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Die Weite der Vernunft

Christliche Philosophie bei C.S. Lewis und Josef Pieper. Von Barbara Stühlmeyer
Schriftsteller C.S. Lewis
Foto: EB | Die Hypothese vorurteilsfreier Forschung ist nicht realistisch: Der Schriftsteller C.S. Lewis.

Es ist ein unter Wissenschaftlern immer noch verbreitetes Missverständnis, dass derjenige, der objektiv forschen will, nichts glauben darf. Zumindest dann nicht, wenn es sich bei seinem Glauben um den an Gott handelt. Der Glaube an den Atheismus, die Agnostik und die Naturwissenschaften hingegen gilt als weniger problematisch, ja sogar förderlich und zwar nicht nur dann, wenn es um die heute gern sogenannten harten Fakten geht, sondern auch im Bereich der Philosophie, des grundsätzlichen, grundlegenden Denkens. Wer so denkt, schließt aus, dass es eine christliche Philosophie überhaupt geben kann, weil er vor-aussetzt, dass die Freiheit des Denkens durch das Hören auf die Offenbarung vom Anfang und Ende aller Dinge unziemlich eingeschränkt werde.

C.S. Lewis und Josef Pieper vertraten in diesem Punkt eine andere Auffassung. Sie waren nicht der Meinung, dass die Autonomie der Vernunft und die Anerkennung religiöser Überlieferungen einander ausschließen. Tatsächlich ist die Hypothese von der vorurteilsfreien, also vollkommen unvoreingenommenen Forschung keineswegs auch nur ansatzweise realistisch. Mit ihrer Art, zu philosophieren und um der Freiheit ihres Denkens willen zumindest im Falle Piepers auf eine akademische Karriere zu verzichten, wurden die beiden profilierten Katholiken zu einer wirkmächtigen Provokation in einer (nicht nur) akademischen Welt, die ihre Sicht der Freiheit als Muss für alle anderen begreift und sich von davon abweichenden Denk- und Lebenswegen zu Recht aufgestört fühlt.

Sowohl Lewis als auch Pieper hatten gute Gründe für ihre Position. Sie entsprach nicht nur dem Bedürfnis, ihrem Glauben auch in ihrem Denken einen Platz einzuräumen, beide können auch logisch nachvollziehbar begründen, warum die Abgrenzung der Philosophie von der Theologie letztlich eine unnötige Einschränkung bedeutet. Schlimmer noch – sie ist sogar eine Verzerrung, denn in der Regel legen diejenigen, die für sich reklamieren, voraussetzungsfrei zu denken, ihre eigenen Grundsätze nicht offen. Das heißt nicht, dass sie nicht erkennbar sind, aber allein der Versuch, ihre Spuren zu verwischen, ist eine ärgerliche Zeitverschwendung für diejenigen, die sich nun neben dem Nachvollzug ihrer Gedanken der Mühe unterziehen müssen, die Grundsätze freizulegen, um dann entscheiden zu können, ob die aus ihnen resultierenden Gedankengebäude etwas taugen.

Dass christliche Philosophie jedoch weder intellektuell unterbelichtet noch unangemessen eingeschränkt ist, zeigen Thomas Möllenbeck und Berthold Wald in ihrem lesenswerten Band „Christliche Philosophie? Denkwege mit C. S. Lewis und Josef Pieper“. Er enthält die Vorträge der gleichnamigen Tagung, die am 4. und 5. Juli 2014 in der Theologischen Fakultät Paderborn stattgefunden hat. In ihnen entfalten Jörg Splett, Marcus Knaup, Till Kinzel, Martin Hähnel, Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz, Andreas Koritensky und die beiden Herausgeber das Thema sowohl grundsätzlich als auch anhand der Beleuchtung einzelner Fragestellungen im Werk der beiden christlichen Philosophen.

Jörg Splett führt in gewohnt kryptischer Prägnanz in den Disput ein, den Christen über das Thema „christlich philosophieren“ austragen. Zunächst räumt er mit dem Missverständnis auf, dass eine christliche Grundhaltung des Philosophen als weltanschauliche Bedingtheit gleichbedeutend mit einer Unterordnung unter die Theologie sei. Es gehe hier vielmehr um eine doppelte Erkenntnisquelle, die die Philosophen, wie Pieper ausführt, aus dem Dilemma einer Philosophie befreit, „die weder Mythos noch Theologie kennt, und die dennoch noch immer das zu sein beansprucht, was Pythagoras-Platon-Aristoteles ,Philosophie‘ genannt haben“. Splett verdeutlich in seinem historischen Überblick über die Auseinandersetzung mit dem Thema zugleich, dass manch ein philosophischer Ansatz, wie etwa Sartres Nein zum Schöpfungsbegriff ohne Kenntnisse christlichen Denkens unverständlich bleibt.

Thomas Möllenbeck entfaltet anhand von C.S. Lewis' Werk „The Problem of Pain“, wie sich in der Auseinandersetzung mit der Theodizeeproblematik die Suche nach der Wahrheit und das interessierte Nachfragen zueinander verhalten und verdeutlicht, dass jedes Erleben einer Deutung bedarf und Voreinstellungen somit vernünftig hinterfragt, angepasst und willentlich beeinflusst werden können, dass sie aber für das Einnehmen einer eigenen Position letztlich unverzichtbar sind.

Marcus Knaup entfaltet in seinem Beitrag die in C.S. Lewis literarischem Werk eingeborgene Auseinandersetzung mit dem philosophischen Zugang zur Gottesfrage und der christlichen Deutung des Mythos. Als Literat mit der Fähigkeit, Menschen durch sein Wort zu erreichen begabt, vermochte Lewis anschaulich zu vermitteln, dass naturwissenschaftliches Denken nur teilbezogen, christlich philosophisches jedoch, wie es diesem Fach eigentlich zukomme, totales Denken sei.

Till Kinzel widmet sich dem Verhältnis von philosophischer Erkenntnis und literarischer Darstellung in den Werken von Lewis und Pieper. Letzterer weist zu Recht darauf hin, dass die platonischen Dialoge voller Geschichten seien – ein klarer Hinweis darauf, dass Sprache nie nur wörtlich verstanden werden darf, und Lewis nutzt Werke wie die Narnia Chroniken, um in ihnen, ähnlich wie in den Mythen, philosophische Denkwege im Subtext einzubinden und so zu immer tieferem Nachdenken anzuregen.

Berthold Wald legt luzide erzählt dar, inwiefern Piepers Art des Philosophierens weit eher als kritische Neubestimmung, denn als Fortsetzung dessen zu bezeichnen ist, was gemeinhin unter christlicher Philosophie verstanden wird, ein Begriff, dem es nicht nur an Eindeutigkeit mangele, sondern der auch von Pieper nicht ohne weiteres akzeptiert sei. Er, Pieper, verstand darunter vielmehr das uneingeschränkte Nachdenken in völliger Autonomie und zugleich bezogen auf religiöse Überzeugungen, ohne deren Einbezug die Philosophie menschlich unerheblich bleibe.

Martin Hähnel schildert unter dem inhaltlich anfragbaren Titel „Josef Pieper und Karl Jaspers über den philosophischen Glauben“ die Denkwege von Pieper und Lewis, ausgehend von deren Grundannahme, „dass es überhaupt zum Sein des Menschen gehöre, zu glauben, unabhängig davon, an wen sich dieser Glauben zunächst richte“. Während Jaspers sich auf das Befragen der existenziell wirksamen Strukturen des Glaubens konzentriert, fokussiert Pieper „die Selbstauslegung der Vernünftigkeit des überlieferten Glaubens“.

Hanna-Barbara-Gerl-Falkowitz kontrastiert unter dem Titel „Philosophie aus Zustimmung oder Ablehnung der Welt“ die Denkansätze von Josef Pieper und Emil Cioran. Bestürzend deutlich wird hier, wie die einander entgegengesetzten Voraussetzungen zu einem Bedenken der Gesamtheit des Begegnenden auf seine letztgründige Bedeutung hin oder zu dessen Auflösung in ein vorgängiges Nichts führen.

Wie grundlegend, wichtig und notwendig der philosophische Ansatz Josef Piepers ist, zeigt Andreas Koritensky in seinen Überlegungen zur Renaissance der Tradition, die er an den Denkwegen von Josef Pieper und Alasdair MacIntyre entfaltet. Wo Pieper noch von einer durch Traditionen gestützten Gesellschaft ausgehen konnte, konstatiert MacIntyre deren drohende Auflösung und fordert eine „Schaffung von Gemeinschaften, die ein umfassendes telos schaffen und aufrechterhalten können“.

Dieser wichtige, zum Mit- und Weiterdenken anregende Band, sei zur Lektüre sehr empfohlen.

Thomas Möllenbeck, Berthold Wald (Hg.): Christliche Philosophie? Denkwege mit C.S. Lewis und Josef Pieper.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2017, 218 Seiten, ISBN978-3-506-78480-3, EUR 49,90

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