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Wider die „Kulturrelativisten“

Ulrich Greiner zeigt in „Heimatlos“, dass konservative Standpunkte den Diskurs bereichern. Von Stefan Meetschen
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Foto: dpa | Praktiken biotechnischer Reproduktion sind auf das Schärfste abzulehnen – aber lässt sich so auch argumentieren, wenn dem Menschen die politische, religiöse und kulturelle Identität genommen ist?

Er gilt als Kenner der Literatur und der europäischen Kultur: Ulrich Greiner, langjähriger Chef des Feuilletons der „Zeit“ und erfolgreicher Sachbuchautor („Schamverlust“). In seinem aktuellen Buch „Heimatlos“ schildert der 72-Jährige in lockerer, aber durchaus gediegen gebildeter Weise seinen Werdegang vom stürmischen Linksintellektuellen zum geläuterten Anhänger konservativer Positionen. Greiner selbst stellt diesen Weg in aller Zurückhaltung als den Bildungsweg eines allmählichen Erkenntnisgewinns dar („es hat sich nach und nach so ergeben“), wissend, dass einer solchen Wandlung in der gegenwärtigen Medien- und Politikwelt keine hoch dosierten Sympathiewellen beschieden sind. Greiner weiß auch warum, da nämlich „die Leitmedien, von den tonangebenden Zeitungen bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten, ganz überwiegend einen Anpassungsmoralismus pflegen, der gegensätzlichen Meinungen keinen Resonanzboden bietet. Das gilt für die politischen Parteien erst recht“.

Es ist möglich, Verlorenem zum Recht zu verhelfen

Was heißt das konkret? Greiner, der betont, dass seine konservative Haltung „kein politisches Programm, sondern eher ein Lebensgefühl“ sei, lässt bereits im ersten Kapitel des 160 Seiten starken Buches keinen Zweifel daran, dass er die EU-Institutionen („bürokratisches Monstrum“), die gelegentlich rechtbrechende Regierung Merkel, sowie Aufweichungen auf dem Feld von Ehe und Familie – wozu er ausdrücklich auch „Praktiken biotechnischer Reproduktion“ zählt – mit kritischer Distanz betrachtet.

Dabei ist das, was Greiner wünscht, eigentlich wenig: nicht „mehrheitsfähig“ möge ein „solcher Konservatismus“ sein, es „wäre schon viel gewonnen, wenn ihn der mediale Diskurs als seriös anerkennen würde“. Aus Greiners Sicht habe sich aber „der Diskurs seit längerem schon vereinseitigt und simplifiziert“. Schuld daran ist seiner Meinung nach die „linksgrüne ,kulturelle Hegemonie‘“, deren baldiges Ende Greiner für gekommen hält. Ob der Ausgang der Bundestagswahl 2017, das Buch wurde vorher veröffentlicht, ihn bei dieser These stützt, darüber kann man angesichts der wohl bevorstehenden Regierungsreise nach „Jamaika“ trefflich streiten.

So wie man natürlich auch über die „Besonderheiten des Konservatismus“ nicht einer Meinung sein muss. Greiner lehnt sich bei seiner Konservatismus-Definition nicht nur an Karl Mannheim und Edmund Burke an, als Mann der Literatur steht ihm besonders Botho Strauß nah: „Es ist also durchaus möglich, dem Vergessenen und Verlorenen wieder zu seinem Recht zu verhelfen ... Im umfangreichen Werk von Botho Strauß kann man dies als zentrales Motiv erkennen: das vom Geröll des Geredes längst Verschüttete wieder auszugraben.“ Ferner weiß Greiner: „... der Widerstand gegen Hitler ging keineswegs von den Kommunisten und Sozialdemokraten allein aus, sondern eben auch von christlichen Konservativen.“ Zu einer realistischen Bestandsaufnahme gehört aber auch die Einsicht, dass der Konservatismus „von der jüngsten deutschen Geschichte in Mitleidenschaft gezogen worden“ sei und sich „seitdem nie mehr wirklich davon erholt“ habe.

Nicht gegen Hitler, sondern gegen die Auswüchse des häufig zitierten „Zeitgeistes“ und den „Geist der Utopie“ richtet sich der Kampf der Konservativen von heute. Ulrich Greiner kämpft diesen redlichen Kampf in seinem Buch, wenn er nicht nur begriffslogische Widersprüche der sogenannten „Willkommenskultur“ aufrollt, das langjährige Erfolgsprojekt EU einordnet („der wahre Europäer darauf hinwirken sollte, die Macht von Brüssel zu beschränken und den Blick auf die eigentliche europäische Kultur zu lenken“), sondern auch deutliche Worte zum Islam im Zuge der Flüchtlingshilfe findet. Zum Beispiel: „Die Warnung vor einer Islamisierung ist keineswegs absurd, auch wenn sie von ressentimentgeladenen Demonstranten an die Wand oder auf die Transparente gemalt wurde. Ich zweifle daran, dass die Eingliederung so vieler Menschen, denen unsere Kultur und Geschichte fremd sind, in absehbarer Zeit gelingen kann.“ Durchaus pointiert wehrt sich Greiner gegen die Verknüpfung der „Willkommenskultur“ mit Nächstenliebe und Barmherzigkeit, wie sie an verschiedenen politischen Schalthebeln gelegentlich betrieben wurde: „An die Stelle des christlichen Gewissens, wo ich allein meinem Gott Rechenschaft schuldig wäre, ist das Weltgewissen getreten, dessen Kommissare niemanden davonkommen lassen.“ Dass dieses „Weltgewissen“ auch beim Thema Armut im Widerspruch zu Jesus, der die Armut heiligte, steht, exemplifiziert Greiner griffig am Roman „Tagebuch eines Landpfarrers“ von Georges Bernanos. Lakonisch bilanziert er, dass es der Kirche von heute nicht in den Sinn käme, auf diese Weise von der „Würde der Armut“ zu sprechen. „Es wäre ein Skandal.“

Mit Leidenschaft, aber stets fair zieht der Katholik und Medienkritiker Greiner („Selbst wenn katholische Priester landauf, landab frühmorgens entsagungsvoll die Messe lesen: Aufregender ist es, davon zu hören, dass sie ihre Messdiener missbrauchen.“) gegen diejenigen ins Feld, die er als „Kulturrelativisten“ bezeichnet und deren Intention es sei, die islamische mit der christlichen Kultur eins zu setzen. „Allerdings können auch die Kulturrelativisten die hässliche Seite des Islams nicht leugnen, und deshalb beeilen sie sich, sobald sie unübersehbar wird, die hässliche Seite des Christentums hervorzuheben, dergestalt, als wollte man jemanden, der über seinen grippalen Infekt klagt, damit trösten, dass man von dem eigenen, erst unlängst überstandenen erzählt.“ Dass es auch in den Reihen der kirchlichen Gemeinschaften solche „Kulturrelativisten“ gibt, ist Greiner nicht entgangen. Sachlich zeigt er die Unterschiede der Religionen auf; so wie er hinsichtlich der Kirche auf eine Differenz zwischen Lehre und Leben pocht. „Ich glaube nicht, dass eine Angleichung der Lehre an die heutige Lebenspraxis den Kirchen eine neue Anziehungskraft verschaffen könnte.“

Dass für Greiner, der zugibt, eine Zeit lang aus der Kirche ausgetreten zu sein („Ich erspare dem Leser die Geschichte meiner doppelten Konversion“), beim katholischen Rollback die Ästhetik eine missionarische Rolle gespielt hat, verhehlt er nicht. „Es war die ehrfurchtgebietende Geschichte der christlichen Kultur samt ihren wunderbaren Werken der Architektur, der Musik und der bildenden Kunst, die mich allmählich nachdenklich stimmten und mich schließlich darauf brachten, dass dieser seitdem nie übertroffene Reichtum an Schönheit und gedanklicher Tiefe etwas mit seiner Ursprungsidee, also mit der christlichen Botschaft, zu tun haben müsse.“

Heute sehne er sich, wie Ulrich Greiner im letzten Kapitel des Buches, „Das Wunder des Christentums“, schreibt, „nach der alten Liturgie zurück, in der nur lateinisch gesprochen wurde“ und nach den „gregorianischen Gesängen“. Denn: „Sie setzten ein objektives Gegenüber voraus: hier die gläubige Gemeinde, dort der zu verherrlichende oder um Beistand angeflehte Gott.“

Ulrich Greiner hat mit „Heimatlos“ vermutlich das Buch der Stunde geschrieben. Ein Werk, das kurz und bündig von einem hellen, traditionsbewussten Denken Zeugnis gibt, das sich des Werts der eigenen christlichen Prägung nicht schämt, sondern diesen Wert – gepaart mit Vernunft und gesundem Menschenverstand – in die Zukunft tragen möchte. Souverän zeigt der Autor, wie wichtig die Freiheit als Säule der Demokratie und auch des Glaubens ist, und von woher heute ideologisierende Einschränkung droht. Man kann dieses kurzweilige Buch nur dringend zur Lektüre empfehlen. Ruhig flächendeckend.

Ulrich Greiner: Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, 160 Seiten, ISBN 978-3-498-02536-6, EUR 19,95

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