

Kai Wambach: Rainer Barzel. Eine Biographie. Ferdinand Schöningh Verlag, 2019, ISBN 9-78350670-261-6, 985 Seiten, EUR 98,–

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