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Komm, du Geist der Heiligung

Auf dem Weg zum Pfingstsonntag aller Schöpfung.
Kirchenfenster "Heilige Geist in Gestalt einer Taube" aus der Kirche St. James the Greater in Concord in North Carolina
Foto: IN | Der heilige Geist in Gestalt einer Taube ziert ein Fenster in der Kirche St. James the Greater in Concord in North Carolina.

Für die alte Liturgie sind die fünfzig Tage zwischen der Osternacht und Pfingsten ein vollkommenes Abbild der Weltgeschichte zwischen der Auferstehung Jesu und der Auferstehung der Toten – besser: der Neuen Schöpfung. Wie keine andere Zeit des Jahres sind diese sieben Wochen so etwas wie eine ausgeweitete Pfingstnovene mit einer einzigen Bitte: Komm, Heiliger Geist. Denn der Heilige Geist ist die Macht der Neuen Schöpfung und der Vollendung.

Darin besteht der Schlusspunkt der Geschichte: Durch Gott als Heiligen Geist werden die Toten auferweckt. Und wie die erste Schöpfung durch Gottes Geist geschah, der über „den Wassern schwebte“, wird in der vollendeten Schöpfung alles geheilt sein, woran Menschen und speziell die Kirche jetzt krank sind. Denn in der Zeit der Kirche zeigt sich Gott vornehmlich als der Heilige Geist. Pfingsten deutet wie kein anderes Fest die Erfüllung all unserer Hoffnungen an. Daher ist an den Sonntagen nach Pfingsten und früher auch zu Pfingsten selbst die liturgische Farbe grün.

Wir kennen den Heiligen Geist aus der Bibel vor allem als den, der das Wort Gottes inspiriert und der parallel zu unseren Gebeten als unser Anwalt Gott bittet. Damit liegt der Ton auf den Worten, die in beiden Richtungen zwischen Himmel und Erde hin und her gewechselt werden. Doch einige eher randständige Texte, die man oft nur schwer verstehen konnte, sehen das ganz anders. Sie sprechen vom Geist der Heiligung, von jener Macht und Kraft also, mit der – besser: als die – Gott nach der Welt greift, sie restlos zu seinem Eigentum macht und sie ganz und gar durchdringt, bis er darin „alles in allem“ ist. In diesen Texten heißt Gott der Heiligmacher, der also, der alles zu seinem Eigentum macht und mit sich erfüllt.

Denn das genau heißt „heilig“ nach der Bibel: Gottes ganz spezielles, wieder (nach der ersten Schöpfung) angeeignetes Eigentum, ausgesondert aus dem Rest, der über diese Auswahl wie über eine Brücke dann am Ende auch heilig werden soll. Genau in diesem besonderen Sinn sprechen Bibel und Liturgie vom Geist der Heiligung. Wir kennen das aus zwei Stellen im Neuen Testament: Nach Röm 1,4 wird Jesus in seiner Auferstehung durch den Geist der Heiligung vor dem Publikum der ganzen Welt, also sozusagen „urbi et orbi“, zum Sohn Gottes erklärt. Sohn Gottes war er schon vorher. Aber durch das Wirken des Geistes der Heiligung in der Auferstehung wird er auch in seinem menschlichen Leib verklärt und verwandelt. Gott, der Heilige Geist, hat auch seinen menschlichen Leib ganz ergriffen und vollendet.

Die andere Stelle ist Hebr 9,14: „Denn Jesus Christus hat sich selbst, den vollkommenen Gerechten, Gott dargebracht in der Kraft des Heiligen Geistes, (also nicht mehr im Bereich der schwachen Kreatur, sondern mit ewiger Geltung und mit grenzenloser Wirkung).“ Das heißt: Gott heiligt als Heiliger Geist das Opfer Jesu Christi. Denn er nimmt es an, Jesu Leib und Leben können eben deshalb in die Stellvertretung für uns eingebracht werden.

Von hier aus verstehen wir, warum es in der Messe überhaupt eine Epiklese geben muss, eine Bitte um das Kommen des Geistes der Heiligung. Deshalb heißt es: „Komm, Heiligmacher, ewiger Gott und segne dieses Opfer…“. Ähnlich in der mozarabischen, altspanischen Liturgie: „Sende auf diese Opfergaben den Geist der Heiligung, der das Dargebrachte heiligen möge und diejenigen, die es darbringen, gnädig lichtvoll verwandle.“ Das heißt: Als Heiliger Geist greift Gott nach der Welt, verwirklicht er sein Reich. Und das beginnt mit dem Opfer Christi und setzt sich fort in der Eucharistie: Denn aller Anfang des Neuen besteht darin, dass die menschliche Natur Jesu Christi durch Gottes Geist radikal verwandelt wird und diejenigen, die die Messe feiern, mit ihm und durch ihn.

Alttestamentliches Vorbild war übrigens, wenn himmlisches Feuer auf die Opfergaben fiel (1 Kge 18,38) und zum Zeichen dafür wurde, dass Gott das Opfer angenommen hatte. Unter anderem können wir so auch wieder verstehen, warum die Messe ein Opfer ist und weshalb die Ministranten im allerältesten Messgebet – bezeugt im Judas-Evangelium, Mitte des zweiten Jahrhunderts – bitten: „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen…“. Denn mit jeder Messe wird die Welt ein Stück mehr geheiligt auf dem Weg zum „Pfingstsonntag aller Schöpfung“.

Es ist nicht zufällig, dass in der Überlieferung der wichtigen Stelle Lk 11,20; Mt 12,28 der Heilige Geist, die Besiegung der Gott-widrigen Mächte und das Reich Gottes zusammen genannt werden: „Ich treibe die bösen Geister mit Gottes Finger, mit seiner Kraft (Mt 12,28: durch den heiligen Geist), aus. Wenn das geschieht, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“ Das heißt: Wenn die bösen Geister vertrieben sind, haben sie Platz gemacht für Gottes Geist, und wenn er gekommen ist, kann Gott herrschen.

Als Heiliger Geist macht Gott die Schöpfung sich ähnlich

Das Wirken des Heiligen Geistes speziell an der menschlichen Natur Jesu Christi ist die verborgene Verbindung zwischen Mariae Verkündigung (25. März), Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht und Pfingsten: Bei Mariae Verkündigung bewirkt der Heilige Geist („empfangen durch den Heiligen Geist“) die menschliche Natur Jesu Christi (Franziskus verweist meines Erachtens mit Recht auf die Vorstufe dieser Auffassung in Jer 1,5 „im Mutterschoß geheiligt“). Am Gründonnerstag bewirkt der Heiligmacher die Konsekration (zu deutsch: Heiligung) von Brot und Wein. Die Epiklese steht in direkter Beziehung zur Konsekration, das heißt Heiligung als Wandlung durch den Heiligen Geist. In Gethsemane und am Karfreitag bewirkt Gott als Heiliger Geist die Annahme des Opfers Christi, in der Osternacht die Verwandlung der menschlichen Natur Jesu Christi in die des Auferstandenen, zu Pfingsten beziehungsweise am „Pfingstsonntag der Welt“ die Auferstehung als Verwandlung aller Menschen („Denn denen, die an dich glauben, Herr, wird das Leben nicht genommen, sondern verwandelt“, so die Präfation des Requiem). Eine Station auf diesem Weg ist auch das neue Schreiben von Papst Franziskus „Gaudete et exsultate“ [Jubelt und freut euch]. Ausgangspunkt ist Lev 11,44: „Seid heilig, weil ich heilig bin“. Ich möchte das so formulieren: Dieses alttestamentliche Gotteswort wird erfüllt in der Sendung des Heiligen Geistes. Denn als Heiliger Geist macht Gott die Schöpfung seitdem sich ähnlich. Der Heilige Geist ist der Weg der Verähnlichung mit Gott. Und das ist allemal das Ziel der Schöpfung überhaupt.

Dem Leser dieses Schreibens von Papst Franziskus ergeht es wie bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz: Christen gerade aus den entlegensten Winkeln der Weltkirche werden namentlich oder als Gruppen genannt, von der westafrikanischen Bischofskonferenz bis zur Sklavin Josephine Bakhita, die mit sieben Jahren verkauft wurde, von der heiligen Brigitta bis zu den trappistischen Märtyrern von Tibhirine, von Thomas Morus über die Bischöfe Indiens bis zum heiligen Pfarrer Brochero. Es ist eine ganze Wolke von Zeugen, die sichtbares Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes in der Zeit der Kirche sind.

Vier Punkte scheinen mir besonders wichtig: „Die Heiligen überraschen, verwirren, weil ihr Leben uns einlädt, aus der ruhigen und betäubenden Mittelmäßigkeit hinauszugehen“, und: Heiligkeit wird nicht von jedem für sich verwirklicht, sondern fast immer mindestens zu zweit. Daher kennt die Kirche öfter ganze Gruppen von Heiligen. Drittens: Das Leben eines Christen ist im Ganzen missionarisch, Mission ist nicht eine besondere Nische. Gott ist im ganzen Leben da, man kann nicht sagen, wo er nicht ist. Als Beispiel wird die einkaufende Hausfrau genannt, die mitten im Supermarkt sich vornimmt, „über niemanden schlecht zu reden“. Man stellt sich Papst Franziskus beim Einkaufen vor. Schließlich: Mit dem heiligen Papst Johanns Paul II. spricht Papst Franziskus davon, die Märtyrer aus den verschiedenen Konfessionen seien „ein Zeichen der Einheit, das lauter spricht als die Faktoren der Trennung“.

Ganz klar wird in diesem Papstbrief auch, dass der Heilige Geist nicht irgendeine Form von Gesinnung, Mentalität oder „Geistigkeit“ ist. Er ist viel mehr Gott als der, der in der Welt als Macht und Kraft wirkt. Insofern geht es noch immer um die Fortsetzung der Schöpfung.

Gegen Ende wird ein Gebet des heiligen Thomas Morus zitiert: „Herr, schenke mir Sinn für Humor, gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Seligkeit kenne im Leben und anderen davon mitteile.“ Ein kritisches Wort zur deutschen Übersetzung dieses Briefes: Was sind „weibliche Stile der Heiligkeit“? Inwiefern ist Heiligkeit „das schönste Gesicht der Kirche“? Hat sie noch andere? Pfingsten ist doch das Fest der Übersetzer!

Dieser Brief von Papst Franziskus ist selbst ein Zeichen mit Zeugniswert für die lebendige und universale Kirche Jesu Christi auf ihrem Weg. Das, was daran gegenwärtig aktuell und wichtig ist, wird man nicht so schnell beiseiteschieben können: Die katholische Vielfalt und Lebendigkeit der verschiedenen Arten von Spiritualität, die Rolle des alltäglichen Tuns als Zeugnis, die Funktion von Gebet und Schweigen. Und die wieder steigende Bedeutung des Martyriums, die schon immer unübersehbare Rolle heiliger Frauen in der Kirche. Besonders werden genannt: Hildegard von Bingen, Brigitta von Schweden, Katharina von Siena, Teresa von Avila.

Ich freue mich besonders, dass die Geschichtsauffassung des Zisterzienserabtes Joachim von Fiore (gestorben 1202) immer mehr an Zustimmung gewinnt: Die letzte Zeit der Weltgeschichte – und damit auch der Kirche – ist in ganz besonderer Weise das Zeitalter des Heiligen Geistes. Wie die Enzyklika von Papst Franziskus, sah Joachim das speziell so sich verwirklichen, dass Gott Menschen in seinen Dienst beruft. Schon um 1200 waren das nicht nur Priester. Die Hierarchie war nur das Zweitwichtigste, das Wichtigste aber war und ist und wird sein die Heiligkeit der Vielen.

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