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Wer war Papst Johannes XXIII.? Über sein Leben und Wirken

In einem Pontifikat von weniger als fünf Jahren hat Papst Johannes XXIII. die Kirche verändert Von Michael Karger
Papst Johannes XXIII.
Foto: KNA | Wer ihm begegnete, war beeindruckt von der Menschlichkeit und der Bescheidenheit, die Papst Johannes XXIII. ausstrahlte.

Erst am vierten Tag mit dem elften Urnengang hatte der Patriarch von Venedig, Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli, die notwendige Zweidrittelmehrheit der Stimmen im Konklave erreicht, die ihn zum Papst und Nachfolger Pius' XII. machte. Es war der 28. Oktober 1958 und Roncalli war siebenundsiebzig Jahre alt. Mit einer vorbereiteten Rede – er hatte mit seiner Wahl gerechnet, ohne sie zu betreiben – begründete er vor dem Kardinalskollegium, warum er sich den Namen Johannes XXIII. zugedacht hat. Der gelernte Kirchenhistoriker nahm diesen Namen einem Gegenpapst des vierzehnten Jahrhunderts weg und fügte ihn wieder in die Reihe der legitimen Päpste ein. Ein souveräner Handstreich voller Traditions- und Selbstbewusstsein. Die Kurie erwartete einen „Übergangspapst“, der nach der Alleinherrschaft von Pius XII. endlich wieder neue Kardinäle ernennen, sich ansonsten aber mit repräsentativen Aufgaben begnügen sollte. Die weiße Soutane, die der päpstliche Schneider brachte, war viel zu eng. Auf den aristokratisch-asketisch schlanken Pius XII. folgte ein kleiner Dicker mit watschelndem Gang.

Den Krönungstag hatte der neue Papst auf den 4. November, den Tag des von ihm sehr verehrten Karl Borromäus, gelegt. Sein Selbstverständnis als Seelsorger sah Roncalli ganz im Licht dieses Prototyps des tridentinischen Reformbischofs, er nannte ihn „Lehrer der Bischöfe, Ratgeber der Päpste, Vorbild bischöflicher Heiligkeit“. Während seiner Regierungszeit edierte er die Visitationsakten des heiligen Bischofs von Mailand. In diesem Sinne kündigte Johannes in seiner Antrittsrede auch schon den seelsorglichen Schwerpunkt seiner Amtszeit an: „Andere menschliche Qualitäten – Bildung, diplomatische Klugheit – mögen ein Pontifikat verschönen und ausfüllen, aber sie könne es nicht ersetzen, der Hirte der ganzen Herde zu sein.“

In Anspielung auf seinen zweiten Taufnahmen Giuseppe und auf das Buch Genesis verwendete Papst Johannes hier auch schon das Lieblingsbild, mit dem er sich immer wieder den unterschiedlichen Gruppen und Erwartungen gegenüber selbst verstand und verstanden wissen wollte: „Der neue Papst ist durch die Ereignisse und Umstände seines Lebens wie der Sohn Jakobs, der bei der Begegnung mit seinen Brüdern in Tränen ausbrach und sagte: Ich bin Josef, euer Bruder.“ Seinen bischöflichen Wahlspruch „Oboedientia et pax“ (Gehorsam und Friede) – übernommen von Caesar Baronius – behielt der neue Pontifex bei.

Die erste Ernennung war die des Kurienkardinals Tardini zum Staatssekretär. Pius XII. hatte fast zwanzig Jahre allein regiert und – sich auf immer weniger Mitarbeiter verlassend – seit 1944 keinen Staatssekretär ernannt. Zehn Jahre hatte das Amt der Prostaatssekretär Montini verwaltet, der 1954 von Pius XII. überraschend zum Erzbischof von Mailand ernannt worden war. Johannes XXIII. holte Montini, mit dem er seit 1925 gut bekannt war, entgegen den Erwartungen vieler nicht zurück.

Als Sohn von Kleinbauern in die weite Welt

Als drittes von dreizehn Kindern wurde Angelo Giuseppe Roncalli 1881 in dem Dorf Sotto il Monte im Bistum Bergamo geboren. Hier waren seine Vorfahren schon seit dem Mittelalter als Kleinbauern ansässig. Nach dem Besuch des Knabenseminars konnte er mit einem Stipendium am päpstlichen Seminar Sant' Appolinare in Rom studieren und promovieren. In der römischen Kirche Santa Maria in Monte Santo zum Priester geweiht, feierte er seine erste heilige Messe in den Grotten unter Sankt Peter. Dem von ihm zeitlebens hoch verehrten, weltoffenen und gebildeten Bischof von Bergamo, Graf Giacomo Radini Tedeschi, diente er neun Jahre als Sekretär. Daneben hielt er am diözesanen Priesterseminar Vorlesungen in den Fächern Kirchengeschichte, Patristik und Apologetik.

Auf italienischer Seite nahm der Priester und Theologieprofessor Roncalli als Militärgeistlicher am Ersten Weltkrieg teil. Ab 1921 als Dozent in Rom, arbeitet er auch für das päpstliche Werk zur Glaubensverbreitung. Nach seiner Bischofsweihe 1925 wurde Roncalli von Pius XI. zum apostolischen Visitator für Bulgarien ernannt. Zehn Jahre harrte Roncalli geduldig und gehorsam, aber mit dem zunehmenden Eindruck, einfach vergessen worden zu sein, in Bulgarien aus, bis er 1934 zum Apostolischen Delegaten für die Türkei und Griechenland zuerst nach Istanbul und später nach Athen entsandt wurde. Hier erwarb er sein großes Wissen über die Orthodoxie und den Orient. Nach der Besetzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht konnte der Delegat Roncalli die Deportation vieler griechischer Juden in die Vernichtungslager verhindern. Im Jahre 1944 wurde Roncalli von Pius XII. mit der äußerst schwierigen Aufgabe betraut, als Apostolischer Nuntius im befreiten Frankreich den Heiligen Stuhl diplomatisch zu vertreten. Für deutsche Seminaristen in französischer Kriegsgefangenschaft erwirkte er die Zusammenlegung in Chartres zur Fortsetzung ihres Theologiestudiums.

1953 wurde Roncalli zum Kardinal erhoben und nur drei Tage später zum Erzbischof und Patriarchen von Venedig. In einem Brief von 1951 nannte er die wesentlichen und ganz praktischen Grundsätze seines Lebens und Wirkens: „… dass man die Dinge nehmen und sie möglichst einfach machen muss. Das heißt also Schweigen, viel Geduld und Ruhe vor allem mit sich selbst; außerdem innere und äußere Demut; große Liebe zu allen von Herzen und in Worten; und dann sich darüber freuen, wenn man das Kreuz auf sich nehmen kann.“

Mit seinen improvisierten Ansprachen, seiner humorvollen Spontanität, eroberte Johannes XXIII. die Herzen in seiner Bischofsstadt Rom und bald auch darüber hinaus. Die Autofahrt zur Inbesitznahme der Lateranbasilika war zur eigenen Überraschung des Papstes ein wahrer Triumphzug und eine überzeugende Demonstration der Aussöhnung mit dem italienischen Staat durch dessen selbstverständliche Anerkennung. Auch die Kurie war mit dem Papst zufrieden, er verließ sich auf seine Mitarbeiter, stellte sich selbstverständlich und freudig in die Traditionen seines Amtes und hielt den Dienstweg ein. Vor allem führte er die regelmäßigen Audienzen für die Leiter der Kongregationen wieder ein, die Pius XII. nicht für nötig gehalten hatte. Johannes XXIII. hat insgesamt dreiundfünfzig neue Kardinäle ernannt, an erster Stelle den Erzbischof von Mailand, Giovanni Battista Montini.

Nach seinen Pastoralbesuchen in einem Kinderkrankenhaus und im Gefängnis war Roncalli bald für die Römer der „gute Papst Johannes“. Zu seinem großen Unverständnis stieß der ehemals seinen Vorgesetzten gegenüber in allem stets gehorsame päpstliche Diplomat Roncalli bei einigen Kardinälen sogar auf offenen Ungehorsam, als er sie aufforderte, einige angehäufte Ämter wieder freiwillig abzugeben. Es war seine Art, ein solches Verhalten zwar zu korrigieren, aber im selben Moment auch sofort zu vergeben und zu vergessen. Zu römischen Seminaristen sagte er über seinen Titel „Eure Heiligkeit“: „Nichts zählt, nichts hat Wert für die Geschichte und das Menschenleben, nichts hat Wert für die Kirche und die Seelen, wenn der Papst nicht heilig ist in seinen Taten wie in seinem Titel.“

Weihnachten 1959 zog Johannes eine Bilanz seines ersten Amtsjahres: „Ich betrachte mich in allem als gehorsam und stelle fest, dass diese meine Haltung im Großen wie im Kleinen meiner Kleinheit so viel Kraft kühner Einfachheit verleiht, dass sie, ganz im Geist des Evangeliums, allgemeinen Respekt verlangt und erhält und überdies viel Anlass zur Erbauung ist.“

Dass der Papst weitreichende und für viele bald auch beunruhigende Pläne hegte, sprach er verhüllt schon in seiner Krönungsansprache aus, man muss nur den heiligen Borromäus im folgenden Zitat durch Johannes XXIII. ersetzen: „Die Kirche des Herrn hat ihre Augenblicke des Stillstands und der Wiederbelebung. In einer solchen Periode der Wiederbelebung bewahrte die Vorsehung für den heiligen Borromäus die hohe Aufgabe auf, die kirchliche Ordnung wieder herzustellen.“ Die Bombe platzte schließlich am 25. Januar 1959. Im Kapitelsaal von St. Paul vor den Mauern eröffnete Johannes XXIII. den Kardinälen das Arbeitsprogramm seines Pontifikates: Die Abhaltung einer Synode für das Bistum Rom, die Einberufung eines ökumenischen Konzils und die Reform des Kirchenrechts. Letzteres wurde 1983 durch Papst Johannes Paul II. abgeschlossen. Dass ihm die Kardinäle weder applaudiert noch gratuliert haben, hat Johannes XXIII. zwar verwundert, aber nicht verunsichert. Der als jovial, aber naiv geltende ungebildete Übergangspapst hatte, alle überraschend, die Initiative ergriffen.

Die Reformdekrete des Konzils von Trient (1545–1563) hatten das Leben der Kirche über dreihundert Jahre bestimmt. Als Historiker, Priester, Bischof und Papst sah sich Roncalli ganz in dieser Tradition. Das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) wollte eine umfassende Konstitution über das Wesen der Kirche verabschieden, was in Trient wegen starker nationalkirchlicher und episkopalistischer Kräfte nicht möglich war. Kriegsbedingt musste das Konzil suspendiert werden, nachdem es den Teil der Kirchenverfassung über den päpstlichen Primat und die amtliche Lehrunfehlbarkeit des Papstes definiert hatte. Damit war das Petrusamt aus seiner jahrhundertlangen erzwungenen Lähmung zur vollen Ausübung des Einheitsamtes befreit worden. Als Befreiung für das Papsttum erwies sich auch der Untergang des Kirchenstaates als Folge der nationalen Einigung Italiens.

Die theologische Auseinandersetzung mit der Moderne wurde, eher hilflos, als ängstliches Rückzugsgefecht hinter den Mauern des scholastischen Lehrgebäudes geführt. Bis in die fünfziger Jahre wurden Theologen, die eine offenere Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Denken suchten, massiv unterdrückt. Nach den Klarstellungen des Ersten Vatikanums über den Primat des Papstes, der auch das Haupt eines jeden Konzils war, konnte Johannes XXIII. in völliger Freiheit ein Konzil einberufen, ohne befürchten zu müssen, dass es als Waffe gegen das Papsttum in Anschlag gebracht werden kann. Jedenfalls nicht auf der Basis der Glaubenslehre der Kirche.

Von der römischen Synode zum Zweiten Vatikanum

Viel Zeit verwendete der Bischof von Rom auf die Vorbereitung der Diözesansynode. Alle vorher ausgearbeiteten Textentwürfe wurden von der Synode problemlos anprobiert. Die strengen disziplinarischen Vorschriften für den römischen Klerus wurden bekräftigt und die Verbindung von Priesteramt und Ehelosigkeit wurde vom Papst ausdrücklich gutgeheißen.

Die Kurie wünschte sich ein Konzil nach dem Vorbild der Synode: In einer möglichst kurzen Sitzungsperiode sollten die vorformulierten Beschlussvorlagen schnell verabschiedet werden. Von allen Bischöfen und theologischen Fakultäten wurden Themenwünsche für das Konzil eingeholt. Eine viel zu hohe Erwartungshaltung an das Konzil seitens einiger Theologen, dankbar von der Presse aufgegriffen, deutete bereits auf kommende Probleme hin.

Mit der Ernennung von Augustin Bea SJ, Rektor des Bibelinstituts und Beichtvater von Pius XII., zum Kardinal und Leiter des neu geschaffenen Sekretariats zur Förderung der Einheit der Christen suchte der Papst dem Konzil auch eine ökumenische Dimension zu geben. Über Kardinal Bea und seine eigene, am Staatssekretariat vorbei betriebene Geheimdiplomatie ist es Johannes XXIII. gelungen, die von Rom getrennten Kirchengemeinschaften einschließlich der Orthodoxie zur Entsendung von Konzilsbeobachtern zu bewegen.

Im September 1962 wurde dem Papst eröffnet, dass er unheilbar an Magenkrebs erkrankt sei, und dass seine Lebenserwartung höchstens noch ein Jahr betrage. Im Bewusstsein seines nahen Todes unternahm er in den Anliegen des Konzils eine Wallfahrt nach Loreto und Assisi. Auf der Eröffnungssitzung des Konzils am 11. Oktober 1962 – es war mit 2 449 Konzilsvätern die bei weitem größte allgemeine Kirchenversammlung der Geschichte –, stieg Johannes XXIII. am Eingang der Peterskirche von seinem Tragestuhl und schritt zu Fuß durch das zur Konzilsaula hergerichtete Schiff der Basilika. In seiner Eröffnungsrede wünschte der Papst keine Lehrverurteilungen vom Konzil: „Heute zieht die Braut Christi es vor, die Arznei der Barmherzigkeit anzuwenden anstatt der Strenge. Sie meint, dass sie den Bedürfnissen der Gegenwart besser gerecht wird, indem sie die Gültigkeit der Lehre zeigt, als durch Verurteilungen.“ Er wandte sich gegen einen zu große Pessimismus der heutigen Welt gegenüber („Propheten des Unglücks“) und äußerte die Erwartung an „einen Sprung nach vorn in der dogmatischen Durchdringung und der Formung der Gewissen in noch größerer Treue zur authentischen Lehre. Aber dieses authentische Dogma muss untersucht und gedeutet werden im Licht der Forschungsmethoden und der Sprache des modernen Denkens. Denn die Substanz des uralten anvertrauten Glaubensgutes ist eine Sache und die Weise, wie es dargestellt wird, ist eine andere.“ Der Papst sah seine Aufgabe nicht darin, über die allgemeinen Vorgaben (pastorale Ausrichtung, keine Lehrverurteilungen und Vermittlung der Glaubenswahrheiten an den heutigen Menschen in Treue zur Überlieferung) hinaus, Weisungen zu geben.

Bereits am ersten Arbeitstag hat sich das Konzil in seinem Beschluss, sich bei der Wahl der Kommissionsmitglieder nicht an die vorgegebene Namensliste zu halten, von der Bevormundung durch die Kurie gelöst. Der erste debattierte Textentwurf über die Liturgie – man hatte ihn zum „einspielen“ gewählt, weil man auf diesem Gebiet keine kontroversen Diskussionen erwartete – führte zu nicht vorhersehbaren endlosen Auseinandersetzungen. Die Kardinäle Suenens und Montini hatten inzwischen ein Konzept entwickelt, die siebzig Textentwürfe unter dem Leitbegriff der Kirche in der Welt von heute zusammenzufassen. Sie gaben, von Papst Johannes entscheidend unterstützt, damit dem Konzil auch sein eigentliches Thema. Montini sah allerdings zur Verwirklichung dieses Planes mindestens drei Sitzungsperioden vor.

Auch die Aussicht, das Ende des Konzils sicher nicht mehr zu erleben, sowie die nicht erwartete Ablehnung der Textentwürfe durch das Konzil führte bei Johannes XXIII. nicht zur Resignation. Keine der fünf Vorlagen war abgeschlossen, als der Papst am 8. Dezember 1962 das Konzil entließ.

Inzwischen hatte er durch seinen Friedensappell in der Kubakrise dem Kremlchef Chruschtschow geholfen einzulenken, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren und dadurch die Welt vor einem Atomkrieg bewahrt. Im Februar 1963 war es dem Papst durch seine, vom Staatssekretariat verurteilten, Kontakte nach Moskau gelungen, die Freilassung des Patriarchen Slipj aus einem sowjetischen Straflager zu erwirken. In seiner letzten Enzyklika „Pacem in terris“ lehrte der Papst die Konzilsväter, die Zeichen der Zeit positiv im Licht des Evangeliums zu deuten.

Seine letzte heilige Messe feiert Johannes XXIII. am 17. Mai 1963 in seiner Privatkapelle. Danach konnte er das Bett nicht mehr verlassen und begann, Abschied zu nehmen. Er bat seine Umgebung: Helft mir zu sterben, wie ein Bischof oder Papst sterben sollte. Rückblickend schrieb er über sein Pontifikat: „Ich empfinde Freude in der Betrachtung der Wahrheit und der getanen Pflicht. Ich bin froh, dass ich in der Lage war, jedem Impuls der Gnade zu entsprechen. … Es ist alles ohne übertriebene Mühe geschehen: Audienzen, Reisen, die Wiederbelebung der Bußpraxis und die Pastoralvisitationen in Rom, die Synode, das Konzil.“ Zu einem Ordensbruder, der nachts an seinem Bett wachte, sagte er: „Dieses Bett ist mein Altar, der Altar braucht ein Opfer, ich bin bereit.“ Auf dem Sterbebett hat er auch seinen Nachfolger vorausgesagt: „Nach meiner Meinung wird Montini mein Nachfolger sein. Die Stimmen des heiligen Kollegiums werden auf ihn fallen.“ Johannes XXIII. starb am Abend des 3. Juni 1963, dem Pfingstmontag im Alter von einundachtzig Jahren; sein Pontifikat dauerte keine fünf Jahre. Haben sich die Hoffnungen Johannes XXIII. auf ein neues Pfingsten in der Kirche erfüllt? Öffnung und Freiheit hat er als einen hohen Anspruch an die Konzilsväter und die nachkonziliare Kirche hinterlassen.

„Was mir am Herzen liegt: Die Verherrlichung Pius' IX.“

Dass es seit dem Konzil eine Bewegung in der Kirche gibt, die entschlossen ist, einen Traditionsbruch mit dem Konzil von Trient und dem Ersten Vatikanum zu erzwingen, zeigt aktuell gerade der inszenierte Widerstand gegen die Seligsprechung Pius' IX. Wie ein Brief von 1959 an den zuständigen Postulator belegt, ist die Meinung von Johannes XXIII. zur Seligsprechung von Pius IX. eindeutig: „Demütig aber lebhaft segne ich eure Person … und ermutige sie zu einer heiligen Unternehmung, die mir sehr am Herzen liegt, nämlich die Verherrlichung von Pius IX.“

Die große Freiheit für das Konzil beruhte auf dem Vertrauen des Papstes, dass die Väter sein selbstverständliches liebendes Kirchenbewusstsein teilten, mit ihm die große Einheit der Überlieferung der Kirche zum Leuchten bringen wollten, mit ihm gehorsame und opferbereite Reformbischöfe im Geiste des heiligen Karl Borromäus sein wollten. Mit unvergleichlicher angstfreier Sicherheit führte Johannes XXIII. die Kirche bis zum Konzil. Dann musste er wie Mose erfahren: „Und Jahwe sprach zu ihm: Das ist das Land, welches ich Abraham, Isaak und Jakob mit den Worten zugeschworen habe: Deinen Nachkommen will ich es geben! Ich habe es dich mit eigenen Augen schauen lassen, aber dorthin wirst du nicht kommen!“ Nicht alles, was später im gelobten Land geschah, ist lobenswert. Manch einer beruft sich bis heute auf Papst Johannes und lockt das Gottesvolk in die Wüste, Luftspiegelungen nachzujagen.

Das Vermächtnis des seligen Johannes XXIII. ist sein „geistliches Tagebuch“, inzwischen bereits ein Klassiker der spirituellen Literatur. Wer den Geist des Vaters des Zweiten Vatikanischen Konzils sucht, wird ihn hier finden und daraus Nutzen ziehen.

Der Beitrag erschien am 2. September 2000 in der „Tagespost“.

Die wichtigsten Stationen des Lebens von Papst Johannes XXIII. 

Papst Franziskus spricht am Sonntag den Konzilspapst Johannes XXIII. (1958–1963) heilig. Wir dokumentiert die wichtigsten Stationen des Lebens von Angelo Giuseppe Roncalli als Kind aus einfachen Verhältnissen, als Priester, Vatikandiplomat und Kirchenoberhaupt:

24. November 1881: Angelo Giuseppe Roncalli wird als Sohn einer armen Bauernfamilie im lombardischen Dorf Sotto del Monte, Provinz Bergamo, geboren. Seine Mutter und sein Großonkel Zaverio befördern seine Schulkarriere, die allerdings viele, vor allem materielle, Hindernisse zu überwinden hat

1901 Militärdienst

1904 Doktor der Theologie und Priesterweihe

1905 Bischofssekretär in Bergamo

1915 Militärseelsorger im Ersten Weltkrieg

1925 Apostolischer Visitator in Bulgarien im Rang eines Erzbischofs. Bischofsweihe. In Bulgarien erste Erfahrungen mit Blick auf die Notwendigkeit einer ökumenischen Verständigung

1935 Apostolischer Administrator für die Türkei und Griechenland mit Sitz in Istanbul. Diplomatisches und seelsorgerisches Wirken zwischen den Fronten. Rettung zahlreicher Juden

1945 „Schwarze Soutane mit weißer Weste“: Nuntius in Frankreich. Aufarbeitung kirchlicher Kollaboration mit dem Vichy-Regime. Auseinandersetzung mit dem französischen Phänomen der Arbeiterpriester

1953 Patriarch von Venedig und Kardinal

1958 Oktober Wahl zum Papst

1959 Januar: Ankündigung eines allgemeinen, „ökumenischen“ Konzils, dem ersten seit 90 Jahren. Als ein Ziel formuliert Johannes XXIII. die Überwindung der Kirchenspaltung zwischen den Konfessionen

1961 Sozialenzyklika „Mater et magistra“

1962 September: Ärzte stellen einen inoperablen Magentumor fest

Oktober: Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils

Vermittlung in der sogenannten Kuba-Krise zwischen der Sowjetunion und den USA

1963 April: Friedensenzyklika „Pacem in terris“

Ende Mai: Verkündung einer neuntägigen „Ruhepause“ für den kranken Papst. Zehntausende auf dem Petersplatz und weltweit Millionen Menschen nehmen über die Medien Anteil am Todeskampf des Papstes

3. Juni: Tod Johannes XXIII. Zum Nachfolger wird der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini gewählt. Als Paul VI. (1963–1978) führt er das Konzil weiter

1965 Dezember: Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils

2000: Papst Johannes XXIII. wird gemeinsam mit dem von ihm verehrten Pius IX. (1846–1878) seliggesprochen

2012/13: Der 50. Jahrestag der Konzilseröffnung unter Benedikt XVI., die Papstwahl des volkstümlichen Argentiniers Franziskus und die Ankündigung der Heiligsprechung von Johannes XXIII. rücken auch den „papa buono“ Roncalli wieder stärker ins Blickfeld

27. April 2014: Franziskus spricht seine Vorgänger Johannes Paul II. und Johannes XXIII. auf dem Petersplatz heilig.

DT/KNA

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Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig