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Urbi et orbi

Die Botschaft von Papst Franziskus im Wortlaut.
Papst Franziskus.
Foto: Andrew Medichini (AP) | Papst Franziskus. Foto: Andrew Medichini/AP/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |

In seiner Botschaft „Urbi et orbi“, gesprochen von der Mittelloggia der Vatikanischen Basilika, erinnert Papst Franziskus an das Schicksal der Kinder im Nahen Osten, in Syrien, im Irak, in Jemen und in Afrika, der Kinder von Arbeitslosen, der Kinder, die als Arbeitskräfte und Soldaten ausgebeutet und  ihrer Kindheit beraubt werden. Der Heilige Vater sprach von den Kriegsstürmen, die über die Welt hinwegfegen, von einem überholten Entwicklungskonzept und von der Notwendigkeit des Minderheitenschutzes in Myanmar. Er deutete auf die schwierige Lage in Korea, in Venezuela und in der Ukraine. Schließlich nahm Papst Franziskus die Flüchtlinge in den Blick, ganz besonders die unbegleiteten Minderjährigen unter den Zwangsmigranten. Die Ansprache im Wortlaut.

***


Liebe Brüder und Schwestern, frohe Weihnachten!


In Betlehem hat die Jungfrau Maria Jesus geboren. Nicht durch menschlichen Willen kommt er zur Welt, er ist vielmehr Geschenk der Liebe Gottes des Vaters, der »die Welt so sehr geliebt [hat], dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16).


Dieses Ereignis erneuert sich heute in der Kirche, die Pilgerin in der Zeit ist: Wieder erlebt der Glaube des christlichen Volkes in der Weihnachtsliturgie das Geheimnis des sich nahenden Gottes, der unser sterbliches Fleisch annimmt und klein und arm wird, um uns zu retten. Und dies erfüllt uns mit Ergriffenheit, weil die Zärtlichkeit unseres Vaters so groß ist.


Die Ersten, die den Glanz der Demut des Retters sahen, waren nach Maria und Joseph die Hirten von Betlehem. Sie erkannten das ihnen von den Engeln angekündigte Zeichen und beteten das Kind an. Diese schlichten, aber wachsamen Männer sind Vorbild für die Glaubenden zu allen Zeiten. Sie nehmen angesichts des Geheimnisses Jesu an seiner Armut nicht Anstoß, sondern vertrauen wie Maria auf das Wort Gottes und betrachten mit einfachen Augen seine Herrlichkeit. Vor dem Geheimnis des fleischgewordenen Wortes bekennen die Christen von überallher mit den Worten des Evangelisten Johannes: »Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit« (1,14).


Während heute Kriegsstürme über die Welt hinwegfegen und ein inzwischen überholtes Entwicklungskonzept weiterhin zum Niedergang des Menschen, des Sozialgefüges und der Umwelt führt, ruft uns Weihnachten zum Zeichen des Kindes zurück. Wir sollen es in den Gesichtern der Kinder wiedererkennen, besonders jener, für die wie für Jesus kein Platz in der Herberge ist (Lk 2,7).


Wir erblicken Jesus in den Kindern des Nahen Ostens, die aufgrund der Zuspitzung der Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern weiter leiden. An diesem Festtag flehen wir zum Herrn um Frieden für Jerusalem und für das ganze Heilige Land; wir beten, dass sich bei den Kontrahenten der Wille durchsetze, den Dialog wiederaufzunehmen, und dass man endlich zu einer Verhandlungslösung gelange, die innerhalb von miteinander vereinbarten und international anerkannten Grenzen eine friedliche Koexistenz zweier Staaten ermöglicht. Der Herr möge auch die Bemühungen derer unterstützen, die in der internationalen Gemeinschaft den guten Willen haben, jenem geplagten Land beizustehen, dass es trotz der schwerwiegenden Hindernisse zur langersehnten Eintracht, Gerechtigkeit und Sicherheit finde.


Wir erblicken Jesus in den Gesichtern der syrischen Kinder, die immer noch vom Krieg gezeichnet sind, der das Land in diesen Jahren mit Blut getränkt hat. Möge das geliebte Syrien endlich zur Achtung der Würde eines jeden Menschen zurückfinden, indem es in gemeinsamer Anstrengung das soziale Gefüge unabhängig von ethnischen oder religiösen Zugehörigkeiten wiederherstellt. Wir erblicken Jesus in den Kindern des Irak, der immer noch von den Feindseligkeiten der vergangenen fünfzehn Jahre verwundet und geteilt ist, und in den Kindern des Jemen, wo ein großenteils vergessener Konflikt mit tiefgreifenden humanitären Folgen für die Bevölkerung im Gange ist, die an Hunger leidet und mit der Ausbreitung von Krankheiten konfrontiert wird.


Wir erblicken Jesus in den Kindern Afrikas, vor allem in jenen, die im Südsudan leiden, in Somalia, in Burundi, in der Demokratischen Republik Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik und in Nigeria.


Wir erblicken Jesus in den Kindern der ganzen Welt, wo der Frieden und die Sicherheit von der Gefahr durch Spannungen und neue Konflikte bedroht werden. Wir beten, dass die Gegensätze auf der koreanischen Halbinsel überwunden werden können und das gegenseitige Vertrauen im Interesse der ganzen Welt wachse. Dem Jesuskind vertrauen wir Venezuela an, damit ein sachlicher Meinungsaustausch unter den verschiedenen sozialen Gruppen zugunsten des ganzen geliebten venezolanischen Volkes wiederaufgenommen werden kann. Wir erblicken Jesus in den Kindern, die zusammen mit ihren Familien unter den Gewaltakten des Konflikts in der Ukraine und seinen schwerwiegenden Auswirkungen leiden, und wir beten, dass der Herr diesem geschätzten Land baldmöglichst den Frieden gewähre.


Wir erblicken Jesus in den Kindern, deren Eltern arbeitslos sind und Mühe haben, ihren Kindern eine sichere und unbeschwerte Zukunft zu bieten. Und in denjenigen, denen die Kindheit geraubt wurde, weil sie von klein auf zur Arbeit verpflichtet oder von skrupellosen Milizionären als Soldaten gedungen wurden.


Wir erblicken Jesus in den vielen Kindern, die gezwungen sind, ihre Länder zu verlassen, alleine unter unmenschlichen Bedingungen zu reisen und so zur einfachen Beute der Menschenhändler werden. In Ihren Augen sehen wir das Drama vieler Zwangsmigranten, die sogar ihr Leben riskieren, um kräftezehrende Reisen auf sich zu nehmen, die zuweilen in Tragödien enden. Wieder erblicke ich Jesus in den Kindern, denen ich während meiner letzten Reise nach Myanmar und Bangladesch begegnet bin, und erhoffe mir, dass die internationale Gemeinschaft nicht aufhöre, sich dafür einzusetzen, dass die Würde der in der Region anwesenden Minderheiten angemessen geschützt werde. Den Schmerz, nicht aufgenommen zu werden, und die Mühsal, keinen Ort zu haben, an dem man sein Haupt hinlegen kann, kennt Jesus gut. Unser Herz möge nicht verschlossen sein, wie es die Häuser von Betlehem waren.


Liebe Brüder und Schwestern,
auch wir werden auf das Zeichen von Weihnachten hingewiesen: »ein Kind, das in Windeln gewickelt [ist]…« (Lk 2,12). Nehmen wir wie die Jungfrau Maria und der heilige Josef, wie die Hirten von Betlehem im Jesuskind die für uns menschgewordene Liebe Gottes auf und setzen wir uns mit seiner Gnade dafür ein, unsere Welt menschlicher und würdiger für die Kinder von heute und morgen zu gestalten.


Von Herzen richte ich meine Segenswünsche an euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr aus allen Teilen der Welt auf diesen Platz gekommen seid, und an euch alle, die ihr aus verschiedenen Ländern über Radio, Fernsehen und die anderen Kommunikationsmittel mit uns verbunden seid.


Die Geburt Christi, des Retters, erneuere die Herzen, erwecke die Sehnsucht nach einer geschwisterlicheren und solidarischeren Zukunft und bringe allen Freude und Hoffnung. Frohe Weihnachten!

vatican.va / jbj

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