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Als der kaltblütige Kardinal Armand-Jean de Richelieu die französische Politik beherrschte

Auf Kardinal Armand-Jean de Richelieu fällt neues Licht in einer großen Biographie. Von Urs Buhlmann
Richelieu beobachtet die Kämpfe auf dem Gemälde von Henri-Paul Motte von 1881
Foto: IN

Als kontroverse Figur gilt Armand-Jean du Plessis, Herzog von Richelieu, der Lenker der französischen Politik unter König Ludwig XIII. zwischen 1624 und 1642. Für machtgierig und skrupellos gehalten zu werden muss man sich als Politiker wohl gefallen lassen.

Von katholischer Seite wurde dem Bischöfe von Luçon und Kirchenfürsten zusätzlich noch vorgeworfen, dass er gegen Habsburg ein Bündnis mit dem protestantischen Schweden eingegangen sei, dass er Aufstände gegen die spanische Zentralregierung unterstützt und so mittelbar die katholische Seite geschwächt habe.

Der Bösewicht aus „Die drei Musketiere“

Auch die Darstellung des Kardinals als Finsterling in Dumas' Roman „Die drei Musketiere“ hat nicht dazu beigetragen, ihm einen besseren Leumund zu verschaffen. Doch lässt jetzt eine mit 1 100 Seiten wahrhaft erschöpfende Biographie des deutschen Historikers und Experten für das Frankreich der frühen Neuzeit, Klaus Malettke, Richelieu Gerechtigkeit widerfahren. Der emeritierte Marburger Professor kann viele der Vorwürfe mit überzeugenden Argumenten widerlegen.

Zum Amt des Bischofs berufen

Schon die Taufe des aus alt-, wenn auch nicht hochadliger Familie Stammenden ließ erkennen, dass man vom Sohn des „Grand Prévôt“ von Frankreich etwas erwartete: König Heinrich III., die Königin-Mutter, sowie zwei Herzöge nahmen 1586 daran teil.

Rund 15 Jahre später wurde im Familienrat festgelegt, dass der junge Armand nicht, wie zunächst vorgesehen, Soldat, sondern Geistlicher werden sollte, Bischöfe natürlich, „zum Wohl der Kirche und zum Ruhm unseres Namens“, wie es selbstbewusst hieß. Eine Berufung eigener Art, könnte man sagen, doch kein Hindernis dafür, dass der zum Geistlichen Bestimmte seine Verantwortung tatsächlich wahrnahm.

Der Grundstein seines Erfolgs

Richelieu absolvierte ein normales, etwas beschleunigtes Theologie-Studium und wurde 1607 in Rom zum Bischöfe von Luçon geweiht, mit Dispens, weil er noch erheblich unter dem vorgeschriebenen Mindestalter lag. Er wurde nun auch zu einem der Armenpfleger des Königs (damals noch Heinrich IV.), durfte gelegentlich vor dem Hof predigen und begann allmählich bekannt zu werden.

Die im zentralen Westen Frankreichs am Atlantik gelegene Diözese verwaltete er durchaus im Sinn des Reformkonzils von Trient, visitierte sie gründlich, berief Synoden ein und gründete ein Priesterseminar.

Das Spinnen eines Netzwerks

Zugleich aber arbeitete Richelieu unermüdlich am Aufbau eines weitgespannten Netzes an Freunden, Gönnern und Informanten. Der Autor wendet viel Zeit und Platz darauf, minutiös nachzuweisen, wie sich der Aufstieg Richelieus zu einer Figur nationaler und übernationaler Bedeutung vor allem dem Wechsel von in Anspruch genommener und gewährter Patronage verdankte.

Aufstieg in der Ständegesellschaft

In Zeiten, in denen der Monarch an der obersten Stelle der auf Blutsverwandtschaft oder persönlichen Beziehungen fußenden Stände-Gesellschaft stand, kam niemand hinauf, der nicht langsam und stetig durch kleine Gefälligkeiten und jedwede Mobilisierung der allerhöchsten Aufmerksamkeit seinen Weg zu machen in der Lage war. Man brauchte zugleich einen hochstehenden Gönner – bei Richelieu war es lange die kapriziöse Mutter des neuen Königs Ludwig XIII., Maria von Medici – wie man seinerseits gegenüber anderen, niedriger Gestellten als Patron und Förderer auftreten musste.

Kardinal Richelieu beherrschte die Kunst den König zufrieden zu stellen

Der spätere Kardinal beherrschte diese Kunst offenbar schon früh perfekt, musste sich aber dennoch immer wieder nach der alles überstrahlenden Sonne, dem Monarchen eben, ausrichten. Von ihm hing alles ab, am Ende sogar die persönliche Freiheit, und Malettkes opus magnum ist auch die Geschichte zahlreicher anderer gescheiterter Karrieren mit gelegentlich tragischem Ausgang. Man liest durchaus mit Beklemmung, wie selbst der als Prinzipalminister des Königs arrivierte und zum Kardinal erhobene Richelieu jede seiner Äußerungen und alle seine Handlungen bis ins Detail mit der königlichen Linie abstimmte. Vielleicht gerade weil Ludwig XIII. um seine nicht überragenden administrativen und strategischen Fähigkeiten wusste, wollte er dennoch immer den Eindruck erwecken, das Heft des Handelns in der Hand zu halten.

Der erste Minister

1616 war Armand in den „Conseil du Roi“, den engeren Rat, berufen worden, war damit Minister. Das verdankte er aber noch der nach der Ermordung Heinrichs IV. als Regentin amtierenden Maria von Medici. Nachdem der junge Ludwig dann der Mutter die Herrschaft abgetrotzt hatte, verloren zunächst alle deren Günstlinge, darunter auch Richelieu, ihre Ämter.

Erst 1619 durfte er wieder aus dem Exil zurück an den Hof, brachte eine, freilich fragile, Aussöhnung zwischen Maria und Ludwig XIII. zustande, wofür er 1624 mit dem Amt des Ersten Ministers belohnt wurde, das er bis zu seinem Tod 1642 ausüben sollte, stets ängstlich darauf bedacht, nach außen hin den König als den eigentlich Handelnden erscheinen zu lassen. Immer wieder gab es Verzögerungen, Rückschläge, zunehmend auch Intrigen gegen den Kirchenmann bis hin zum Mordkomplott, die Klaus Malettke ausführlich nachzeichnet.

Taktieren gegen Spanien

Mit Raffinesse verschob er unmerklich seine Loyalität von der Königinmutter, die nicht aufhörte, gegen ihren Sohn zu agieren, auf Ludwig XIII., der nach anfänglichem Misstrauen bereit war, mit Richelieu zu arbeiten. Außenpolitisch sah der Minister die Hauptgefahr in einer habsburgisch dominierten Umklammerung Frankreichs durch Spanien und Österreich. Hiergegen galt es vorzugehen; dies ist der Grund für sein Taktieren mit den protestantischen Staaten im Reich und mit Schweden. Der Autor:

„Bei Richelieus Bündnispolitik gegenüber protestantischen Mächten spielte seine Überzeugung eine zentrale Rolle, dass es nach wie vor Ziel der spanischen Politik sei, auf der gesamthabsburgischen Basis in Europa eine Universalmonarchie zu etablieren.“

Doch ging diese Politik nicht mit Sympathie gegenüber der neuen Konfession einher. Das Ziel blieb die Wiederherstellung der Glaubenseinheit. „Dies sollte aber mit friedlichen Mitteln, durch katholische Missionierung und durch Überzeugungsarbeit geschehen.“

Endgültiger Bruch mit Maria von Medici

Das politisch aktive Hugenottentum in Frankreich war nach der Einnahme La Rochelles 1628 gebrochen. Die friedliche Ausübung des Glaubens blieb den calvinistisch geprägten Hugenotten erlaubt. 1630 lernte Richelieu den jungen Priester italienischer Herkunft Jules Mazarin kennen und schätzen, der damals Sekretär des päpstlichen Nuntius war und der ihm einmal nachfolgen sollte. Das gleiche Jahr brachte den endgültigen Bruch mit Maria von Medici, die nun bis zu ihrem Ende zur erbitterten Feindin des Kardinals wurde.

Ein Kampf mit vielen Winkelzügen

Malettke erzählt jedes, wirklich jedes Detail des an Winkelzügen reichen Kampfes, so dass der Leser sich fragt, wann der Minister eigentlich noch regiert hat. Doch legt dies Zeugnis dafür ab, wie in einer Hofgesellschaft agieren muss, wer Erfolg haben will: Nach allen Seiten wachsam, sich zu nichts verpflichtend und immer mit dem Messer von hinten rechnend.

Der Autor macht aber auch klar, dass selbst eine überragende politische Begabung wie Richelieu nicht ganz allein agieren und Erfolg haben konnte. Man siegte oder verlor immer gemeinsam mit der Gruppe der treu ergebenen Diener – zu denen dann bald auch Mazarin gehörte – und für die das wenig charmante Wort „Kreaturen“ üblich war. Sieger des Spieles wurde, wer mit dem richtigen Team arbeitete und am Ende den längeren Atem hatte.

Auch die Tricks des Gewerbes stellt der Autor vor, so die „dissimulatio“ genannte taktischer Verhüllung, für die das Wort Verstellung natürlich ein viel zu grober Begriff wäre. Ein vom Autor zitierter politischer Theoretiker der damaligen Zeit, Torquato Accetto, trifft es besser,wenn er festhält, man ließ „die Wahrheit eine Weile ruhen, um sie bei passender Gelegenheit zu präsentieren“.

Richelieu sei „Staatskatholik“ gewesen

Philippe de Champaigne – Kardinal de Richelieu (1637)
Foto: Wikicommons | Armand-Jean du Plessis, Duc und Kardinal de Richelieu (1585-1642), im Auftrag des Saint-Esprit. Er wurde 1622 Kardinal und Chefminister von Frankreich.

Doch beharrt Klaus Malettke darauf, dass dem Kardinal Gewissenszweifel und Anfechtungen nicht fremd waren. Malettke möchte – darin im Einklang mit anderen neueren Autoren – nachweisen, „dass der Prinzipalminister in seine politische Entscheidungen viel stärker theologische und rechtliche Prinzipien hat einfließen lassen, als man es lange Zeit wahrhaben wollte“. Richelieu sei „Staatskatholik“ gewesen, die Religionspolitik (und das war die eigentliche Politik im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges) habe für ihn instrumentellen Charakter gehabt, so dass der Staat an erster Stelle der Überlegung stand:

„Dabei bildet die katholische Religion nach wie vor das Fundament des Staates, aber die Wahrung der religiösen Einheit ist für ihn nicht nur das Gebot des Glaubens, sondern auch des Staatsinteresses.“

Einblick in ein ganzes Zeitalter

Diese mit staunenswertem Fleiß erstellte Biographie stellt nicht nur den Menschen, sondern ein ganzes Zeitalter vor Augen. Es ist ein Denkmal deutschen Gelehrtenfleißes, bei dem weniger angenehm nur die immer wiederkehrende Wendung auffällt, hierüber sei jetzt nicht zu sprechen oder darüber werde noch zu sprechen sein. Doch mindert das nicht die Verdienste des Bandes, der nun für lange Zeit das Standardwerk sein dürfte.

Klaus Malettke: Richelieu – Ein Leben im Dienste des Königs und Frankreichs.
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2018, 1 076 Seiten, ISBN 978-3-506-77735-5, EUR 128,–

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