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Exerzitien in Haft

Das Kloster Mar Elian in Syrien war ein geistliches Zentrum, bis Dschihadisten es im Mai 2015 überfielen. Dort entführten sie den katholischen Priester Pater Jacques Mourad. Fünf Monate Haft brachten den Geistlichen an seine physischen und spirituellen Grenzen. Dass er nicht verzweifelte, sondern die Leidenszeit als Glaubensweg auffasste, half ihm, zu überleben. Mit seinem Buch legt er ein anrührendes Zeugnis für die Macht des Gebetes und der Vergebungsbereitschaft in schier aussichtslosen Situationen vor.
Kloster Deir Mar Elian
Foto: KNA | Innenansichten der Klosterkirche Mar Elian vor und nach der Zerstörung durch Dschihadisten im Sommer 2015.

Die syrische Wüste ist für Pater Jacques Mourad ein Ort der Gotteserfahrung und Verkündigung. Der aus Aleppo stammende katholische Ordensmann aus der Gemeinschaft von Mar Musa begründete 2007 das aus dem fünften Jahrhundert stammende Kloster Mar Elian bei Qaryatein wieder. In seinen Erinnerungen „Ein Mönch in Geiselhaft“ schildert Pater Jacques dem französischen Journalisten Amaury Guillem einen Alltag unter ständigem Druck. Inmitten der Terrorgefahr widersteht die Klostergemeinschaft der Angst um das eigene Leben. Das Buch ist die Chronik eines heroischen Versuchs von Christen, sich weder einschüchtern noch aufhetzen zu lassen. Pater Jacques steht pars pro toto für die Beständigkeit jener unpolitischen Christen im Nahen Osten, die in ihrer angestammten Heimat bleiben und friedlich mit Muslimen zusammenleben wollen: „Für mich als Priester und Christ gibt es keine Partei, ich bin für alle Menschen gleichermaßen da. Ich wollte auch die Waffen nicht, zu denen man mir geraten hatte.“

Der Leser gewinnt faszinierende Einblicke: zum einen in die persönliche Berufungsgeschichte des Priesters Jacques Mourad. Durch den Jesuiten Paolo Dall'Oglio und die Gemeinschaft von Mar Musa erkannte er die Sendung der Christen in der Wüste. Im Kloster lernte Jacques Mourad auch den Dialog mit aufgeschlossenen Muslimen zu schätzen. Eine Bekehrung, die er als Zuwachs an Gottvertrauen erlebt: den Mut, sein Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes zu legen.

Auch nach der Geiselhaft und der Zerstörung von Mar Elian gibt der Geistliche seine versöhnliche Haltung gegenüber Andersgläubigen nicht auf. Als Rektor der zum Kloster Mar Elian gehörenden Pilgerstätte begegnet er Betern beider Religionen. Seine Fähigkeit, das Gute im Anderen zu sehen, verstärkt die Dankbarkeit für hilfsbereite Muslime. Sehr differenziert beschreibt das Buch das Kaleidoskop muslimischer Haltungen im Umgang mit Christen. Stellenweise ist es eine Hommage an muslimische Freunde in Syrien, die ihr Leben für Christen aufs Spiel setzen. Über religiöse Unterschiede hinweg sieht Pater Jacques die Güte als eine große Gemeinsamkeit des syrischen Volkes. Sein gesamtes Leben als Mönch habe ihm gezeigt, dass Christen und Muslime nicht auf ewig in gegenseitigem Misstrauen leben müssten, immer in der Angst vor einer unvermeidbaren Auseinandersetzung, so seine Bilanz.

In Zeiten, in denen der Wert des priesterlichen Zölibats weithin unterschätzt wird, legt Pater Jacques das ganze Spektrum geistlicher Vaterschaft und damit einen der tieferen Gründe des Zölibats offen. Wie er den Kreuzweg seiner Gemeinde im Orient mitgeht und durchleidet ist in bewegenden Passagen dokumentiert. Ohne die Zölibatsdebatte unmittelbar anzusprechen, ist der Autor ein überzeugendes Beispiel für den Sinn der auch spirituell konsequent gelebten priesterlichen Ehelosigkeit. Die Sorge um das Überleben seiner geistlichen Kinder steht der eines Familienvaters in nichts nach: „Wie könnte ich meine Kinder, katholische und muslimische, genau in dem Moment verlassen, da sie mich am meisten brauchen: Wie könnte ich je die ganzen Familien im Stich lassen, all die Kinder und Alten, die ein wenig Trost von mir erwarten, die ihre Sorgen und Hoffnung mit mir teilen wollen?“

Ohne Pathos beschreibt Pater Jacques Extremsituationen während der Haft. Dass es kein Leiden ohne Fall gibt, erfahren er und sein Mitbruder in wechselnden Gefängnissen am eigenen Leib. Wie sich der Priester auch geistlich der Situation stellt ist beeindruckend. Die eigene Zelle, meistens eher einer Hölle gleich, werde zur Einsiedlerklause, stellt er nach einigen Wochen Haft fest. Und dieser Reifungsprozess geht weiter: „Seltsamerweise verspüre ich keine Angst. Und dieser unerklärliche Mut geht nicht von mir aus. Gott ist da.“ Es gibt in diesem lesenswerten Bericht keine Zeile, in der das Drama im Rückblick heroisiert wird. Ohne außergewöhnliche Akte zu setzen, gelingt es ihm, seine Gefangenschaft „als Exerzitien“ zu betrachten. Der Rosenkranz, tägliche Stoßgebete, die Geduld in den Widrigkeiten des Alltags, der aufmerksame Blick für den Nächsten. Die Botschaft des Buchs ist eindeutig: Gott verlangt auch in Extremsituationen nichts Unmögliches.

Jacques Mourad/Amaury Guillem:
Ein Mönch in Geiselhaft. Fünf Monate in den Fängen des Islamischen Staates.

Arete-Verlag, HIldesheim, 2019, broschiert, 188 Seiten, ISBN 978-3-96423-019-5, EUR 18,–

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