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Vaterunser: Mit der Bibel in die Übersetzungsfalle

Was das Vaterunser mit „Versuchung“ meint und warum eine Neuübersetzung der Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ angebracht wäre. Von Klaus Berger
Mosaik aus dem Markusdom in Venedig.
Foto: IN

Ich bin mit Papst Franziskus der Meinung, die in diesen Tagen vieldiskutierte Vaterunser-Bitte müsse übersetzt werden: Und lass uns nicht in Versuchung geraten.

Die traditionelle deutsche Übersetzung führt zu Zweifel und Ungewissheit

Ich finde es naiv zu behaupten, die traditionelle deutsche Übersetzung „Und führe uns nicht in Versuchung“ sei noch immer genau das, was Jesus gemeint habe, weil sie wörtlich sei, und sie dürfe deswegen, weil sie die gewohnte Übersetzung ist, nicht geändert werden. Blickt man denn gar nicht darauf, was Menschen heute mit dieser Bitte assoziieren? Hat noch niemand gemerkt, dass die traditionelle deutsche Übersetzung viele in Zweifel und Ungewissheit führt, weil sie mit ihrem Gottesbild nicht mehr zurechtkommen?

Vor allem haben sich die Assoziationen geändert, seitdem Luther 1525 den Text so übersetzte. Denn in Versuchung führen heißt heute: an niedere Triebe appellieren, zur Übertretung der Gebote verlocken, mit falschen Versprechungen verführen wollen. In Versuchung führen heißt heute: verführen wollen, zum Kippen bringen wollen. Genau in diesem Sinne sagt der Jakobusbrief 1, 13 Gott versucht keinen. Das steht in klarem Widerspruch wenigstens zu dem, was die Menschen bei der traditionellen deutschen Wiedergabe der Vaterunser-Bitte assoziieren. nämlich: Als könnte Gott doch; aber er müsse eben vor sich selbst sozusagen gewarnt werden.

Und Jakobus sagt dann, dass wir bei Versuchungen immer wieder über die eigene Schwäche stolpern, aber eben Gott dafür nicht verantwortlich machen dürfen. Nein, Gott versucht nicht, und wenn die Versuchungsberichte der Evangelien sagen, dass der Teufel in Versuchung führe, dann meinen sie zweifellos, dass zu einer Versuchung, in die man hineinfällt, immer zwei gehören: der schwache Mensch und eine rätselhafte, zur Sucht führende Macht von außen.

Die falschen Schlüsse

Alles Pochen auf eine wörtliche Übersetzung hilft gar nichts, wenn normale Menschen daraus die falschen Schlüsse ziehen. Denn der griechische Wortlaut des Vaterunsers heißt allerdings nicht: versuche uns nicht. So verstehen es aber fast alle. Aber das passt eben nicht zum Gottesbild. Versuchen will uns der Teufel. Aber in Versuchung führen ist etwas anderes als versuchen. Der griechische Text ist eindeutig: Führe uns nicht in Versuchung. Und das tut Gott sehr wohl und er könnte es tun. Denn nach Markus 1, 12 tut Gott mit Jesus eben das, was er mit den betenden Jüngern nicht tun soll. Denn der Heilige Geist trieb Jesus in die Wüste, und dort wurde er vom Teufel versucht. Er hat Jesus nicht versucht, aber in die Versuchung geführt.

Also erstens: Gott versucht nicht, zweitens: Er könnte nur in Versuchung führen – die dann der Teufel vollzieht; dass er das nicht tut, soll das Vaterunser erbitten –, drittens: Das passt genau zu der folgenden Bitte: Erlöse uns von dem Bösen, denn das heißt: Befreie uns von dem Teufel, statt uns ihm begegnen zu lassen.

Im Vaterunser bringt Jesus im Übrigen den Jüngern bei, wie sie beten sollen. Es geht um sie und um ihre Situation.

Jesus und das Vaterunser

Jesus hat das Vaterunser nicht mit den Jüngern zusammen gebetet, diese Annahme würde schon bei der Vergebungsbitte in neue Absurditäten führen. Denn Jesus, der ohne Sünde ist, kann nicht um Vergebung seiner Schuld bitten. Für die Versuchungsbitte heißt das: Jesus bittet nicht, der Vater im Himmel solle mit ihm das nicht wieder tun, was er in der Versuchungsgeschichte mit ihm getan habe. Sondern es geht um die Jünger. Das Vaterunser betont durchweg die Hilfsbedürftigkeit und Schwäche der Menschen, von der Brotbitte bis hin zur Vergebungsbitte. Und da passt die Bitte um Verschonung von Testsituationen gut hinein.

So beten wir: Mute uns das nicht zu, was nur Jesus siegreich überstehen konnte. Er ist auf einzigartige Weise dein geliebter Sohn, voll des Heiligen Geistes; so konnte er nach seiner Taufe dem bösen teuflischen Geist widerstehen. Wir aber sind schwache, sündige Menschen, schwache Lichter. Verschone uns, Herr. Verschone uns vor Situationen, denen wir nicht gewachsen sind. Nimm dieses als unser demütiges Eingeständnis. Die Rolle stolzer Glaubenskrieger können wir nicht wahrnehmen.

Wir sehen es im vierzehnten Kapitel des Markusevangeliums, bei der Versuchung in Gethsemane an den Jüngern, die noch nicht einmal in der Lage waren, mit Jesus wach zu bleiben. Der Wille Gottes, der nach Jesu Gebet geschehen soll (Markus 14, 36), ist übrigens nicht auf das Versuchen-wollen Gottes bezogen, sondern Wille Gottes ist, dass Jesus standhaft und geduldig bleibt.

Vielfach verwechseln wir Prüfung und Bewährung mit Versuchung

Vielfach verwechseln wir auch Prüfung und Bewährung mit Versuchung. Prüfen will und wird uns Gott sehr wohl. Und die Bewährungsproben bleiben uns nicht erspart. Aber deren Sinn ist doch nicht teuflisch, etwa in dem Sinne, dass Gott uns zum Abfallen verlocken möchte. Denn es gilt der Satz: Je nach der Größe und Verantwortung eines Amtes oder einer Rolle in der Heilsgeschichte oder in der Kirche richtet sich auch das, was Gott an Standfestigkeit und Treue von uns erwartet.

Bei Abraham und Jesus können wir das sehen. Im Alten Testament heißt es: Gott versuchte Abraham (Genesis 22, 1). Doch das hebräische Verb heißt an dieser Stelle erproben, auf die Probe stellen, prüfen. nicht aber: heimtückisch, listig und mit dem Ziel des Absturzes in die Irre leiten. Wenn die Seelsorge von Prüfungen spricht, dann meint sie so etwas. Wir kennen das auch von Führerscheinprüfung, Abiturprüfung und ähnlichem. Prüfungen müssen sein, sie gehören zu jedem Beruf.

Der Unterschied zwischen Versuchung und Prüfung

Was ist denn der Unterschied zwischen Versuchung – durch den Teufel – und Prüfung? Der Unterschied liegt in dem Verheißungs-Element. Als der Teufel Adam versucht, sagt er: Ihr werdet sein wie Gott. Das ist auf schlechte Weise utopisch. Anders bei der Prüfung: Sie kann nötig sein, um qualifiziert weiterzuleben – wie bei der Abiturprüfung – oder seiner Berufung gerecht zu werden. Sie hat eine Zukunft, die Versuchung nicht.

Es kann geschehen, dass einer mehr geprüft wird, wenn Gott mehr mit ihm vorhat. Beim Vaterunser geht es darum nicht. Denn wir wollen uns ja bewähren. Aber dem Teufel oder der Kreuzigung leibhaftig ausgeliefert sein wie es Jesus geschah, – da bitten wir um Schonung. Denn so glaubwürdig wie Abraham oder Jesus sind wir nicht. Daher: Lass uns nicht in Versuchung geraten.

Die Fragen nach dem Warum

Man kann in diesem Zusammenhang fragen: Wie konnte Gott überhaupt einen Versucher erschaffen? Warum beseitigt er nicht einfach das Böse? Denn er ist doch allwissend und allmächtig! Ist nicht jedes Gebot Gottes eine Falle? Zum Beispiel bei Adam und Eva? Ist nicht Gottes Forderung an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern, eine Versuchung? Und wie kam Gott auf den Gedanken, Jesus versuchen zu lassen? Und wie konnte er dann das tun, was Abraham denn doch nicht tun sollte, nämlich seinen Sohn opfern? –

Vergessen wir nicht: Diese Fragen sind stets eine Festung des Atheismus gewesen. Diesen Fragen ist eines gemeinsam: Sie fragen nach dem Warum. Also warum hat Gott die Katzen ohne die Fähigkeit erschaffen, schwimmen zu können? Warum hat Gott Mann und Frau, also den Menschen zweigeschlechtlich erschaffen, wo es doch so viel Untreue, Ehebruch und Scheidungen gibt? Sollte sich der Mensch nicht lieber durch Ableger oder Stecklinge vermehren wie manche Pflanzen?

Auf keine der oben gestellten Fragen gibt die Bibel eine Antwort. Man kann auf jede dieser Fragen antworten: Wir wissen es nicht, und vielleicht ist es auch gar nicht interessant. Einen vermeintlichen Stützpunkt haben alle diese Frager in dem Ruf Jesu am Kreuz: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Aber das ist falsch übersetzt: Denn das Aramäische heißt auf Deutsch: Wozu hast du mich verlassen? Und eben darauf gibt dann die Ostergeschichte eine Antwort: um mit der Auferstehung Jesu die Neue Schöpfung zu beginnen. Gerade die Deutschen fragen seit tausend Jahren immer nach dem Warum oder: Wie konnte Gott das zulassen? Bei der Sünde Adams hat schon Augustinus geantwortet: O glückliche Schuld, die uns einen so herrlichen Erlöser eingebracht hat!

Oder wenn man fragt: Warum wurden wir aus Schlesien vertrieben? Antwort im Sinne der Bibel: um etwas Neues beginnen zu können, das dann größer und schöner wurde als das Verlorene. Oder: Nicht fragen Warum verliert ein Mädchen ihren Freund? Sie sollte fragen: Wozu? Sonst könnte sie nicht jetzt nach einem Neuanfang glücklich sein.

Die Bibel denkt immer adventlich, nämlich vom Ende her, von der Hoffnung und vom Ziel her. Alles Wühlen in der Vergangenheit bringt jedenfalls nicht weiter. Die christliche Weise, mit der Vergangenheit fertig zu werden ist nicht: „Wie konnte Gott das zulassen“, sondern ist Beichte und Vergebung.

Warum also lässt Gott Jesus versuchen? Er müsste doch Bescheid wissen über Jesus! Antwort: Damit alle Leser des Evangeliums hinfort wissen, dass Jesus waschechter Sohn Gottes ist und vom Teufel nicht abhängig. Und auch die Versuchung Jesu durch den Teufel lebt von utopischen, raffiniert falschen Vorspiegelungen. Sie konnten keine Zukunft haben.

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