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Eine Seele, die man sehen möchte

Léon Bloy sieht im Leben Marie Antoinettes von ihrer Geburt bis zum Tod das Wirken der Transzendenz in der Geschichte. Von Alexander Riebel
Foto: Karolinger | „Schöner als die Bußsymbolik eines Albrecht Dürer“ (Bloy): Umschlagbild des Bandes von Martin van Meytens, 1768.

Auch wenn heute Marie Antoinette, die letzte Königin Frankreichs, wie Sissi oder Lady Diana, zu den „Königinnen der Herzen“ gehört, war das nicht immer so. Aber der französische Schriftsteller Léon Bloy hat sie als eine ganz Große für sich entdeckt, als er im Alter von 31 Jahren 1877 „Marie Antoinette – Ritterin des Todes“ schrieb. Er konnte damit dem lange vorherrschenden negativen Bild widersprechen, dass die Französische Revolution von der Monarchin gezeichnet hat. In zuweilen elegischem Ton zeigt er die Größe dieser Frau, die, wenn sie auch nicht heilig gewesen sei, so doch die Löwin, die dem Volk geopfert wurde: „Marie Antoinette, diese blonde Ritterin des Todes, der viel furchtbarer ist und auch viel schöner als die Bußsymbolik eines Albrecht Dürer, Marie Antoinette, die Erzherzogin des Heiligen Reiches der Sieben Schmerzen, kam auf die Welt in der Trauer jener Tage und stürzte sich von der Mutterbrust hinab in die düsteren Wickeltücher ihres Schicksals.“

Die „Trauer jener Tage“ war das Schicksal ihrer Geburt, einen Tag nach dem Erdbeben nach Lissabon auf die Welt gekommen zu sein. Für Bloy ist so etwas kein Zufall, sondern Zeichen. Hier verschmelzen Theologie und christliche Geschichtsschreibung – Bloy sieht die Hand Gottes unmittelbar in die Geschichte eingreifen, anders wäre Geschichte eine Sammlung willkürlich aufgezählter Fakten. Von solch einer Sicht ist aber Bloy weit entfernt, wie der Herausgeber und Übersetzer des Buchs, Alexander Pschera, in seinem Nachwort hervorhebt: „Herrschaftsfiguren waren für ihn Präfigurationen der Wiederkehr Christi, symbolische Gestalten, denen seit dem Ausgang des Mittelalters vor allem die Rolle zukommt, den Zerfall der göttlichen Ordnung auf Erden und die Dekadenz des Gehorsams als dessen notwendiger Voraussetzung zu veranschaulichen.“ Zu diesem Niedergang der Ordnung gehörte nach Bloy auch, dass nun nicht mehr „Königinnen von Königinnen enthauptet würden, aber noch nie hat man es erlebt, dass eine Königin vom Pöbel, von dieser flegelhaften Majestät der heutigen Zeit, rechtmäßig enthauptet wurde“, schreibt Bloy und fügt hinzu: „Bei einem solchen Urteil der Rechtsprechung durfte die Abschaffung Gottes nicht fehlen.“ Für das Endzeitliche der Hinrichtung findet der Autor scharfe Worte – Marie Antoinette habe es wie der heilige Dionysos gemacht: Sie habe ihren abgeschlagenen Kopf genommen, um allein weiterzuregieren – bis Europa ganz untergegangen ist. Um das zu erkennen, müsse man Christ sein, wie Bloy meint.

Bloys geschichtsmetaphysischer Ansatz war ohne Vorbild, und so tritt er den Historikern der Revolution entgegen, die Marie Antoinette den Tod auf der Guillotine verziehen haben und nun mitfühlen durften – „als Dank dafür, dass sie ein Wasserglas auf die durstige Zunge der Idioten ausgegossen hat, indem sie nicht eine dieser Heiligen wurde, die die römische Kirche ehrt und nach ihrem Tod auf ihren Altar stellt“. So spricht Bloy immer wieder voller Verachtung für die, die nicht verstehen, die bäuchlings im Dreck vor Gott liegen, aber nur in der Hoffnung, dass er vorüber gehe, ohne sie zu berühren. Wie, wenn Bloy heute schreiben würde, wie würde er formulieren? „Das 18. Jahrhundert hegte einen wütenden Hass gegen Heldentum, einen Hass, die die Hassgefühle des 19. Jahrhunderts wie Liebe erscheinen lässt.“ Über den Hass des heutigen Mainstreams gegen die Verteidiger alter europäischer Traditionen hätte er sicher auch einiges zu sagen.

Die Schrift von Bloy ist einzigartig in ihrer Thematik, denn weder die französische Literatur noch die anderer Länder haben die Leiden der Königin – von ihrer Festnahme bis zum Gang zum Schafott – dargestellt, worauf Pschera in seinem sehr luziden Nachwort hinweist. Nach Pschera hätte der Titel auch lauten können „Die Seele Marie Antoinettes“, denn diese Seele zu zeigen, habe sich Bloy zugetraut, der schreibt: „Die Seele von Marie Antoinette aber, diese einzigartige und vielleicht wie keine zuvor verlassene Seele, die möchte man sehen, wenn jemand sie zeigen könnte.“

Der äußerst lesenswerte Essay über Marie Antoinette ist Teil einer Trilogie zusammen mit den Schriften „Der Misthaufen aus Lilien“ und „Der schwarze Prinz“ – alle erstmals in deutscher Übersetzung. Die beiden kleinen Texte über das Schicksal Karl Wilhelm von Naundorffs, der sich als Ludwig XVII. ausgab und den Tod des Sohns Napoleons III. Es sind insgesamt Abgesänge auf die Monarchie Frankreichs, skeptisch war Bloy auch gegenüber der Demokratie. Es bleibt wohl nur eine heilige Ordnung zu erhoffen.

Léon Bloy: Marie Antoinette, Ritterin des Todes und andere Schriften; übersetzt und herausgegeben von Alexander Pschera. Karolinger Verlag, Wien 2017, 112 Seiten, EUR 18,–

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