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Hilfe für die Christen der Ninive-Ebene

In Österreich bündelten mehrere kirchliche Organisationen ihre Kräfte und starteten eine Hilfsaktion für ein christliches Dorf im Norden des Irak
Foto: Georg Pulling | Der chaldäische Patriarch Sako (Mitte) besuchte vor wenigen Wochen zusammen mit dem Linzer Bischof Manfred Scheuer und dem Pressesprecher von Pro Oriente, Erich Leitenberger (ganz links), die befreiten Gebiete in der ...

Wien/Erbil (DT/sb/KAP) In der nordirakischen Ninive-Ebene soll mit Hilfe aus Österreich ein vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zerstörtes Dorf wieder aufgebaut werden, damit die einstigen Bewohner zurückkehren können. Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV), Christian Solidarity International (CSI), das internationale Hilfswerk Kirche in Not, die Initiative Christlicher Orient (ICO) sowie die Kardinal König Stiftung haben dazu die „Aktion Heimkehr“ gestartet. „Wir dürfen die Christen im Irak nicht im Stich lassen“, appellierte der Linzer Bischof Manfred Scheuer bei einer Pressekonferenz am Montag in Wien an die Öffentlichkeit.

Konkret geht es den heimischen Hilfsorganisationen um das Dorf Baqofa, das rund 25 Kilometer nördlich von Mossul liegt. Die Infrastruktur – vor allem Elektrizität und Wasser – wurde vom IS völlig zerstört, die Häuser wurden restlos geplündert und sind zum Teil auch völlig ausgebrannt oder demoliert. Die bereits zurückgekehrten Familien hätten nicht genug zu essen und benötigen Nahrungsmittelhilfe, hieß es bei der Pressekonferenz. Im Ort herrsche großer Wassermangel. Das Wasser müsse mit Tankwägen in den Ort gebracht werden und sei verschmutzt. Um die Wasserversorgung sicherzustellen, müsste ein neuer Brunnen gegraben werden. Auch die vorhandenen Wasserpumpen seien defekt.

Die Rückkehrer seien aber entschlossen, von Neuem zu beginnen und ihren christlichen Glauben, ihre Kultur und ihre Sprache weiter vor Ort zu pflegen. „Dabei wollen wir sie unterstützen“, so Bischof Scheuer. Der oberösterreichische Bischof erinnerte daran, dass es der Wunsch des chaldäisch-katholischen Patriarchen Louis Raphael Sako gewesen sei, „dass einzelne Staaten, Kirchen oder Organisationen Verantwortung für den Wiederaufbau bestimmter Dörfer übernehmen“. Zunächst hätten viele vertriebene Christen gezögert, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, doch sei mittlerweile „die Entschlossenheit gewachsen“.

Als Zeugen für Christus im Land bleiben

In Baqofa lebten vor der Vertreibung durch den IS knapp hundert christliche Familien. Bisher sind rund dreißig von ihnen zurückgekehrt. Die Verantwortlichen rechnen damit, dass weitere Familien über den Sommer zurückkehren. Mittelfristig könnte etwa die Hälfte der einstigen Bevölkerung wieder zurückkommen. Der Nationaldirektor von Kirche in Not, Herbert Rechberger, erklärte gegenüber der „Tagespost“, in der ganzen Ninive-Ebene seien 363 kirchliche Gebäude vom IS angegriffen worden und bedürften der Wiederherstellung. „34 Gebäude sind vollständig zerstört worden, 132 sind den Flammen zum Opfer gefallen, 197 sind teilweise zerstört. Allein in Teleskuf sind 1 104 Privathäuser und 21 kirchliche Gebäude vom IS beschädigt worden. Die Hilfe von Kirche in Not wird sich vorerst darauf beschränken, Gebäude für die Menschen und kirchliche Einrichtungen wieder aufzubauen.“

Bei der Pressekonferenz am Montag hatte Rechberger auf derzeit noch rund 95 000 registrierte Flüchtlinge aus der Ninive-Ebene hingewiesen, von denen möglichst vielen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werden sollte. Laut einer aktuellen Bestandsaufnahme wurden in der Ninive-Ebene vom IS rund 13 000 Häuser zerstört.

Der syrisch-katholische Bischof, der chaldäisch-katholische Bischof und zwei syrisch-orthodoxe Bischöfe unterzeichneten eine Vereinbarung in Erbil, in den kurdischen Autonomiegebieten des Nord-Irak, um den Christen zu helfen, deren Häuser 2014 vom IS zerstört wurden, so Rechberger: „Die Idee kann nicht mehr nur als bloßer Traum abgetan werden. Die Hoffnung tausender irakischer Christen, die vor drei Jahren durch die kriminellen Überfälle des IS vertrieben wurden, dass sie eines Tages in der Lage sein werden, in ihre Häuser in den Ninive-Ebenen zurückzukehren, hängt davon ab.“

Der syrisch-orthodoxe Metropolit Nicodemus Daoud Matti Sharaf von Mosul, Kirkuk und Kurdistan richtete einen Appell an alle internationalen Wohltäter: „Wir sind die Wurzeln der Christenheit. Wir müssen in unserem Land bleiben. Wir müssen als Zeugen für Jesus Christus in diesem Land, im Irak und vor allem in der Ninive-Ebene bleiben. Die Aufgabe des Wiederaufbaus aller Häuser in den Dörfern, in denen IS alles zerstört hat, ist wirklich eine enorme Herausforderung.“

Eine im März durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass 41 Prozent der christlichen Familien definitiv in ihre Häuser in der Ninive-Ebene zurückkehren wollen, die sie 2014 während der IS-Invasion verlassen mussten. Weitere 46 Prozent der Familien ziehen eine Rückkehr ernsthaft in Erwägung. Im Gegensatz dazu waren im November 2016 nur 3,3 Prozent der befragten Familien dazu bereit, in ihre Dörfer zurückzukehren.

„Wir sind gefordert, bei diesem Thema Farbe zu bekennen und Solidarität nicht nur durch Gebete und Worte, sondern auch durch Taten und konkrete Hilfe vor Ort zu leisten“, sagte AKV-Präsident Helmut Kukacka. Den Christen in den Herkunftsländern des Christentums eine neue Lebensperspektive zu bieten, sei für Christen auch eine moralische Verpflichtung. Er rief die politisch Verantwortlichen in Österreich auf, sich dieses Anliegen zu eigen zu machen. Kukacka, früher ÖVP-Staatssekretär, appellierte an die Bundesregierung, sich verstärkt für die Christen im Irak einzusetzen und sie bei der Rückkehr zu unterstützen, „indem sie etwa unsere aufgebrachten Spenden ergänzen oder verdoppeln“.

Die Hilfsaktion sei als ein großes Statement „Yes, we can!“ gedacht, so CSI-Generalsekretär Elmar Kuhn. Durch die lokalen Partner vor Ort würden die Spenden direkt bei den Leuten ankommen, oft bei jenen, die sonst von nirgendwoher Hilfe erhalten würden. „Die Rückkehrer im Irak und wir hier in Österreich wollen ein Zeichen setzen, dass der IS nicht das letzte Wort hat.“

Gegenüber der „Tagespost“ erklärte CSI-Sprecherin Pia de Simony, die selbst zuletzt im Februar im Irak war, das größte psychologische Problem für rückkehrwillige Christen sei, das erschütterte Vertrauen zu ihren muslimischen Nachbarn wiederherzustellen. „Erst sind sie im Sommer 2014 nach der brutalen Vertreibung durch den IS aus ihren Heimatstädten verjagt worden, dann kam jetzt, nach der Befreiung ihrer Dörfer, der zweite Schock: die meisten Muslime, mit denen sie davor friedlich in denselben Häusern gelebt hätten, hatten in der Zwischenzeit die Seite gewechselt, ihre Wohnungen komplett ausgeraubt und alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Das Misstrauen sitzt jetzt tief.“

CSI-Generalsekretär Elmar Kuhn ergänzt: „Nach den furchtbaren Erfahrungen, dass aus Freunden und Nachbarn über Nacht Plünderer oder gar hasserfüllte Mörder geworden sind, ist eine sinnvolle Aufarbeitung zunächst nicht möglich. Wir kennen die nötigen Prozesse aus den Ereignissen in Ruanda, wobei die Schwierigkeit im Irak darin besteht, dass die plündernden und mordenden Nachbarn dies nicht aus ethnischen, sondern aus Gründen religiöser Offenbarung im Verständnis des IS getan haben. Damit gibt es keine Instanz, die das relativieren könnte.“

Kuhn rät zu einer „Doppelstrategie: erstens ein Leben als christliche Gemeinschaft in einem christlichen Dorf ohne Muslime als Nachbarn. Zweitens, nach der Erfahrung, dass der Friede hält, Versöhnungsprogramme zwischen Muslimen und Christen, aber zunächst glaubhafte Schulungen auf Seiten der Moscheen und durch die Imame, dass die IS-Auslegung des Koran dem Koran zuwidergelaufen ist. Wenn das möglich wird, wäre damit auch eine islamische Theologie im Entstehen, wie wir sie in Europa so sehnsüchtig erhoffen“. Versöhnung sei wohl zunächst „nur im kurdisch dominierten und von Peschmergas gesicherten Bereich möglich“, so Kuhn zur „Tagespost“.

ICO-Obmann Slawomir Dadas unterstrich bei der Pressekonferenz in Wien, dass die einzelnen Hilfsorganisationen zwar relativ klein seien, dafür aber über langjährige Erfahrungen in der Region verfügen und „ganz nah dran“ vor Ort seien. „Wir hören vor allem auch den Menschen zu, welche Hilfe sie tatsächlich brauchen“, so Dadas. Auch wenn die NGOs nicht allen helfen könnten, mache dies für jene Menschen, die erreicht werden, einen großen Unterschied aus.

Christian Solidarity International (CSI) wird sich in Baqofa vor allem um der Wasserversorgung annehmen, die Initiative Christlicher Orient (ICO) wird sich um die Erneuerung der Elektrizität, auch in den einzelnen Wohnhäusern, bemühen und „Kirche in Not“ wird den Schwerpunkt auf die weitere Renovierung von Wohnhäusern legen. Die AKV unterstützt alle drei Vorhaben gleichermaßen. Die Kardinal-König-Stiftung wird sich der Renovierung der Kirche in Baqofa annehmen und sich an einem kleinen Neubau beteiligen. Bischof Scheuer hat in seiner Funktion als Präsident der Kardinal-König-Stiftung vor kurzem die Region besucht und und damit den Anstoß zur Hilfsaktion geliefert.

Ein entscheidendes Kriterium sind Schulen für Kinder

Im März wurde von den drei christlichen Hauptkirchen der Region – beteiligt waren die syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische und chaldäisch-katholische Kirche –, von Experten und von „Kirche in Not“ ein sogenannter „Ninive-Wiederaufbau-Ausschuss“ (Niniveh Reconstruction Committee, NRC) gegründet. Die Gesamtkosten des Wiederaufbaus belaufen sich laut Angaben des NRC auf mehr als 250 Millionen Dollar. 13 000 Privathäuser müssten in neun christlichen Dörfern beziehungsweise Städten wiederhergestellt werden. Entscheidend für die Rückkehr ist freilich die Sicherheit und zum anderen, ob es für die Kinder ab Herbst 2017 dann auch die Möglichkeit zu einem Schulbesuch gibt.

Bereits 2016 haben die AKV, ICO, CSI und „Kirche in Not“ eine ähnliche gemeinsame Hilfsaktion für Menschen in Not in Syrien und im Irak durchgeführt. Mit den erzielten 65 000 Euro konnten etwa notleidende Familien in Aleppo, Studenten in Qamishli in Nordsyrien und Kinder und Jugendliche im nordirakischen Kurdistan erreicht werden.

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27.03.2024, 11 Uhr
Regina Einig