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Sakralität und Entsakralisierung

Die symbolische Ordnung ist in die Krise geraten: Josef Pieper über das Heilige in der Liturgie – Einblicke in eine Debatte. Von Professor Helmut Hoping
Josef Pieper über das Heilige in der Liturgie
Foto: dpa

Rechtzeitig zum 20. Todestag des großen katholischen Philosophen am 6. November 2017 erscheint in der Reihe Topos Taschenbücher eine Auswahl seiner Beiträge zur Gegenwart des Heiligen in der Liturgie. In ihnen schlägt sich die Sorge Piepers um die symbolische Ordnung des katholischen Glaubens und des kirchlichen Lebens nieder. Mit einer Ausnahme sind alle Beiträge nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstanden. Sie beschäftigen sich mit dem Sinn für Zeichen, Symbole, heilige Zeiten, heilige Handlungen und heilige Orte. Sie kreisen um das, was Pieper „praeambula sacramenti“ nennt: Erfahrungen und Begriffe des Sakralen, die den Sakramenten gleichsam vorausliegen.

Den Anfang der von Berthold Wald, Herausgeber der Josef Pieper-Werkausgabe, mit einem einleitenden Vorwort besorgten Sammlung bildet der Text „Über die Schwierigkeit, heute zu glauben“ (1969). Darin spricht Pieper im Anschluss an Hegel von „Verwüstungen in der Theologie“. Gemeint ist eine Theologie, die sich von ihrem Fundament, dem überlieferten Glauben der Kirche, löst. Piepers Frage, ob es für den Glauben „einen endgültig legitimierten Interpreten“ gibt oder der Pluralismus theologischer Meinungen das letzte Wort hat, stellt sich heute mit noch größerer Dringlichkeit als in der Zeit unmittelbar nach dem Konzil.

Schlüsseltext der Sammlung ist der Beitrag „Sakralität und ,Entsakralisierung‘“ (1969). Um ihn herum gruppieren sich Überlegungen zum Verständnis sakramentaler Symbolhandlungen, Klärungsversuche eines Laien (Nichtpriester und Nichttheologen) zur differentia specifica des Weihepriestertums sowie Stellungnahmen zur Liturgiesprache und zur Kirche als Sakralbau.

Eine Kirche wird durch ihre Weihe zu einem heiligen Raum. Pieper wendet sich gegen die nach dem Konzil erhobene Forderung nach einem nichtsakralen Kirchenbau. Eine Kirche, so Pieper, müsse den Ansprüchen an einen sakralen Raum genügen, da sie Ort einer heiligen Handlung ist. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt die Liturgie eine im vorzüglichen Sinne „heilige Handlung“ (SC 7: actio sacra).

Ziel der Liturgiereform war es, die Wahrnehmung für das Heilige in der Liturgie zu fördern (SC 21). Allerdings wurde schon in der Zeit kurz nach dem Konzil der Ruf nach Entsakralisierung der Liturgie laut. Mit der Menschwerdung des Gottessohnes sei der Unterschied zwischen sakral und profan aufgehoben worden. „Feierlich“ sollte der Gottesdienst sein, aber nicht „sakral“. Liturgiker vermieden es, den Kultbegriff zu verwenden, während er von den Konzilsvätern noch ganz selbstverständlich gebraucht wurde (SC 7 u.ö.). In der Dogmatik ging man auf Distanz zur sazerdotale Dimension des Priesteramtes. Aus dem Priester als „minister sacer“, der das Opfer der Eucharistie darbringt, wurde der Vorsteher der Liturgie.

Die Entsakralisierung betraf auch die Sprache. Codewort wurde die dynamische Äquivalenz von Ziel- und Ursprungssprache. Damit war eine freie Übertragung der lateinischen Liturgiesprache gemeint, gegebenenfalls auch unter Verwendung von Umgangssprache. Die ursprünglichen Richtlinien, die aber keinen Bestand hatten, sahen dagegen eine wortgetreue Übersetzung vor. Unter den Beispielen für einen entsakralisierenden Sprachgebrauch nennt Pieper die Wiedergabe von consecratio (Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi) durch den Begriff „Einsetzungsbericht“. Scharf kritisiert Pieper, dass die Ordnung des deutschen Messbuchs die Unterscheidung von Offertorium, Wandlung und Kommunion für den eucharistischen Teil der Liturgie nivelliert hat. Auch bei der Wiedergabe von cantus ad offertorium mit „Gesang zur Gabenbereitung“ statt „Gesang zur Darbringung (der Opfergaben)“ oder „oratio super oblata“ mit „Gabengebet“ statt „Gebet über die Opfergaben“ handelt es sich um entsakralisierenden Sprachgebrauch.

Nicht berücksichtigt ist in Walds Sammlung Piepers zunächst in der katholischen Zeitschrift „Communio“ erschienener Beitrag „Angemessenes und Unangemessenes. Kritische Anmerkungen zur deutschen Studienausgabe der neuen Messordnung“ (1973). Auch in ihm weist Pieper die „Entsakralisierung“ der Liturgiesprache zurück. Er hätte daher gut in die Sammlung gepasst, zumal er nichts von seiner Bedeutung verloren hat: In seinem Motu proprio „Magnum principium“ (2017) nennt Papst Franziskus die Verstehbarkeit der Texte als das große Prinzip ihrer Übertragung aus den römischen Liturgiebüchern. Pieper hätte vermutlich gefragt: Was heißt Verstehbarkeit, unmittelbare Verstehbarkeit, ohne dass man mit der Liturgie der Kirche und ihrer Sprache vertraut ist? Verstehbarkeit auch um den Preis einer nicht mehr sakralen Sprache? Pieper war davon überzeugt, dass ein Gespür für die Sakralität der Liturgie nur dort bewahrt werden kann, wo Liturgie durch die ars celebrandi noch als etwas Nichtalltägliches erfahrbar ist. Der verlorene Sinn für das Heilige und das Sakramentale hängt für Pieper in der Tiefe mit dem modernen Mensch der Technik zusammen, sofern dieser Schwierigkeiten hat, Zeichen und Symbole zu verstehen. Besonders gilt dies für Real-Symbole, also Zeichen, wie die Sakramente, die bewirken, was sie bezeichnen. Sakramente, so Pieper, können nicht empfangen werden, so wie es ihnen entspricht, „wenn nicht der symbolische oder sakramentale Sinn genährt ist“ (Goethe).

Die Krise der symbolischen Ordnung der Kirche, davon war Pieper überzeugt, kann nur überwunden werden, wenn die Menschen wieder neu verstehen lernen, was mit heiliger Zeit, heiliger Handlung und heiligen Zeichen gemeint ist, da es sich beim christlichen Kult um die Feier eines Mysteriums handelt, in der Gott selbst in Jesus Christus gegenwärtig ist. Im Verlust des sakramentalen Denkens, dem Verblassen der theozentrischen Dimension in der Liturgie und ihrer verbreiteten Formlosigkeit sah Pieper Folgen der Entsakralisierung.

Bis heute wird in der katholischen Kirche um die Liturgie gerungen. Dies betrifft ihre Riten und Texte, die Ästhetik der liturgischen Gegenstände, die Gebetsrichtung, die Liturgiesprache und die Architektur des gottesdienstlichen Raumes. Pieper hatte eine ausgeprägte Sensorik für die Probleme und Verwerfungen in der Liturgieentwicklung nach dem Konzil. Viele davon hat er in seinen klugen und stilsicher abgefassten Einsprüchen offen angesprochen. Eine Relecture lohnt sich, der Leser gewinnt Einblicke in die Anfänge einer Debatte, die bis heute anhält.

Josef Pieper: Die Anwesenheit des Heiligen; herausgegeben von Berthold Wald. Verlagsgemeinschaft topus.plus, Kevelaer 2017, 208 Seiten, EUR 12,–

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