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Metaphysik- Weltkongress geht zurück zur Wurzel

Kardinal Ouellet hält Eingangsstatement. Der Metaphysik-Weltkongress hebt die Rolle der Philosophie für den Dialog zwischen verschiedensten Disziplinen hervor.
Schleife an Museum Hegel-Haus
Foto: Sebastian Gollnow (dpa) | Ein Kreuz am Hegelmuseum. In Philosophie und anderen Fächern wird die Metaphysik wieder wichtig.

Zurzeit erleben wir eine Krise der Wahrheit durch Relativismus und Skeptizismus sowie durch den Transhumanismus“. Mit einem skeptischen Statement leitete Kardinal Marc Ouellet, Präfekt der römischen Bischofskongregation, den achten Metaphysik-Weltkongress, der kürzlich online stattfand, ein

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Christus findet den Metaphysiker

Der Metaphysik-Kongress wurde im Jahre 2000 von Fernando Rielo (1923-2004) ins Leben gerufen. Der spanische Philosoph gründete nicht nur das zu den „neuen Formen des geweihten Lebens“ gehörende „Institut Id von Christus dem Erlöser“ oder „Missionarinnen und Missionare Identes“ – wobei „Identes“ eine Wortneuschöpfung aus dem Imperativ „id“ des spanischen Verbs „ir“ („geht hin“) und der Endung des lateinischen Partizips „ens, entis“ ist. Rielo entwickelte außerdem ein metaphysisches Modell, die sogenannte „genetische Metaphysik“, die er 1988 in einer Schrift mit dem Titel „Zu einer neuen metaphysischen Konzeption des Seins“ zusammenfasste: „Das Studium der genetischen Metaphysik führt zu der Überzeugung, dass das Christentum in Christus den Metaphysiker findet, der den Menschen nicht nur erlöst, sondern ihn auch über die ontologische Verfassung seines Wesens belehrt.“

Rielos Denken wird an eigens geschaffenen Lehrstühlen an der Universität der Philippinen, an der Technischen Universität Loja in Ecuador, an der Päpstlichen Universität Salamanca, sowie von der Stiftung für Studien und Forschung „Fondazione Idente die Studi e di Ricerca“ in Rom und von der „Fernando-Rielo-Stiftung“ fortgeführt. Sie veranstalten den alle drei Jahre stattfindenden Metaphysik-Weltkongress.

Wahrheit ist keine Projektion

Die Wahrheit – so Kardinal Ouellet weiter – sei keine Projektion des menschlichen Denkens. In „Fides et Ratio“ (83) habe Johannes Paul II. darauf hingewiesen, dass eine Philosophie von metaphysischer Tragweite imstande sein müsse, „das empirisch Gegebene zu transzendieren, um bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu etwas Absolutem, Letztem und Grundlegendem zu gelangen“. Deshalb, so der Kardinal, „ist eine Metaphysik weiterhin notwendig, um zum Fundament zu kommen.“
Auf der Suche nach Wahrheit entdecke der Mensch einen Hinweis auf das Absolute; allerdings „kann die Metaphysik nicht reine Abstraktion bleiben. Sie braucht die Erfahrung und die ontologische Verpflichtung, die nur eine Mystik bieten kann, die ihrerseits eine metaphysische Grundlage braucht.

Lange Zeit galt eine Metaphysikkritik im Sinne Kants und seiner „Transzendentalphilosophie“, welche die Möglichkeit negierte, Erkenntnisse außerhalb der Grenzen der sinnlichen Erfahrung zu formulieren. Obwohl noch immer philosophische Ausrichtungen von der sprachanalytisch-empirischen Philosophie bis hin zu etwa dem Poststrukturalismus und dem Dekonstruktivismus das Mainstream bestimmen, scheint eine Renaissance der Metaphysik im Gang zu sein: Schon im April 2016 interviewte der Berliner „Tagesspiegel“ unter dem Motto „Die Metaphysik ist putzmunter“ einige Philosophie-Professoren an deutschen Universitäten.

„Erkennen ist nicht nur ein
physischer oder chemischer Prozess“

Renaissance der Metaphysik

Dominik Perler, Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie sagte: „Metaphysische Fragen stehen wieder im Vordergrund. Welche Struktur hat die Welt? Welche Dinge gibt es in der Welt? Und warum gibt es überhaupt Dinge? Diese uralten Probleme werden wieder erörtert. Niemand spricht mehr von einer ,sprachanalytischen Überwindung‘ der Metaphysik oder von einem ,postmetaphysischen Zeitalter‘“.

Zur Renaissance der Metaphysik trägt denn auch Rielos Denken bei, dessen Ansätze aus verschiedenen Blickwinkeln beim Metaphysik-Weltkongress beleuchtet wurde, insbesondere im Plenarvortrag des Vorsitzenden der „Idente-Schule“ José María López Sevillano mit dem Titel „Die ontologische Genetizität bei Fernando Rielo“. Bei Rielo meine „Genetizität“ Genetik im Hinblick auf den Ursprung; in diesem Sinne heiße das erste Buch der Bibel „Genesis“, weil es vom Ursprung der Welt und des Gottesvolkes handelte. Ontologische Genetizität trage dem Umstand Rechnung, dass das Biologische nicht ohne das Psychosomatische verstanden werden könne: „Erkennen ist nicht nur ein physischer oder chemischer Prozess“.

Pantheismus als Folge 

Einer Philosophie, die ohne Metaphysik auszukommen meine, stellt Rielo die Unterscheidung zwischen Erfahrungs- und experimentellen Wissenschaften entgegen: Beziehe sich das Experimentelle auf das Quantitative, so sei die Erfahrung viel breiter gefasst. López Sevillano: Liebe, Glaube, Gerechtigkeit, Freiheit ... seien „nicht Gegenstand experimenteller Wissenschaften, wohl aber der Erfahrungswissenschaften“.

Genetizität betreffe sowohl das Biologische, was zum Bereich der Biologie gehöre, als auch das Psychische (Ontologie) und das Spirituelle (Theologie). „Sie betrifft aber auch, was der Mensch frei schafft: Wissenschaft, Technik, Kunst, Sport ...“ Es könne deshalb von drei „Big Bang“ gesprochen werden, die jeweils im Ursprung der Materie, des Lebens und des Geistes stünden. „Wenn der Mensch das Biologische zum Absoluten erhebt, folgen daraus der Biologismus oder der Pantheismus.

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Leugnung eines Absoluten

Aber die Leugnung eines Absoluten außerhalb von sich selbst wendet sich letztlich gegen den Menschen, denn beispielsweise das Geheimnis des Gewissens kann nicht aus der Biologie oder der Psychologie heraus erklärt werden. Dafür ist ein transzendierendes Absolutes, Gott, notwendig.“ Dadurch werde die Welt als Schöpfung betrachtet, in der die Dreifaltigkeit anwesend sei. Mit Theologie und Mystik – die für Fernando Rielo eine große Bedeutung habe – hänge auch die „ontologische Genetizität“ zusammen: „Gott macht sich menschlich in Christus, vor allem am Kreuz. Dadurch wird aber auch der Mensch vergöttlicht.“ Deshalb sei der Mensch endlich, aber dem Unendlichen offen.

Als Bilanz bezeichnete der Erzbischof von Madrid, Carlos Kardinal Osoro Sierra, Rielos Metaphysik als „grundlegend christliche Metaphysik“. Der Kongress biete der Gesellschaft und der Kultur ein ausgezeichnetes Forum für einen Dialog zwischen sehr unterschiedlichen Fachrichtungen, „einen Dialog zwischen Menschen, die nach der letzten Grundlage für ihre jeweilige Wissenschaft suchen.“  Dem „technokratischen Paradigma“ zufolge seien Wissenschaft und Technik die einzige Möglichkeit, die Wirklichkeit zu verstehen und zu interpretieren. Der moderne Anthroprozentismus habe sich wiederum „so radikalisiert, dass er Gott völlig verdrängt hat und nur noch den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellt.“

Begegnung mit der Wahrheit

Der Mensch gebe sich indes nicht mit irgendeiner Antwort zufrieden: „Tief in seinem Herzen sehnt er sich nach dem Wesentlichen: dem Sinn seiner Existenz.“
Die Bedeutung des Metaphysik-Weltkongresses sieht Kardinal Osoro darin, dass er „durch Reflexion und Austausch zwischen Metaphysik und Wissenschaften Antworten zu geben“ suche, „um zur Wurzel und zum Fundament vorzudringen.“ Denn die „Begegnung mit der Wahrheit, mit der Realität dessen, was wir sind, ist ein Weg zur echten Befreiung“. Den Weg könne aber der Mensch nicht allein gehen. Dafür brauche er Gott.

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