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Paradies mit Bibelpflanzen

Die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2017 in Berlin bietet interessante Einblicke in die „Gärten der Welt“. Von Josefine Janert
Foto: dpa | Mit der Gondel das Berliner Grün und die „Gärten der Welt“ sehen – die IGA 2017 machts möglich.

Die Gondel ruckt an und gleitet vom 102 Meter hohen Kienberg hinunter Richtung Endstation am Blumberger Damm. Von der Seilbahn aus bietet sich dem Besucher der Internationalen Gartenausstellung (IGA) ein Panoramablick auf den Ostteil der Hauptstadt. In der Ferne blitzt der Fernsehturm. Davor reiht sich Wohnblock an Wohnblock. Linkerhand erstreckt sich ein Viertel mit Einfamilienhäusern. Im Vordergrund sind vor allem Plattenbauten zu sehen, dazwischen wächst auch außerhalb des IGA-Geländes viel Grün.

Die zu Ostern eröffnete IGA ist in Marzahn-Hellersdorf angesiedelt, das 2001 aus den beiden bis dahin eigenständigen Berliner Bezirken entstand. Marzahn wurde ab den siebziger Jahren aus dem Boden der damaligen DDR-Hauptstadt gestampft, Hellersdorf folgte in den achtziger Jahren. Wer damals hier eine Bleibe mit Zentralheizung, Innentoilette und fließendem warmem Wasser ergatterte, schätzte sich zumeist glücklich, dem bröckelnden Altbau in der Innenstadt entflohen zu sein. Im Prenzlauer Berg, heute ein hübsch saniertes Viertel, waren damals Außentoiletten, Kachelöfen und undichte Fenster gang und gäbe.

Nach der Wende erschien den Berlinern das Wohnen im Plattenbau erst einmal unattraktiv. Viele Menschen zogen weg, auch ins Berliner Umland. Doch die Plattenbauten wurden aufwändig saniert, Einkaufs- und Kulturzentren gebaut, die Verkehrsverbindungen ins Zentrum verbessert. Aufgrund des eng gewordenen Wohnungsmarktes der Hauptstadt erlebt der Bezirk nun eine Renaissance. Rund 262 000 Menschen leben momentan in Marzahn-Hellersdorf. Von den 12, 5 Millionen Touristen, die Berlin 2016 besuchten, kamen wohl nur wenige bis hierher, an die östliche Stadtgrenze. Das soll sich ändern, mit der IGA. Deren Organisatoren rechnen mit mehr als zwei Millionen Besuchern für 2017.

Nun hat die Gondel angehalten. Links neben der Seilbahnstation stehen große Hallen mit Blumenrabatten. Rechterhand eröffnen sich unter freiem Himmel neun sogenannte Gartenkabinette. Das sind in sich geschlossene Flächen, auf denen Landschaftsarchitekten von fünf Kontinenten Gartenarrangements angelegt haben, die für jeweils eine Kultur typisch sind. Im „Los Angeles Garden“ wachsen sechs Palmen, nebenan schlängelt sich ein Wasserlauf durch den von Thailand inspirierten „Garden of the Mind“.

Nach Nordosten wandernd, gelangt der Besucher zu einem Teil der IGA, der schon 30 Jahre alt ist. Bereits während der DDR-Zeit versuchten die Stadtväter, die Plattenbaubezirke wohnlicher zu machen. 1985 kam die „Bundesgartenschau“, allerdings nach West-Berlin, das für die DDR-Bürger vor dem Fall der Mauer unerreichbar war. Aber die DDR-Oberen fühlten sich bemüßigt, auf die umjubelte Ausstellung zu reagieren, mit der im Osten gelegenen „Berliner Gartenschau 1987“. Auf dem Gelände im damaligen Bezirk Marzahn waren unter anderem ein Rhododendrengarten, ein Rosengarten und ein Stein- und Quellgarten zu sehen. „Der Zuspruch war so gewaltig, dass das damalige Eintrittsgeld in Höhe von einer DDR-Mark abends in Eimern fortgetragen werden musste“, hat Beate Reuber von Zeitzeugen erfahren. Die Diplom-Ingenieurin für Landespflege hält hier seit 1993 die Fäden in der Hand. Aus der „Berliner Gartenschau 1987“ ging der „Erholungspark Marzahn“ und daraus die „Gärten der Welt“ hervor, die Beate Reuber als Mitarbeiterin der landeseigenen Grün Berlin GmbH leitet. Die „Gärten der Welt“ sind heute das Herz der IGA – eine Reminiszenz an verschiedene Kulturen und religiöse Traditionen. Bereits vor der IGA, im Jahr 2014, lockten sie rund 800 000 Besucher an. Schon mit dieser Zahl, findet Beate Reuber, konnte man mit vielen Berliner Museen mithalten.

Eine sanfte Brise weht über den Chinesischen Garten, bewegt die Wellen auf dem Teich und fährt in das Haar der Besucher, die sich in einem Pavillon am Ufer zum Teetrinken niedergelassen haben. Der Wind rauscht auch in den Weiden. Irgendwo plätschert eine Fontäne. Vögel singen. 1994 schenkte Peking seiner Partnerstadt Berlin das Konzept für diesen Garten, den „Garten des wiedergewonnenen Mondes“, wie er auch genannt wird. Der Himmelskörper ist in China ein Symbol für harmonische Einigkeit, der Name eine Anspielung auf die deutsche Einheit. Vier Jahre dauerte es, bis gemäß der Regeln von Yin und Yang ein Teich und Wege angelegt, Pavillons erbaut und die für chinesische Gärten typische Pflanzen in die Berliner Erde gebracht worden waren. „Wir haben fast 100 Seecontainer mit Materialien und Pflanzen in Empfang genommen“, sagt Beate Reuber.

Es folgten mehrere andere Gärten, unter anderem der „Orientalische Garten“, der, wie in islamischen Ländern üblich, von hohen Mauern umschlossen ist. Er wurde, wie die anderen Gärten auch, von einem Fachmann aus dem jeweiligen Kulturkreis geplant. Der deutsch-algerische Landschaftsarchitekt Kamel Louafi hat vier Wasserläufe mit Wasserspielen entworfen, wegen derer die Anlage auch „Garten der vier Ströme“ heißt. Der Besucher wandelt zwischen Rosen, Palmen und duftenden Fruchtgehölzen. Eine Fülle, die das Paradies symbolisiert, wie es im Koran beschrieben ist. An den Garten grenzt der „Saal der Empfänge“, ein Gebäude mit prächtigen Mosaiken, Fliesen und Holzschnitzereien.

Weder die IGA, noch die „Gärten der Welt“ sind ein Disney-Land: Die Planer nehmen die jeweilige Kultur und Religion ernst. Wenn im „Saal der Empfänge“ tatsächlich ein Empfang stattfindet, darf dort der islamischen Tradition folgend auf keinen Fall Schweinefleisch serviert werden. Nach Möglichkeit werden bei der Gestaltung der Gärten originale Materialien verwendet. Diese sollen so aussehen, wie man sie im Ursprungsland vorfinden würde. An Kamel Louafis Projekten waren seinerzeit 30 Arbeiter aus Marokko beschäftigt. Anfangs gab es Befürchtungen, dass sie in Marzahn-Hellersdorf Ziel fremdenfeindlicher Angriffe werden könnten. Doch sie tranken nach Feierabend friedlich ihre Limonade in dem Bezirk. Beate Reuber weiß von keinen rassistischen Vorfällen. „Die Marzahner und Hellersdorfer sind das Zusammenleben mit Fremden schließlich gewohnt. Schon in der DDR-Zeit wohnten hier viele vietnamesische Vertragsarbeiter, später zogen Aussiedler aus Russland zu“, sagt sie. Die Einwohner würden in den „Gärten der Welt“ den Mittelpunkt ihres Bezirks sehen.

2011 entstand schließlich der „Christliche Garten“. In der Mitte der quadratischen Anlage wachsen Pflanzen, die in der Heiligen Schrift vorkommen: Lilien, Rosen, Anis und andere. „Gleichwohl ist das kein ausschließlicher Bibelpflanzengarten“, sagt Beate Reuber. Das Garten-Viereck ist umschlossen von einer Metallkonstruktion, die an den Kreuzgang eines Klosters erinnert – und das in einem Stadtviertel, in dem die Religion vielen Menschen fremd ist. Die Konstruktion besteht aus großen Buchstaben. Wer sie lesen möchte, muss allerdings ein Stück zurücktreten und entdeckt dann, dass hier unter anderem das Pfingstwunder gepriesen wird. Es handelt sich um Verse aus der Bibel und um philosophische Weisheiten. In der Mitte des Christlichen Gartens plätschert Wasser über dunklen Stein, ein beruhigendes Geräusch. Dieser dunkle Stein und das Grün und Weiß der Pflanzen erinnern an die Friedhofstradition in unserem Kulturkreis. Streng genommen, sagt Beate Reuber, sei ja jeder christliche Friedhof auch ein christlicher Garten.

Die IGA erstreckt sich auf insgesamt 100 Hektar

Die „Gärten der Welt“ umfassten vor der IGA rund 25 Hektar und neun Themengärten aus Europa, Asien und dem Vorderen Orient. Anlässlich der IGA erlebte der 2003 eröffnete Balinesische Garten einen Umbau zur energieeffizienten Tropenhalle. Neu hinzugekommen ist der Englische Garten mit einem Cottage. Über einer Kommode am Eingang hängt ein Bild der Queen, und das kleine Restaurant serviert Scones, Tee und andere englische Spezialitäten. Noch ländlicher geht es ein paar Meter weiter im „Arche-Park“ am Fuße des Kienbergs zu. Dort weiden heimische Pferde-, Rinder- und Schafrassen, die heute nur noch selten gehalten werden und daher vom Aussterben bedroht sind.

Die IGA erstreckt sich auf insgesamt 100 Hektar, zu denen auch der Kienbergpark gehört. Er wurde schon zuvor für die Naherholung genutzt und soll nach der Gartenausstellung wieder frei zugänglich sein. Auf dem Berg stehen der „Wolkenhain“, eine 120 Meter hohe Aussichtsplattform, und eine Seilbahnstation. Die Gondel ruckt an und gleitet über den Kienbergpark mit dem Wuhleteich und die Auenlandschaft hinweg in Richtung Ausgang. Die Veranstalter der IGA 2017 hoffen, dass sie mit der Seilbahn eine zusätzliche Attraktion geschaffen haben, die Menschen nach Marzahn-Hellersdorf lockt. Über das Gelände zu schweben und auf Berlin zu schauen, ist natürlich toll, doch das Schönste ist das satte Grün inmitten der Großstadt.

Die IGA 2017 ist bis zum 15. Oktober geöffnet. Sie ist am besten vom U-Bahnhof Kienberg / Gärten der Welt zu erreichen. Eine Tageskarte kostet 20 Euro. Außerdem gibt es preiswertere Angebote, etwa für die Abendstunden.

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