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Wahlen im Schatten des Terrors

Der Krieg gegen den totalitären Islamismus wird zum entscheidenden Thema der Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Von Jürgen Liminski
Schüsse in Paris
Foto: dpa | Forensiker untersuchen auf dem Champs Elysees den Ort eines tödlichen Angriffs auf Polizisten, den die islamistische Terrormiliz IS inzwischen für sich reklamiert.

Der 23. April 2017 ist ein Datum für die Geschichtsbücher. An diesem Tag, morgen, wird sich entscheiden, wer in Frankreich in die Stichwahl um die Präsidentschaft kommt. Und man kann sagen: Der Terror wählt mit. Denn mit versuchten und vereitelten Attentaten sowie dem tödlichen Angriff auf den Champs Elysee, dem Herzstück in der globalen Touristenhauptstadt Paris, hat der islamistische Terror seine Stimme der Gewalt abgegeben. Sie wiegt schwer in der Urne. Es ist das Thema, das die Menschen bewegt und morgen sowie in der Stichwahl am folgenden 7. Mai das Schicksal Frankreichs entscheiden wird. Es ist Krieg und die Wähler wollen wissen, wer hingeht. Aber mit dieser Wahl entscheidet sich auch das Schicksal Europas für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte. Denn von den vier möglichen Kandidaten für die Stichwahl wollen zwei Frankreich aus dem Euro und sogar aus der EU herausführen. Es sind die beiden Extremisten der Kandidaten-Runde, die rechtsextreme Marine Le Pen und der linksextreme Jean Luc Melanchon. In diesen beiden Figuren bestätigt sich eine alte historische Weisheit: Extreme berühren sich. Und: Extreme führen politisch ins Chaos.

Nach den Umfragen hat nur Marine Le Pen heute realistische Aussichten, in die zweite Runde zu kommen. Ihre Popularität aber sinkt und liegt derzeit bei 21 Prozent. Es kann durchaus sein, dass sie vom Kandidaten der Konservativen, den Republikanern, Francois Fillon, überholt wird. Dann käme es zu einem Duell zwischen Fillon und dem früheren Wirtschaftsminister im Linkskabinett von Hollande, Emmanuel Macron. Nach den Umfragen hat Macron die besten Chancen. Er würde in der Stichwahl gegen alle anderen Mitbewerber gewinnen. Er ist der Favorit. Zumindest ist er der Liebling der meisten Medien und natürlich der linksliberalen Mehrheit der politischen Klasse.

Aber nicht die politische Klasse entscheidet, sondern der Souverän. Zwei Tage vor dem ersten Wahlgang waren noch mehr als zwanzig Prozent unentschieden. Auch nach der letzten großen Fernsehshow am Donnerstagabend in France 2 dürfte die Verwirrung eher gestiegen als beseitigt sein. Alle elf Kandidaten wurden je 15 Minuten lang interviewt und am Ende konnte jeder in zweieinhalb Minuten noch ein Schlusswort zu seiner Kampagne sprechen. Einige benutzten die Bühne, um Bilder in den Köpfen der Zuschauer zu verankern. Francois Asselineau etwa brachte einen Olivenzweig mit um zu sagen, dass Frankreich sich aus den Kriegsschauplätzen und auch aus Europa zurückziehen werde. Philipp Poitou, der sich selbst „Arbeiter und antikapitalistischer Kandidat“ nennt, brachte ein Fähnchen von Guyane mit, wo im Moment gestreikt wird. Nicolas Dupont-Aignan, einer der Souveränisten, der wie Le Pen und andere Frankreich wieder unabhängiger von Europa machen will, las einen Mailwechsel mit einem Pressezaren vor, in dem er sich über die Zensur beschwerte. Benoit Hamon, der offizielle Kandidat der Sozialistischen Partei, zeigte seine Gesundheitskarte, um zu demonstrieren, dass es um die Sozialen Dienste gehe. Sie alle haben de facto keine Chance, werden aber den anderen Kandidaten die womöglich entscheidenden Stimmen nehmen.

Während die Interviews liefen, wurde auf den Champs Elysee geschossen. Ein Polizist und ein Attentäter starben, drei weitere Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt. Diese Koinzidenz der Ereignisse, Attentat und politische Debatte, demonstrierte mehr als alle Worte, was die meisten Franzosen heute bedrückt: die innere Sicherheit. Auf diesem Gebiet aber ist der Favorit Macron schwach. Wie in vielen anderen Bereichen redet er viel und sagt wenig, zum Teil sogar Widersprüchliches. So behauptete er, dass es keine französische Kultur gebe, nur viele französische Kulturen, aber dass Frankreich unter seiner Führung kein multikulturelles Land sein werde. Oder dass die Gegner der „Ehe für alle“ von Hollande ungerecht behandelt worden seien, gleichzeitig hält er die Idee, dass von diesen Gegnern jemand Staatssekretär für Sport werden könnte, für eine „unerträgliche Radikalisierung“. Auch widersprach er, dass er einen seiner Verantwortlichen in der Bewegung entlassen habe, weil dieser Sympathien mit Islamisten gezeigt habe. Er habe ihn nicht entlassen, sondern nur von seinen Funktionen entfernt. Ansonsten ergeht er sich wortreich in Allgemeinplätzen wie „alle machen Fehler“, „irren ist menschlich“, „jeder muss seine Verantwortung wahrnehmen“. Macrons zentrales Thema der letzten Wochen, wenn es denn eines gibt, ist die Bildung. Deswegen wollte er zu dem Fernsehabend seine alte Grammatik mitbringen, habe aber wegen des Terrorangriffs in Paris darauf verzichtet. Über Bildung spricht er viel. Das sei fundamental für die Zukunft. In diesem Bereich will er Chancengleichheit schaffen, denn die „Gleichheit aller sei eine große Heuchelei“. Er plädiert für „lebenslange Bildung“, denn die Welt sei in permanenter Bewegung und Entwicklung. Solche Sätze begeistern und lassen gleichzeitig ratlos. Er selbst schien ratlos, als er in seinem Schlussplädoyer vor allem für ein starkes, neues, reformiertes Europa eintrat – ein Thema, das die Franzosen an diesem Abend herzlich wenig interessierte. Viel mehr dürfte Francois Fillon überzeugt haben, als er sowohl in dem Interview als auch in den Schlussworten den Kampf gegen den Terrorismus als „absolute Priorität“ der künftigen Regierung bezeichnete. Gleichzeitig zeigte er auf, wie dieser Kampf aussehen müsste: eine weltweite Mobilisierung gegen jene, die die große Mehrheit der Muslime als Geiseln nähmen. Das sei nicht nur der „Islamische Staat“, sondern auch Boko Haram, die Taliban und auch die Salafisten im eigenen Land. Moscheen sollten stärker überwacht werden, die Hassprediger sofort ausgewiesen, die Finanzströme vor allem aus Saudi-Arabien und vom Golf kontrolliert werden. Syrienkämpfer sollten nicht mehr zurückkehren dürfen, ihre französische Nationalität aberkannt werden. Zu der weltweiten Mobilisierung gehöre selbstverständlich die Kooperation mit Russland. Das Problem Assad könne im übrigen nur mit Russland gelöst werden. Fillon plädierte dafür, in diesem Moment des Terrorkrieges aus Solidarität mit den Sicherheitskräften die Kampagne abzubrechen, er selber werde die letzten Versammlungen nicht mehr wahrnehmen. Fillons Vorschläge wirken durchdacht. Er hat als einziger Kandidat dem Terror-Thema ein eigenes Buch gewidmet mit dem Titel: „Den totalitären Islam niederringen“.

Le Pen nutzte die Stunde, um die Regierung anzuklagen. Die Regierungen der letzten Jahrzehnte seien viel zu zaghaft gegen die Einwanderung und den islamischen Fundamentalismus vorgegangen. Auch die anderen Kandidaten gingen auf das Thema Terror und Sicherheit ein. Es ist das Thema Nummer eins und könnte diese Wahl entscheiden. Die wirtschafts-, finanz-, gesellschafts- und umweltpolitischen Themen sind in den Hintergrund gerückt. Noch nie stand eine Wahl in Frankreich so im Bann und im Schatten eines Themas.

Es ist schwierig, eine zuverlässige Prognose zu treffen. Auch wenn die Umfragen ein klares Trendbild abgeben, so sind Überraschungen möglich. Es kann sein, dass der Trendsieger Macron nur an dritter Stelle landet, nach Fillon und Le Pen. Damit wäre die Linke, die sich gern mit dem Islam verbrüdert, draußen. Fillon erinnerte die Journalistin, die ihn in dem Interview auf moralische Fragen und seine Vergangenheit festnageln wollte, dass nicht „der mediale Komplex“ diese Wahl bestimme, sondern das französische Volk. Er selber schaue nach vorn und rief dazu auf, in dieser Stunde vereint zu bleiben.

Fillons Erfahrung, seine Besonnenheit und sein Programm, vor allem die konkreten Maßnahmen gegen den Terror, könnten viele zögernde und unentschiedene Franzosen noch überzeugen. Schwerer als das Programm und die Umsicht des Kandidaten wiegt in dieser Situation aber wohl die Perspektive, dass nur er eine Mehrheit im Parlament zustande bringen kann. Le Pen dürfte kaum ein Dutzend Sitze in den Parlamentswahlen im Juni gewinnen, gegen das Parlament aber kann kein Präsident regieren. Macrons Bewegung wird über eine erweiterte Mitte mit Linksdrall nicht hinauskommen, seine Mehrheit wäre brüchig und labil, wenn sie überhaupt zustande käme. Schon jetzt streiten sich die sehr unterschiedlichen Strömungen in seinem Lager um die Ministerposten. Stabilität sieht anders aus. Ohne stabile Verhältnisse aber sind weder Reformen noch der Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus erfolgreich zu führen. Wenn die Franzosen dieses Argument ins Kalkül ziehen, bleibt ihnen eigentlich nur die Wahl des bürgerlichen Kandidaten Fillon. Deshalb ist dieser 23. April 2017 auch ein Test für die demokratische Reife des französischen Volkes.

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